Deutsch lernen mit Luther: Hinweg mit Floskeln und Blähungen!

Geschrieben am 20. Februar 2016 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 20. Februar 2016 von Paul-Josef Raue in D. Schreiben und Redigieren, Friedhof der Wörter.

In den sechs Wochen vor Ostern kaufen viele Menschen die Marzipan-Hasen bei Aldi; einige fasten und betonen: “Das hat nichts mit Religion zu tun“; einige wenige hören Bachs Matthäus-Passion. Wir schauen, wie Luther die Folter- und Hinrichtungs-Geschichten vom Griechischen ins Deutsche übersetzt hat.

Mit Luther können wir gutes Deutsch lernen: Verständlich, einfach und schön. Luther blähte die Sprache nicht auf wie viele seiner Epigonen. Mit gerade mal neun Wörtern lässt er die Geschichte des Leidens beginnen, neun Wörter des Verrats:

„Was wollt Ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten.“

Zweimal: wollen; zweimal: ich und mir; zweimal Ihr und euch; zwei Verben, darunter das starke „verraten“, um die Handlung anzutreiben; kein Substantiv, die Verben reichen.

Knapper geht es nicht; die meisten Krimi-Autoren brauchen zig Seiten, um einen Verrat zu erzählen und zu blähen. So sei ihnen sowie Politikern, Managern und Theologen empfohlen, bei Luther in die Schule zu gehen. Selbst in einem Buch wie Margot Käßmanns „Schlag nach bei Luthers“ ist das Vorwort voller Floskeln und Blähungen, unter denen Luther schon physisch litt.

Käßmann ist durchaus wortgewaltig, bisweilen. Über die Zeit der Reformation schreibt sie: „Martin Luther bleibt im Zentrum des Geschehens, so sehr er auch durch andere Personen und gewiss durch die geschichtlichen Umstände geprägt wurde.“

So viele Allgemeinplätze in einem Satz – „gewiss“! Wer meint wirklich, er sei allein auf der Welt, vielleicht abgesehen von Donald Trump? Und was meint eine Frau, die an Gott glaubt, mit „geschichtlichen Umständen“? Schicksal?

Floskeln waren allerdings Luther nicht fremd: „Und es begab sich, da Jesus alle diese Reden vollendet hatte, sprach er zu seinen Jüngern.“ Da schwätzt er wie ein Radio-Moderator, der die Überleitung sucht vom Liebeslied zur Trauer-Ballade.

Johann-Sebastian Bach lässt in seiner Matthäus-Passion die Geschwätzigkeit nicht zu: „Und es begab sich“ , streicht er einfach.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 22. Februar 2016

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