Deutsch lernen mit Luther (2): Traue keinem Adjektiv!

Geschrieben am 27. Februar 2016 von Paul-Josef Raue.

Krimis sind beliebt. In Buchhandlungen stehen die Tische mit Blut- und Horror-Geschichten in der Nähe des Eingangs.

Krimis wimmeln von Adjektiven:

 Die Terroristen, blutrünstige und finstere Gesellen, zogen dem zutiefst verängstigten Mann sein dunkles fleckiges Hemd aus und seine ärmliche schmutzige Hose, hängten ihm einen tiefroten Mantel um und gossen übelsten Spott über ihn aus. Sie jagten ihm spitze Nägel in den schief hängenden Kopf, bis er einer silbernen Krone glich. Sie spuckten ihn voller Verachtung an und schlugen ihm mit einem dicken Rohrstück auf sein müdes Haupt.

Ein gutes Dutzend Adjektive steht in diesen drei Sätzen, fast alle überflüssig. Wer seiner Erzählung nicht traut, verpasst ihr ein paar Adjektive; wer Gefühl beim Leser wecken will, verführt ihn so – als ob der genaue Bericht nicht reicht, um ein Bild oder einen Film im Kopf zu erzeugen.

So beschreibt Luther die berühmteste Foltergeschichte der Weltliteratur:

 Da nahmen die Kriegsknechte des Landpflegers Jesus zu sich und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzen sie auf sein Haupt und spotteten ihn an und schlugen mit dem Rohr sein Haupt.

Sieben starke Substantive, sieben kräftige Verben und kein einziges Adjektiv: So nimmt Luther den Leser ernst, vertraut dessen Phantasie und Vorstellung. Wer Adjektive braucht, um seinen Text zu schmücken, der gleicht einer Mutter, die ihr Kind an die Hand nimmt, statt es alleine gehen zu lassen.

Georges Clemenceau war Ende des 19. Jahrhunderts einer der großen Journalisten in Frankreich. Den Redakteuren seiner Zeitschrift „L’Aurore“, die Morgenröte, ordnete er an:

Wenn Sie ein Adjektiv verwenden wollen, kommen Sie zu mir in die dritte Etage und fragen, ob es nötig ist.

Dramatik geht am besten ohne Adjektive. Lies Luther:

 Der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde bebte und die Felsen zerrissen und die Gräber taten sich auf…

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter,  29. Februar 2016

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