Nico Fried tritt zurück: Der letzte „Spreebogen“ mit viel Geschwurbel

Geschrieben am 25. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue.

Als Kurt Kister seine Samstags-Kolumne in der SZ  aufgab, um sich als Chefredakteur in vielen  Konferenzen zu langweilen, da war ich sicher: Das ist der Tod der besten Politik-Kolumne unserer Republik. Wer konnte es wagen, sich mit Kisters feiner Ironie und seinem Wissen des Politik-Betriebs zu messen, mit Kisters eigenem Erzähl-Ton und einer Melancholie, die überdeckt, wie einer an dieser Demokratie und ihren Akteuren leidet.

Fried NicoNico Fried wagte es, ein Kister-Schüler, der in die meisten seiner „Spreebogen“-Kolumnen einen Satz einschob als Running-Gag: „Wenn man einen Chefredakteur hat, der früher mal mein Büroleiter war…“ Nico Fried, seit acht Jahren SZ-Chef in Berlin, hat nicht versucht, Kister zu kopieren; er hat seinen eigenen Ton gefunden, ein wenig milder, ein wenig liebevoller. Er selbst sah sich so in einem „Spreebogen“, als sein Kollege Hulverscheidt nach Amerika ging:

Gelegentlich haben Claus Hulverscheidt und ich auch gemeinsam Artikel geschrieben, besonders gerne über Wolfgang Schäuble. Hulverscheidt war für die Fakten zuständig, ich fürs Geschwurbel. Einmal kamen wir mit so einem Text unter die letzten ichweißnichtwievielten beim Henri-Nannen-Preis, einer renommierten Auszeichnung für Journalisten. Weil die Geschichte keine Reportage war, nahm uns die Jury in die Kategorie Essay. Das war ungefähr so, als würde man bei einem Kochwettbewerb einen Toast Hawaii mit Knäckebrot zulassen. Wir haben den Preis am Ende nicht gewonnen, uns aber gegenseitig fortan voller Ehrfurcht als Essayisten angesprochen.

Eines hat Fried mit Kister doch gemeinsam: Die Liebe zu unserem Land, zur Freiheit und zur Demokratie. Beide würden abstreiten, dass es Liebe ist, Kister noch mehr als Fried. Liebe wäre zu viel Gefühl, meinten sie, wahrscheinlich.

Nun hört auch Fried auf: Welch ein Verlust! Der Samstag hatte immer ein großes Versprechen parat: Den „Spreebogen“. Wer klug war unter den Lesern, überblätterte fünfzig Seiten und schaute zuerst auf den linken Rand im Gesellschaftsteil. In seinem letzten „Spreebogen“ spricht Fried über – Rücktritte; er erzählt von den Politikern, mit denen er über ihren Rücktritt gesprochen hat: Müntfering, Merkel, Seehofer. Und dann verkündet ein großer Kolumnist seinen Rücktritt, seinen eigenen:

Ich habe neulich ein ernstes Gespräch mit mir geführt. Ich habe nicht gesagt: Tritt zurück. Ich wollte nicht blöd dastehen, wenn ich geantwortet hätte: Nö. Stattdessen habe ich mich dazu gebracht, von selbst draufzukommen. Deshalb ist dieser Spreebogen der letzte. Sonst schreibt noch einer, es sei auch höchste Zeit gewesen.

Ich schreibe es nicht, ich weiß, mir wird etwas fehlen am Samstagmorgen.

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