Journalisten erfinden neue Wörter: Heribert Prantl und die „Dresdner Republik“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 29. Februar 2016 von Paul-Josef Raue.

Wörter fallen nicht vom Himmel. Selbst fromme Bürger, die eh einer aussterbenden Spezies angehören, glauben nicht mehr, dass Gott oder ein anderes höheres Wesen in unsere Sprache hineinfährt wie ein Blitz.

Wörter werden gemacht, zum Beispiel von Journalisten, zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, unserer bedeutendsten nationalen Zeitung. Im Leitartikel der Samstag-Ausgabe erfindet Heribert Prantl gleich zwei neue Wörter und bietet dem staunenden Leser drei Spezialbegriffe an, die dort am besten aufgehoben sind, wo sie hingehören: In die Fachsprachen oder dem Reservat der Bildungshuberei.

Wissen Sie, was „Aberratio“ bedeutet? Oder „ „incidenter“, ohne in einem Lexikon nachzuschlagen? Die Fragen dürften in einem TV-Quiz zu den Millionen-Preisfragen zählen. Also –

Aberratio können zumindest humanistisch Gebildete enträtseln: Das lateinische Wort kreist um den Irrtum. Vor allem Menschen, die gerne ihre Bildung vorzeigen, nutzen die alten Vokabeln und zeigen ihre Überlegenheit, indem sie das Wort für die Ungebildeten gleich übersetzen: ein großer Bohei, ein großer Irrtum.

Heribert Prantl nutzt gleich drei Wörter für einen Irrtum in einem einzigen Satz seines Leitartikels!

  • Bohei aus der Umgangssprache – ein Wort, das der Duden erst vor zwölf Jahren auflistete;
  • Irrtum aus der Alltagssprache und
  • Aberratio, das der Duden den Fachsprachen zuordnet.

Incidenter stammt auch aus dem Lateinischen, zählt zum Bestand der Bildungshuberei, hört sich bedeutend an, bedeutet aber nur „beiläufig“ – also etwas, was man am Rande erwähnt.

Rezivilisierende Wirkung ist eine klassische Neuschöpfung, die allerdings nur schwer zu enträtseln ist. „Zivilisieren“ ist eine Art Integration: Wie bringe ich Fremden unsere westliche Kultur bei? Das „Re“, das Zurück, wäre also die Umkehr der Zivilisation, die Rückkehr in den alten Zustand der Barbarei.

Wer will das? Was soll es bedeuten in dem Satz:

Ein NPD-Verbot schon im Jahr 2003 hätte vielleicht eine gewisse rezivilisierende Wirkung (auf die rechtsradikale Szene) gehabt.

Aber wahrscheinlich ist nur die Wortschöpfung missglückt: Streichen wir das Wort, damit es nicht eines Tages im Duden auftaucht.

Dresdner Republik ist eine neue, eine polemische Schöpfung: So würde die Bundesrepublik sein, wenn Pegida herrschte oder die AfD. Es ist ein fieses Wort: Es suggeriert, dass die Mehrheit der Dresdner und der Ostdeutschen so denken wie eine Pegida-Anführerin, die auf einer Kundgebung zur Gewalt rief:

Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, würden sie diese volksverratenen Eliten aus den Parlamenten, den Gerichten, den Kirchen und den Pressehäusern prügeln.

„Dresdner Republik“ erinnert an „Weimarer Republik“, die zu schwach war und Hitler an die Macht brachte. Wir sollten die „Dresdner Republik“ schnell wieder vergessen.

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Thüringer Allgemeine, erweiterte Fassung der Kolumne „Friedhof der Wörter“ vom 7. März  2016 (geplant)

Quellen:

 

 

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