Kann man den Mittag essen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 2. Juni 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 2. Juni 2012 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

„Die Eltern gehen Mittag essen.“ So stand es in der Zeitung. Ein eifriger Leser stutzte und schrieb: „Ich persönlich hätte erstens: Mittagessen zusammen geschrieben; zweitens gefragt: Kann man überhaupt Mittag essen?“

Er entschuldigt sich mit einem englischen Wort, das mittlerweile selbst verzweifelt kämpfende Sprachpfleger schätzen: „Sorry, wenn ich etwas zu spitzfindig bin oder kleinkariert.“

In der Tat kann man den „Mittag“ nicht essen, er ist eine Tageszeit, somit ungenießbar. Doch selbst die Zeitangabe ist schon aus dem Wort entwichen.

Die Mitte des Tages ist der „Mittag“, ist, so der Dichter, die Bezeichnung der Zeit, „da die Sonne gleich weit vom Aufgange wie vom Niedergange steht“. Folglich müsste das Wort, regelrecht, mit drei „ttt“ geschrieben werden: Mitt-tag“.

Doch unsere Alltagssprache kümmert sich nicht immer um Regeln, sie plappert daher und ist dennoch verständlicher als manche Expertensprache. „Mittag essen“ meint „zu Mittag essen“, ist eine Verkürzung, die das Volk, sparsam und wortkarg, erst hingenommen, dann übernommen hat.

Goethe schrieb den Mittag und das Essen noch zusammen: „Wir bestellten uns auf morgen ein Mittagessen.“ Der Duden trennt den „Mittag“ und das „essen“, nicht ohne Sinn, denn „zu Mittag essen“ zwingt zur Getrenntschreibung.

Mit Goethe könnten wir auch anders schreiben. Doch immer wenn des Volkes Sprache zum Allgemeingut wird und in den Duden wandert, ist es zweckmäßig, sich auf eine Regel zu einigen – bis zur nächsten Änderung.

(nach der Thüringer Allgemeine vom 29. Mai 2012)

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