Aus dem Wörterbuch des Nachlatschers: Der Korrespondent und sein Badge (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 14. September 2014 von Paul-Josef Raue.

Korrespondent in Berlin, im Herzen der Macht – das muss ein toller Job sein! All die schönen Reisen: nach Washington, New York  und Madrid, nach Peking und – naja in letzter Zeit weniger – nach Moskau.

Dies sind schon reizvolle Städte mit den schönsten Museen der Welt, mit großartigen Theatern und Sehenswürdigkeiten, die man einmal im Leben gesehen haben soll. Aber der Korrespondent sieht sie nicht, er latscht immer nur hinterher – hinter der Merkel oder dem Gabriel, dem Steinmeier oder der von der Leyen.

„Nachlatscher“ nannte Kurt Kister den reisenden Korrespondenten. Kister war mal Leiter des Berliner Büros der Süddeutschen Zeitung, also ein berufsmäßiger Nachlatscher. Heute ist er Chefredakteur und latscht nicht mehr hinterher.

Im Februar 2002  hat Kurt Kister das Wort erfunden, als er mit Kanzler Gerhard Schröder zu der mexikanischen Stadt mit dem unaussprechlichen Namen fuhr: Teotihuacán. Und er schrieb, nicht ohne Selbstironie: „Im Bus saßen typische Kanzler-Nachlatscher: Beamte, Abgeordnete, Reporter.“

Nico Fried, Kisters Nachfolger in Berlin, schreibt eine der schönsten Politik-Kolumnen der Republik: „Spreebogen“, und erinnerte sich gerade erst im Spreebogen an seinen Chef und seine Wortschöpfung. „Nachsprecher“ könnte man ihn nennen, aber das wäre unfair, denn er hat ein schönes Wort wiedererfunden, das Journalisten wohl lieber beerdigten.

Als die Chefredakteure aus Thüringen vor einigen Jahren zwischen Weihnachten und Neujahr mit der Ministerpräsidentin nach Jerusalem flogen, latschten sie auch stets hinterher – und stundenlang saßen sie nach. Denn immer wenn es spannend wird, müssen die Nachlatscher draußen bleiben und warten.

Ministerpräsidentin Lieberknecht hatte eine ganz wichtige Audienz bekommen, irgendein Stellvertreter des Stellvertreters des Außenministers. Als sie endlich herauskam und – wie es so schön heißt – mit ihrem Regierungssprecher Zimmermann vor die Presse trat, fiel ihr eigentlich nur ein: Der Stellvertreter des Stellvertreters hatte sich über einen Kommentar in der Thüringer Allgemeine vom Tage geärgert.

Da hatte sich das Nachlatschen schon gelohnt.

Nico Fried erwähnt in seiner Kolumne noch einen zweiten wichtigen Begriff aus dem Wörterbuch des Nachlatschers: Der „Badge“ – ist ein Plastik-Schild als Folge der notwendigen Akkreditierung, das ein Korrespondent unbedingt tragen muss, denn ohne ist er verloren  und darf weder nachlatschen  noch nachsitzen.

Mittlerweile müssen sich Journalisten auch in Kriegen akkreditieren. Da reicht einfach die große Schrift „Press“ auf der Kleidung, um Bomber-Piloten  und Scharfschützen daran zu erinnern, nicht auf Journalisten zu schießen. Das gelingt leider nicht immer, aber dann entschuldigen sich Regierungssprecher gerne: Die Schrift war nicht gut lesbar, und es war – ein Kollateralschaden. Oder noch einfacher: es waren die anderen, die Bösen, das passt immer.

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Thüringer Allgemeine, erweiterte Fassung des „Friedhof der Wörter“, 15. September 2014

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