Wird die deutsche Sprache zu einer Kolonie des Englischen? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 21. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 21. Juli 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Anglizismen über Anglizismen unter den fünftausend Wörtern, die Redakteure in den neuen Duden aufgenommen haben: Crossdressing, E-Book-Reader, Facebook, Mikropayment, Shitstorm und andere mehr. Wird die deutsche Sprache zu einer Kolonie des Englischen?

Wer auf diese Frage mit Ja antwortet, der prüfe sich:

> Wie hoch ist der Anteil der englischen Fremdwörter im neuen Duden?
a) 3,7 Prozent
b) 18,9 Prozent
c) 40,1 Prozent

> Hat sich die Zahl der englischen Wörter im vergangenen Jahrzehnt vermehrt?
a) Nein, unverändert
b) ein Viertel mehr
c) doppelt so viel

> Aus welcher Sprache stammen im neuen Duden die meisten Fremdwörter?
a) Englisch
b) Latein
c) Französisch
d) Griechisch

Ich muss alle enttäuschen, die über den Untergang der deutschen Sprache klagen:

> Gerade mal 3,7 Prozent der Fremdwörter stammen aus dem Englischen;

> die Zahl ist ähnlich hoch wie vor einem Jahrzehnt;

> das Englische steht in der Rangliste der Fremdwörter-Herkunft erst auf dem dritten Rang, gemeinsam mit dem Französischen; fast 6 Prozent stammt aus dem Lateinischen, gefolgt vom Griechischen mit 4 Prozent.

Sprache wandelt sich, entgegen unserem Eindruck, nur sehr langsam. Die Griechen hatten in der frühen Geschichte des Abendlands ein großen Einfluss auf die Römer; geblieben sind bis heute die Gräzismen wie Alphabet, Butter, Ironie und Tachometer.

Die Römer hatten einen großen Einfluss auf die Deutschen, weil Gelehrte, Adlige und Priester im Mittelalter die lateinische Sprache nutzten – bis Luther kam; geblieben sind Adapter und Bürger, Kruste und Laktose.

Erst spät fanden die höheren Stände das Französische so chic, dass viele Wörter, Gallizismen genannt, in unsere Sprache eintauchten, vom Adieu über die Broschüre bis zu Portemonnaie und Frisör.

Das Abendland geht also noch nicht unter, unsere deutsche Sprache erst recht nicht. Daraus zu folgern, hemmungslos alles Englische aufzusaugen, ist dennoch töricht.

Wo immer ein deutsches Wort besser ist, verständlicher und kürzer, sollten wir es nutzen: Das elektronische Buch, das E-Buch, ist dem E-Book überlegen. Im Duden stehen beide, beim Buchhändler finden Sie durchweg ein E-Book. Warum nur?

erweitere Fassung der Kolumne „Friedhof der Wörter“ in der Thüringer Allgemeine, 22. Juli 2013

Kommentare auf facebook

von Manfred Günther (21.7.13):

„Wehe unserer Sprache, wenn Fremdwörter ein Muster des Geschmacks würden.“
Johann Gottfried Herder (1744 – 1803),
der auch gesagt hat:
„Ein Volk hat keine Idee, zu der es kein Wort hat.“

von Thomas Bärsch (21.7.)

Unsere Sprache steht doch noch nicht am Rand des Abgrunds; Paul-Josef Raue rechnet es vor.

2 Kommentare

  • […] einem heute veröffentlichten Blogeintrag erklärt Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, warum es um unsere schöne […]

  • Nun, ich würde wie folgt antworten: Noch nicht, aber „gefühlt“ dringen immer mehr Anglizismen in die deutsche Sprachwelt ein.

    Da ich oft in den USA bin, stelle ich fest, dass auch dort Germanismen einziehen, weil man bestimmte Begriffe nicht 1 : 1 übersetzen kann. German Angst kennt jeder, Kindergarten auch. Aber in diesem Jahr fand ich in einer renommierten Zeitung auch den deutschen Begriff Schadenfreude mitten in einem englischen Satz.
    Ich denke, dies ist vor allem ein Ergebnis der Globalisierung.

