In Luthers Sprach-Werkstatt: Chaos, Tohuwabohu und schlechte Übersetzungen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 16. November 2015 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 16. November 2015 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

„Tohu wa-bohu“ ist ein hebräisches Wort, das für Durcheinander und Chaos steht. Es ist ein schönes Wort, das mit den Tönen spielt und mit fünf Vokalen singt – und deshalb auch in die deutsche Sprache eingedrungen und geblieben ist: Es wird öfter gesprochen als geschrieben, denn kaum einer kann Tohuwabohu fehlerfrei auf Papier bringen, ohne im Duden nachzuschlagen.

Mit dem „Tohu wa-bohu“ beginnt der Teil der Bibel, der vor 33 Jahrhunderten entstand: So war unsere Welt zu Beginn, als Gott sie erschuf. Martin Luther übersetzte in Wittenberg mit seinen humanistischen Freunden das Alte Testament, aber er traute dem „Tohuwabohu“ nicht, er wollte es dem Volk nicht zumuten.

Luther war nicht der erste, der die Bibel ins Deutsche übersetzte. Vor ihm gab es schon ein gutes Dutzend deutscher Bibeln, die gedruckt ein gutes Geschäft für die Verleger waren.

Auch die Übersetzer vor Luther mieden das Tohuwabohu: „Die Erde war leer und eitel“, übersetzen sie und blieben nahe am lateinischen Text: „Terra autem erat inanis et vacua“, wobei „inanis“ für die Eitelkeit steht und „vacua“ für die Leere, das Vakuum, das heute noch in unserer Sprache lebendig ist.

Luther dagegen nimmt nicht die Vulgata, die lateinischen Übersetzung, zur Hand wie die meisten seiner Zeit. Er geht zurück zur Quelle, zum hebräischen Urtext und übersetzt: „Die Erde war wüst und leer“. Der Übersetzer Josef Winiger lobt Luther für diesen „schlichten, klaren Schöpfungsbericht von poetischer Kraft“ im Vergleich zum „unfreiwillig dunklen Geraune“ der Übersetzer vor ihm.

„Tohuwabohu“ war unübersetzbar. Luther musste also ein leicht verständliches Wort finden für die Welt vor ihrer Erschaffung: Er fand also „wüst“, ein Adjektiv, das für Josef Winiger bildhafter ist und stärker als das abstrakte lateinische Wort.

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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 2. November 2015

Quelle: Diese Kolumne folgt einem Essay von Josef Winiger in „Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung“ (Matthes & Seitz-Verlag, 336 Seiten, 24.90 Euro).

 

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