Antisemitismus und Rechtsextremes im Leserbrief: Wie der Chefredakteur in der Zeitung antwortet

Geschrieben am 15. August 2014 von Paul-Josef Raue.

Wie können Sie behaupten, dass bei bis zu 100.000 Thüringern mit nationaler Gesinnung die NPD keine Chance hat?

So fragt ein Leser, nachdem er die Chefredakteurs-Kolumne „Leser fragen“ gelesen hatte, in der ein Offener Brief der NPD zu Wahlkampf in Thüringen und Pressefreiheit eine Antwort fand. Der Leser fährt fort:

Sie zeigen uns, dass Sie voll auf politisch gewollter Linie liegen und es eine Pressefreiheit in Deutschland zur Zeit nicht gibt!

Ich kann den Zweck Ihrer offensichtlichen Manipulationen schon verstehen. Die Thüringer gehören mehrheitlich der christlichen Religion an bzw. sind Atheisten! In Ihrer Zeitung ist seit Ihrem Amtsantritt eine andere Religionsgemeinschaft überproportional vertreten.

Glauben Sie nicht, dass die Leser das nicht bemerkt haben? Hinter vorgehaltener Hand wird schon nicht mehr von der Thüringer Allgemeinen sondern von der „Jüdischen Allgemeinen“ gesprochen!

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:

Sehr geehrter Herr S.,

Sie haben recht: Sie zählen zu den rund 250.000 Thüringern – also deutlich mehr als Ihre vermuteten 100.000 – mit rechtsextremer Einstellung. Das fand der „Thüringer Monitor“ heraus, über den wir kurz vor Weihnachten berichtet hatten.

Offenbar wählen die Rechtsextremen aber nur zum geringen Teil die NPD, wie die Umfragen und die Wahlen der vergangenen Jahre zeigen. Thüringen ist das ostdeutsche Bundesland, in dem noch nie ein Rechtsradikaler in den Landtag gewählt worden ist.

Eine Redaktion, die Freiheit und Demokratie schätzt, wird sich bemühen, dass dies so bleibt. Lenin wird der Satz zugeschrieben: „Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen.“ Die Rechtsextremen mögen ähnlich denken, wenn sie von den Demokraten und der Pressefreiheit sprechen – und sie werden sich ebenso irren, wie es Lenin tat.

Wir schätzen keine Diktaturen, wir verachten den Faschismus. Damit wir nie wieder erleben, wie Deutsche ein Volk ermorden, darum erinnern wir immer wieder an den braunen Terror – aber debattieren auch über die Irrtümer in der Geschichte der Christen, wenn wir beispielsweise Luthers Judenhass zum Thema machen.

Wir wollen erreichen, dass der Antisemitismus in Thüringen keine Zukunft hat. Und Sie haben wieder Recht: Die Zahl der Rechtsextremen hat sich in den vergangenen Jahren halbiert – und das können sie bitte verbreiten ohne vorgehaltene Hand.

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Thüringer Allgemeine, 16. August 2014

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