    Bei uns gibt es aber noch ganz andere Stilblüten. Das Partizip Präsens (studierend, singend, laufend, radfahrend, mitarbeitend oder mithelfend) bezeichnet ein momentanes Geschehen, das seinem Wesen nach gerade abläuft. Das ändert sich auch nicht durch die Substantivierung. Beim Mitarbeiter oder Sänger handelt es sich um einen Status. Das Problem zeigt sich, wenn das Substantiv mit einem Partizip Präsens verbunden wird. Wenn berichtet wird, Mitarbeiter seien im Schlaf ermordet worden, handelt es sich nicht um schlafende Mitarbeitende, sondern um schlafende Mitarbeiter. Niemand kann gleichzeitig schlafen und mitarbeiten. Singende können auch nicht gleichzeitig schlafen! Sänger können schlafen und dann singen. Studierende können ebenfalls nicht schlafen und gleichzeitig studieren, was Studenten jedoch sehr wohl können (schlafend studieren bleibt allerdings noch ein Traum).
    Student ist laut Duden ein Status- bzw. Gattungsbegriff. Medien verwenden weiterhin ganz überwiegend Gattungsbegriffe. Letztlich geht es bei der Bezeichnung Studierende (der/die Studierende, die Studierenden), Mitarbeitende oder Mithelfende um eine unkorrekte Wortschöpfung eines bestimmten politischen Milieus, das glaubt, damit gendergerecht zu formulieren („Frauen sprachlich sichtbar machen“). Explizit schließt man jedoch genau gegenteilig alle anderen Geschlechter damit aus, und das ist wirklich diskriminierend, gemessen am Maßstab der Protagonisten des sog. Genderismus sogar rückwärtsgewandt, reaktionär.
    Das Bundesverfassungsgericht erklärte in diesem Jahr ein drittes Geschlecht höchstrichterlich als Gegebenheit an.
    In Deutschland führen die Gegner einer natürlichen, im Volk entstehenden Sprachentwicklung eine Art sprachlichen Kulturkampf. So empfinde ich das. Über konstruierte Sprache, von oben verordnet, will man ein bestimmtes Denken erzeugen. Das hat missionarischen Charakter.

    Generische Begriffe haben als Gattungstermini die unschätzbaren Vorteile, sowohl alle Geschlechter einzubeziehen als auch integrativ zu wirken! Diskriminierung und Desintegration betreiben diejenigen, welche die Geschlechter auf lediglich zwei reduzieren,
    z. B. bei der Anrede „Liebe Kolleginnen und Kollegen“. Ich gestehe jedoch, auch ich beginne als Mann eine Rede wegen der anerzogenen Höflichkeit, beruhend auf Sitte und Tradition, stets mit „Sehr geehrte Damen und Herren“. Ist das wegen der impliziten Diskriminierung nicht längst überholt? Nein! Der Duden formuliert dazu, „in der persönlichen Anrede“ sei die feminine und maskuline Anredeform in Ordnung. Gut, also bleibt es ja doch dabei. Eine Frau sollte dann aus Gründen der Höflichkeit analog eine Ansprache mit „Sehr geehrte Herren und Damen“ beginnen. Starke, selbstbewusste Frauen machen das auch. Die frühere Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn machte das meistens bei Anreden konsequent.

