Dirk Koch, Ex-Chef des Bonner „Spiegel“-Büros, erzählt vom harten Leben in Irland: Ein Roman so wild wie das Meer
In Irland leben arme, aber stolze Menschen. „Die Iren, ein verdammtes Volk von Dieben, hinterhältige Strandräubern auf einem Felsen im Atlantik. Die Römer wussten schon, warum die hier nicht hinwollten“, sagt Katrin, Murts letzte Liebe, als die beiden zum verbotenen Fischfang in die Bucht ziehen.
Mit Katrin endet nicht nur „Murt“, der Roman, sondern auch Murts Leben. Die zwei Jahrzehnte jüngere Frau hat dem alten Fischer den Kopf verdreht und ihn zum ersten Mal in seinem Leben glücklich gemacht.
„Wenn man jetzt plötzlich stirbt, ist es gut“, flüstert sie ihm ins Ohr, als sie sich aneinander schmiegen und lieben – auf Wolldecken über Jutesäcken, gefüllt mit frischem Heu, dessen Duft das Leben leicht macht.
Doch als Murt stirbt, ist Katrin längst auf und davon gelaufen.
In jeder Krankenschwester sieht der verwirrte Alte seine Liebe, seine Katrin. Und wenn sie ihn fragen, ob er Angst vorm Sterben habe, antwortet er leise lächelnd: „Alte irische Fischer sterben nicht.“
Dirk Koch hat Murts Leben aufgeschrieben, hat viele Geschichten, die er beim Whiskey gehört hat, zum Roman eines stolzen Iren verdichtet – prall voll mit Leben und Tod, mit Liebe und Hass, mit guten wie bösen Geistern; mit Krabben, die Joe den Daumen abschneiden, und Fasanen, die sich berauschen an Weizenkörnern, in Rum getränkt; mit Lehrern, die mit Weidenruten in die Handflächen der Schüler klatschen, und Priestern, die Geld und Gin mehr lieben als ihren Gott.
Dirk Koch ist selber ein Ire geworden, ein halber allemal. Er leitete die Hauptstadt-Redaktion des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und dann die Brüsseler Redaktion. In Irland, direkt am Atlantik, kaufte er sich damals ein einsames Haus, als die Deutschen noch mit Bölls „Irischem Tagebuch“ auf dem Sofa vom rauhen Leben an rauher See träumten. Im Ruhestand nun fährt Koch mit seinem Boot aufs Meer, geht mit den Nachbarn auf die Jagd und lässt abends am Kamin die Flasche kreisen.
„Woher hat Dein Großvater das? Alles erfunden?“, fragt einer Harry, der von Großvater Murt erzogen wird, nachdem Vater und Mutter gestorben sind. „Nix erfunden“, sagt Harry, „woher der das gewusst hat? Ja, so vom Erzählen, sein Großvater hat es ihm erzählt, und der hatte es von seinem Großvater…“
Und der hat es dem deutschen Reporter erzählt, der keine weichgespülten Geschichten mag, sondern harte Storys ohne romantischen Schnickschnack – aber auch zu viele Adjektive, ohne die ein Spiegel-Redakteur offenbar nicht auskommt.
In den Geschichten wird unentwegt getötet, Kaninchen, Hirsche, Fische und Ehemänner – es wird auf jeden Fall mehr getötet als geliebt. Harry, Murts Enkel, lernt das Töten am Meer, hört schon in jungen Jahren solche Geschichten und „spürt dieses wohlige Gefühl in Brust und Bauch, das Pochen des Blutes, wenn er über Gewalt und Grausamkeiten redet“.
Kochs Roman ist auch ein Bildungsroman, aber nicht im Goetheschen Sinn – „mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden“ -, sondern als Gegenentwurf: Der junge Harry bildet sich mit und gegen die wilde Natur, gegen die Barbarei seiner Umgebung.
Gelesen wird wenig in Harrys junger Welt, erzählt wird viel. Geschrieben wird wenig – und wenn dann schreibt eine geschlagene Frau auf den Seitenrand eines frommen Buchs. Nur so ist sich Kitty sicher, dass ihr Ehemann nichts entdeckt – der reiche Geizhals, der sie vergewaltigt und demütigt.
Kitty verwahrt das Buch, dessen Umschlag ein Herz, ein Kreuz und einen Strahlenkranz zeigt, verwahrt Federhalter und Tintenfass unter dem Bett in ihrer Kammer über dem Hühnerstall. Das ganze Leid ihres Lebens steht am Rand des Buches. Die letzten Eintragungen, bevor sie ihren Mann erschlägt, sind:
„Er hat mich eine fischige Drecksau genannt. Er hat mir wieder kein Geld für Margarine, Brot und Kerzen gegeben… Er will sein Testament ändern und mich enterben… David hat mich wieder getreten.“
Dieser Roman ist so wild wie das Meer, an dem es spielt; so derb, wie die Menschen auf der Insel des Mondes; so dramatisch erzählt – wie eben die Kerle erzählen in den Kneipen, wenn sie vom Fischfang nach Hause kommen und sich bewusstlos trinken.
Dirk Koch: Murt. Books on Demand, 17.90 Euro.
Markiert (Zitate aus dem Roman)
Über dem Dach dreht sich der Tod im Wind. Der Lehrer hat die schwarze Blechgestalt im langen Kapuzenmantel, das Stundenglas in der Hand, die Sense über der Schulter, beim Hufschmied in Auftrag gegeben.
Der Lehrer weiß, dass die Leute sich fürchten. Er hat seinen Spaß daran. Der junge Priester auch, der ihn oft abends besucht und ihm glucksend Beichtgeheimnisse aus der Nachbarschaft zutuschelt, wer Unzucht hatte mit einem Schaf…
*
„Hass ist, wenn Du einen töten kannst, und es tut Dir nicht leid hinterher“, sagt der Großvater. Früher hätte er die Briten gehasst, die gottverdammten Unterdrücker des irischen Volkes, „das Gott auserwählt hat“, so richtig gehasst. Jetzt nicht mehr. „Lohnt sich nicht“.
Thüringer Allgemeine, geplant für 26. Januar 2013