Wie lange will die Redaktion noch von Beate Zschäpe berichten? Es reicht (Leser fragen)

Geschrieben am 1. August 2015 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 1. August 2015 von Paul-Josef Raue in G. Wie Journalisten informieren.
Eine „treue Leserin“, die ihren Namen verschweigt, schickt an den Chefredakteur der Thüringer Allgemeine eineTrauerkarte, wie man sie zu einem Todesfall versendet, packt dazu einen Bericht über den Zschäpe-Prozess und fragt: „Wie lange werden noch Seiten von Ihrer Zeitung damit gefüllt?“Sie ergänzt die Frage mit diesen Kommentaren: „Das Geld könnte wirklich an anderen Stellen nötiger gebraucht werden. Die Dame spielt doch mit der Justiz.“
Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“:
Werte treue Leserin,Sie haben Recht: Beate Zschäpe spielt mit Richtern, Opfern, Nebenklägern und mit ihren Verteidigern – und sie spielt mit unserem Rechtsstaat. Sie hasst offenbar unsere Demokratie, sie zählt sich zu einer Bande, die mit Menschen, die sie zu Opfern erklären, kurzen Prozess machen; wahrscheinlich verachtet sie auch uns, die mit ihr im Gerichtssaal und in der Öffentlichkeit fair umgehen.

Wenn Zschäpe und ihre Mitstreiter, wenn Neonazis und Terroristen die Macht hätten, dann bekämen wir eine Justiz der kurzen Prozesse. Wir wissen von den Diktaturen in Deutschland, wie ein Staat das Recht beugt: Die Urteile stehen schon vorher fest, sie werden von oben den Richtern diktiert; es geht nicht um die Wahrheit, es geht um Exempel, die statuiert werden, es geht um das Schüren von Angst. Solch einen Unrechtsstaat wollen wir nicht mehr.

Es würde Beate Zschäpe so passen, wenn wir nichts mehr berichteten, wenn der Prozess platzte, wenn wir einfach zur Tagesordnung übergingen. Doch wir bleiben dabei, wir hören aufmerksam zu. Der Prozess macht an nahezu jedem Tag deutlich: Es geht nicht nur um eine Frau, die uns nicht in die Augen blicken will, sondern um einen großen Kreis von Sympathisanten, der eine beispiellose Mordserie ermöglicht hat.

Wir schauen in den Untergrund unserer Gesellschaft, der noch lebendig ist. Das ist ein Grund, warum wir weiter berichten müssen: Dieser Hass auf unsere Gesellschaft verschwindet ja nicht, wenn wir ihn nicht mehr wahrnehmen – im Gegenteil: Er wuchert noch schneller.

Der zweite Grund ist unser Rechtsstaat: Wir zeigen, dass sich unsere Demokratie nicht von ihren Feinden verbiegen lässt. Und wir, als unabhängige Journalisten, und Sie als wache Leser und Bürger, achten darauf, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

Wir stellen zudem Öffentlichkeit her, damit die Unbelehrbaren sehen, wie fair wir mit denen umgehen, die unseren Staat zerstören wollen.

Sicher kostet das Geld. Aber Recht ist am Ende viel preiswerter als Unrecht.

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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 1. August 2015

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