    Besonders seltsam finde ich, dass viele Feministen, z. B. im Sport von Mädchen- und Frauenmannschaften sprechen, denn es gibt doch ganz Duden konform sowohl eine Mannschaft (Männer) als auch eine Frauschaft (Frauen). Das kann jeder nachlesen. Hier wird der ideologische Hintergrund manifest. Daher redet man in Feministenkreisen gerne auch „neudeutsch“ lieber von Teams. Hilft aber nicht, denn ein Team ist eine Mannschaft. Es besteht auch nicht aus Teamern und Teamerinnen oder aus Mitgliedern und Mitgliederinnen, oder aus Manager und Managerin oder Teenager und Teenagerin oder Teacher und Teacherin. Ich weiß, schlimmer geht immer. Die Bezeichnung Teamer und Teamerin ist dämliches Eindeutschen frei nach dem Motto „am FeministInnenwesen soll die ganze Welt genesen“, früher war es mal das deutsche Wesen! Alter Wein in neuen Schläuchen.
    Eine typisch deutsche Denke?!
    Beim sog. Gendern geht es ausschließlich um Interessen von Frauen, aber bestimmt nicht um Antidiskriminierung, Gleichberechtigung, Geschlechtervielfalt, Geschlechterdemokratie, Gleichstellung oder gar Geschlechtergerechtigkeit. Ziel ist die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse, in deren Sprachduktus die „Umkehrung der Machtverhältnisse.“ Die sog. gendersensible Sprache ist dabei ein Mittel zum Zweck. Damit mutiert sie zur Ideologie.

    Wer jedoch schlicht das kopiert, was er vorher kritisierte, der ist unglaubwürdig.
    Zunächst werden die Netzwerke der Männer von Feministinnen kritisiert, dann von Frauen kopiert. Wenn Männernetzwerke patriarchalische Strukturen spiegeln, was spiegeln denn dann die Frauennetzwerke? Es könnte ja auch sein, dass Off- und Online-Netzwerke schlicht eine Erfolgsstrategie darstellen.
    Ideologie kennt keine Logik und Logik – das ist die gute Nachricht – kennt keine Ideologie. Da bin ich meinen Latein- und Deutschlehrern bis heute dankbar. Sie lehrten uns Schüler Kritik und die Bemühung des eigenen Verstandes, ganz im Sinne von Immanuel Kant. Und das ist auch gut so.

    Auch künftig werde ich daher mein fürs Leben gelerntes Deutsch sprechen und schreiben. Sprache muss nicht nur les-, sondern auch flüssig sprechbar bleiben. Ein sog. Binnen-I- kann man nicht sprechen. Es ist schlicht nicht hörbar, auch nicht durch Überbetonung oder künstliche Pausen. Und diesen X-, Unterstrich- oder Sternchenunsinn (Lehrer_innen, Schüler*innen, Dozent_*innen oder Professx) machen meist Leute mit, die allem und jedem hinterherlaufen. Hauptsache, es kann Neues konsumiert werden. Gruß an alle Lemminge, die mal wieder auf eine Ideologie hereinfallen, anstatt sie kritisch zu hinterfragen.

    Der Plural kennt keine speziellen Geschlechter. Er beinhaltet alle!

    Neulich las ich in einer seriös gemeinten Formulierung im Rahmen einer Ausschreibung den Begriff „Redaktionsmitgliederinnen und -mitglieder.“ Das ist völlig sinnfrei.
    Früher war nicht alles besser als heute, aber in der Schule lernte man im Deutschunterricht noch etwas über das generische Femininum (die Leiche, die Hebamme, die Berühmtheit, die Person, die Leute, die Fachkraft, die Führungskraft, die Putzkraft, die Koryphäe, die Horde, die Geisel, die Aufsicht, die Wache, die Waise, die Katze, die Amsel), das generische Maskulinum (der Krüppel, der Star, der Typ, der Engel, der Feigling, der Bürger, der Mensch, der Buschmann, der Arzt, der Täter, der Student, der Jugendliche, der Polizist, der Helfer, der Politiker, der Gärtner, der Schweizer, der Hund, der Vogel) und das generische Neutrum (das Opfer, das Kind, das Vorbild, das Mitglied, das Lebewesen, das Rumpelstilzchen, das Arschloch, das Tier, das Pferd, das Federvieh). Damit sind immer alle inkludiert. Niemand wird diskriminiert oder fühlte sich ausgeschlossen. Der Plural kennt gar kein spezielles Geschlecht, alle sind gemeint, so lehrte mich das früh unsere Deutschlehrerin. Wir sagen „lass uns zum Chinesen, Mexikaner, Vietnamesen gehen“ – oder schon mal gehört „wir gehen zur Mexikanerin“? „Der Mexikaner“ ist so ein typisches generisches Maskulinum.
    Ausgerechnet erst die sog. geschlechtersensible Sprache schafft es, wie oben im „Redaktionsbeispiel“ belegt, sinnlose sprachliche Erfindungen zu produzieren. Offiziell gibt es nun drei. An dieser Stelle fällt mir auch das Gender Mainstreaming ein, welches im Kern rückwärtsgewandt auch nur zwei Geschlechter kennt. Das kann man folgerichtig seit diesem Jahr reaktionär nennen. Ja – auch links kann reaktionär sein.

