Diskriminieren wir Frauen in der Zeitung? (Friedhof der Wörter)?

Geschrieben am 23. Juli 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 23. Juli 2012 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Ist es eine Beleidigung wenn Zeitungen, über Frauen schreibend, weder Vornamen noch Funktion erwähnen? Wenn sie nur schreiben: „Merkel sagte“ statt: „Bundeskanzlerin Merkel sagte“ oder „Angela Merkel sagte“ oder „Frau Merkel sagte“?

Also noch einmal die Sprache und das weibliche Geschlecht: Gelten für Frauen andere Regeln als für Männer? Diskriminiert die Sprache, weil die Mehrzahl der auf Menschen bezogenen Wörter männlich sind – also der Mensch ohne Menschin, man ohne frau, jemand ohne jefraud und niemand ohne niefraud?

Eine Leserin sieht die Frauen in der Zeitung diskriminiert – und im Zweifelsfall die Männer auch, wenn sie sprachlich nackt in den Zeilen stehen. Zu bequem? Gar faul?

Nein, es ist Gewohnheit. Es gilt in den meisten Redaktionen die Regel: Bei der ersten Erwähnung im Text wird der komplette Name nebst Berufs- oder Funktionsangabe geschrieben, also „Bundeskanzlerin Angela Merkel“; danach geizen die Redakteure mit den Wörtern, sie schreiben nur noch ein Wort, entweder „Merkel“ oder „die Kanzlerin“.

Diese Regel war in der Frühzeit der Übermittlung von Nachrichten nützlich: Wer ein Telegramm schrieb, geizte mit den Buchstaben; wer zuschauen konnte, wie sich im Nachrichten-Ticker die Wörter aufbauten, der wollte so schnell wie möglich die Nachricht senden und verzichtete auf alles, was überflüssig war.

Doch auch in den frühen Jahren des Journalismus galt die Höflichkeit mehr als die Schnelligkeit: Frauen bekamen immer „Frau“ als Vornamen, die Männer nicht den „Herrn“ (was nicht sonderlich auffiel, weil zu den Mächtigen in der Regel nur Männer zählten). Diese altmodisch erscheinende Höflichkeit gilt immer noch in der konservativen „Frankfurter Allgemeinen“: Merkel ist stets „Frau Merkel“, doch der französische Präsident schrumpft zu „Hollande“, ohne Herr.

Aber diskriminiert man/frau die Frauen nicht schon,wenn man/frau sie anders beschreibt als die Männer?

(aus: Thüringer Allgemeine vom 23. Juli 2012)

Im Hausbuch von „dpa“ von 1998 steht unter dem Stichwort „Frauen“:

Bei der Nennung von Frauen verzichten wir auf die Anrede, nachdem wir den Vornamen erwähnt haben. Also nicht „Frau Süssmuth sagte…“, sondern „Süssmuth sagte…“

Hinweise auf das Geschlecht von Personen sind nur dann zulässig, wenn sie von Bedeutung für die Sache sind. Ob eine Regierungschefin verheiratet, unverheiratet, Mutter oder kinderlos ist, ist ebenso wenig oder ebenso sehr wie bei ihren männlichen Kollegen erwähnenswert.

Diskriminierende Bemerkungen über das Geschlecht sind zu unterlassen…

Im Stylebook von AP von 2007 steht unter dem Stichwort „courtesy titles“:

Use the courtesy titles Mr., Miss, Ms. oder Mrs. only in direct quotations.

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