Präsenz – ein einfältiges, unbrauchbares Wort (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Das hat Reich-Ranicki nicht verdient! „Seine Präsenz“ überschreibt TV-Weggefährte Hellmuth Karasek einen Nachruf in der Literarischen Welt. Präsenz ist ein Allerweltsbegriff  wie Bereich oder Massnahme, bedeutet alles und nichts und verweist nur auf die Denkfaulheit des Autors, sich genau auszudrücken.

Präsenz, dem Lateinischen und Französischen entlehnt, bedeutet: Anwesenheit, Gegenwart – mehr nicht. „Die Gewerkschaft fordert mehr Präsenz der Polizei auf den Straßen“, ist ein Mode-Satz in einer Pressemitteilung, gerne auch von Zeitungen übernommen; so wäre er trefflich übersetzt: Polizisten sollen mehr Streife fahren.

In einem anderen Pressetext steht:

Dieses Wissen soll dazu führen, Schnelltests zu entwickeln, mit denen die Präsenz solcher Gifte nachweisbar ist.

In diesem Satz kann man „die Präsenz“ einfach streichen, und der Satz wäre kürzer und der Sinn klarer. Denn: Was nachweisbar ist, auch auch anwesend.

Und wer sich schämt, einen Körper erotisch zu nennen, der schwadroniert so:

Die sinnliche Präsenz der Körper hat auch eine erotische Note.

Kehren wir zu Karaseks Nachruf zurück: Der Autor mag dem Redakteur die schändlich einfallslose Überschrift „Seine Präsenz“ anlasten. Allerdings steht im Text:

Reich hat eine Präsenz in der deutschen Kultur, die aus seiner Entschiedenheit, aus seiner produktiven Streitlust und aus seinen Bühnentalenten besteht…

Im Nebensatz stehen die starken Wörter: Entschiedenheit, Streitlust, Bühnentalent; im Hauptsatz das schwache Wort Präsenz. Was meint Karasek damit? Stellenwert (auch schwach), Bedeutung (noch schwach), Größe (besser), Ausstrahlung (empfiehlt der Duden). Hat Reich-Ranicki nicht Größeres verdient?

Im Duden ist auch der „Präsenzdiener“, ein österreichisches Wort, zu finden: Der Soldat, der den Grundwehrdienst leistet. Früher nannte man ihn „Schütze Arsch“ – derb, aber klar.

Thüringer Allgemeine, geplant für den 30. September

Kommentare auf Facebook:

Anton Sahlender gefällt das:
„Kann es nicht sein, dass Präsenz im Laufe der Zeit im Sprachgebrauch eine stärkere Wirkung entwickelt hat als z. B. Anwesenheit? Ich empfinde es so…“

Petra Breunig: …Präsenz im Sinne von Ausstrahlung…

Paul-Josef Raue: Wörter, die immer allgemeiner gebraucht werden, dürften nicht stärker, sondern schwächer werden. Präsenz hat immer eine spezifische Bedeutung, die wir dann auch benennen sollten – etwa Ausstrahlung. Klare Bedeutung, klarer Sinn, klare Wörter. Und oft genug kannst Du Präsenz einfach ersatzlos streichen.

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