    Gutes Deutsch und gutes Sprachverständnis sind zeitlos. Warum konstruieren manche Menschen schlechtes Deutsch unter dem Deckmantel der Sprachentwicklung?
    Gehört Formulierungsfreiheit nicht mehr zur Meinungsfreiheit? Wird hier durch die Hintertür die Freiheit der Sprache auf dem Altar der Moderne geopfert? Wer „Motor einer Gesellschaft“ sein will, der hat politische Bildung nicht verstanden. Politische Bildung informiert, klärt auf, diskutiert kontrovers und motiviert Menschen zur eigenen Meinungsbildung. Wer aber bestimmte Meinungen protegiert, manipuliert oder vorgibt, der betreibt Politik, nicht jedoch politische Bildung. Sprachfreiheit ist ein Spiegel der Meinungsfreiheit

    Beleidigungen sollten selbstverständlich nicht zur Sprachfreiheit gehören. Wenn aus Hinweisen und Empfehlungen – als solche werden Leitfäden gerne verharmlosend interpretiert – in der Praxis ein Verbindlichkeitsanspruch hergestellt wird, dann ist was faul, und spätestens an dieser Stelle sollten aufgeklärte Menschen in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft aufhorchen. Über zivilen Ungehorsam sollte man nicht nur philosophieren, sondern ihn mutig praktizieren. Das ist eine individuelle Angelegenheit und erfordert Mut..

    Die englische Sprache ist in dieser Frage einfach und klar: Wenn man den Satz „the students, teachers and managers are learning together“ wörtlich aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, dann übersetzen sog. Genderisten ihn immer fehlerhaft. Meine Frau möchte nicht mit Managerin angesprochen werden. Sie weiß, dass sie eine Frau ist. Das müssen ihr keine Feminismus-Protagonisten erst belehrend mit dem gläsern erhobenen Zeigefinger sagen.
    Eine „study nurse“ in einer Klinik ist übrigens ein Beispiel für ein generisches Femininum in der englischen Sprache. Es kann sich um eine Frau oder auch einen Mann oder ein ganz anderes Geschlecht handeln!
    Karl Popper meinte zum Thema Meinungsfreiheit: Wer sie nicht gewährleiste, der habe keinerlei Respekt vor seinen Mitmenschen, fühle sich selbst überlegen, schwinge sich zum Richter über wahr und falsch auf und bringe andere um die Freiheit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Wer Meinungsfreiheit nicht gewährleiste sei „ein Feind der Demokratie.“

    Fazit:
    Nicht die Anglizismen in der deutschen Sprache sind das Hauptproblem, sondern es sind die im Kern reaktionären Sprachkonstruierer und –Kontrolleure, die jenen Ungeist spiegeln, den Karl Popper meint. Wer anderen Menschen Meinungen vorschreiben, verbieten oder entfernen will, der tut dies aus Mangel an Toleranz und Respekt Andersdenkenden gegenüber. Respekt und Toleranz sind keine Einbahnstraßen.

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