Martin Walser, der Dichter des Bandwurm-Wortes
Warum lieben wir Deutschen Bandwurm-Wörter? Warum mögen wir es kompliziert, wenn es doch einfach geht – und wenn einfach sogar schön ist?
Ein Wort verliert mit jeder Silbe seine Kraft, erst recht mit jeder überflüssigen Silbe. Schopenhauer, der Philosoph, spottete schon über die Wortdreimaster. Den hinteren Mast kann man oft einfach entfernen, schlägt er vor.
Was ist der Unterschied zwischen Glatteisbildung und Glatteis? Glatteis ist nur glatt, wenn es sich gebildet hat.
Und was der Unterschied zwischen Rückantwort und Antwort? Also können wir oft auch den vorderen Mast entfernen und bekommen ein kurzes, kraftvolles Wort.
Der Dichter des Bandwurmwortes ist Martin Walser. In seinem neuen Roman „Das dreizehnte Kapitel“ strapaziert er die Geduld der Leser, indem er neue Wörter erfindet – lang, länger, am längsten. Eine Auswahl:
- Gefühlsausführlichkeiten
- Zudringlichkeitsverfasser
- Unerwachsenheiten
- Voraussetzungslosigkeit-Beziehung
- Mittagsonnenfarbe
- Tannenwipfelwiegen
Wenn wir ein Hauptwort mit einem anderen kuppeln, zerstören wir seine Anschaulichkeit. Walsers „Gewohnheitskäfig“ brennt kein Bild in unserem Kopf – Im Gegensatz zum „Käfig voller Gewohnheiten“.
Und mein „Bandwurmwort“ kann auch anschaulich werden: „Wörter, so lang wie ein Bandwurm“.
Aus der Thüringer Allgemeine vom 22. Oktober 2012
Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Martin Walser, der Dichter des Bandwurm-Wortes"
Ähnliche Artikel zum Thema
- Sprachliche Blähungen – Friedhof der Wörter
- Welches war Ihr Unwort des Jahres 2013?
- Deutsch lernen mit Luther (3): Kurze Wörter, nicht unbedingt kurze Sätze (Friedhof der Wörter)
- Das Wort des Jahres: GroKo, #Raute, Matt und Knochenbruch (Friedhof der Wörter)
- Grexit, Grimbo, Alexit – neue Wörter dank der Griechenland-Tragödie. Ein deutsches Kofferwort passte auch: Jein