Nüchtern und kreativ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. Mai 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Menschen werden älter, die Jungen werden weniger, das ist die Gesellschaft von morgen. Damit wir nicht allzu sehr erschrecken, verstecken wir uns hinter einem wissenschaftlichen Begriff: „Demografischer Wandel“.

Der Wandel macht allen zu schaffen, auch den Kirchen. Was machen sie mit einem Wandel? Sie diskutieren ihn. Und wie? „Nüchtern – mutig – kreativ“, so steht es in einer Einladung der beiden großen Kirchen in Erfurt.

Dass die frommen Männer nebst Bauminister Carius dem Alkohol entsagen beim Diskutieren und Reden, hatte ihnen schon Luther, die Bibel übersetzend, empfohlen:

„Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe.“

Nüchtern reicht nicht aus, auch kreativ soll es sein. Wie schrieb Luther? „Und Gott war kreativ.“

Nein, Luther übersetzte: „Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und sah: Es war alles sehr gut.“

Wer kreativ ist, der schafft etwas – die ganze Welt, ein Gedicht oder ein Blumenbeet. Jeder Mensch, der etwas schafft, ist kreativ.

„Kreativ“ ist ein leeres Wort, ein Modewort geworden, vor allem in der Werbung. Es hat keinen Inhalt mehr. Es gehört, ganz nüchtern, auf den Friedhof der Wörter.

(Thüringer Allgemeine 14. Mai 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)

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