Deutsch lernen mit Luther (5): Die und-und-und-Marotte (Friedhof der Wörter)
Luther mochte das „und“, dies unscheinbare, keinen Sinn tragende Wort. Viele Absätze, nicht nur in der Kreuzigungs-Geschichte, beginnt er mit „und“:
„Und als er zu Jerusalem einzog“; „Und als er in den Tempel kam“; „Und als er auf dem Ölberg saß – und, und, und.
Luther hatte eine „Und“-Marotte – und eine „Da“-Marotte“. Wenn er einen Absatz nicht mit „Und“ begann, nutzte er oft das „Da“, ebenso unscheinbar und sinnfrei:
„Da versammelten sich die Hohenpriester und Schriftgelehrten“; „Da ging hin der Zwölfen einer mit Namen Judas“; „Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach‘s und gab’s den Jüngern“; da, da, da.
Luther war mehr als ein Übersetzer, er war ein Dichter, ein großer dazu. Dichter haben ihre Eigenarten, ihre eigene Meisterschaft, ihren eigenen Stil, der kaum zu erklären ist: Er ist, wie er ist. Wer ihn kopieren will, macht sich lächerlich.
Es gibt allerdings eine Szene in der Leidensgeschichte, in dem Luther dem „und“ eine erkennbare Funktion gibt: Es steigert die Dramatik immer weiter und weiter. Sie beginnt mit einem kurzen Satz: „Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.“ Auf das „laut“ hätte Luther sogar verzichten können, den „schreien“ ist immer laut. Geriet Luther der Satz, der Gottes Ende erzählt, doch zu kurz? Oder er wollte den Schrei noch lauter machen, den Schrei der Verzweiflung?
Es folgen zwei Sätze, in denen acht Mal „und“ erscheint: Was für eine Spannung, die ohne das Und-Stakkato ungleich schwächer ausfiele!
Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stück von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und stunden auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen, und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.
41 Wörter in einem Satz, nimmt man den vorgeschalteten Satz hinzu sind es 58: Ein Beispiel für lange, aber gut verständliche Sätze, denen die Und-Marotte zusätzlich gut tut. Meisterhaft!
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