Das journalistische Grundgesetz des Respekts: Zehn Regeln (Respekt und Nähe, Teil 2)

Geschrieben am 21. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 21. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Presserecht & Ethik.

Der kategorische Imperativ im Lokalen lautet: Respektiere Deine Leser! Das bedeutet nicht, jedem nach dem Munde zu reden. Die Maxime, die Luther nachgesagt wird, ist gut auf den Respekt zu übertragen: Schau dem Volk aufs Maul, aber rede ihm nicht nach dem Mund!

Das ist ein Auszug aus meinem Beitrag in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung über Lokaljournalismus und Verantwortung. Es ist gerade ins Netz gestellt worden: „Respekt und Nähe“.

Hier der zweite Teil meines Beitrag in der vollständigen Fassung, geschrieben im Februar 2012; Teil 1 befasste sich mit der Berichterstattung zum Amoklauf in Erfurt vor zehn Jahren.

Die Leser der lokalen Zeitung verlangen nach Nähe, gerade weil ihnen die Globalisierung ungeheuer ist und diffuse Ängste auslöst. Die Welt ist für die meisten unbegreiflich.

Die Nähe schließt ein, dass Lokalredakteure über die Menschen, ihre Nachbarn, berichten. Das gelingt nur mit Respekt. Wer mit seinen Lesern lange und ernsthaft spricht, wird diesen Wunsch, ja diese Forderung immer wieder hören: Behandelt uns mit Respekt!

Dieser Respekt beginnt schon beim Machen der Zeitung:
• Die Leser wollen keine verspielten Überschriften, sondern verständliche – um schnell entscheiden zu können, ob sie einen Artikel lesen wollen oder nicht. Führt sie eine Überschrift in die Irre, protestieren sie: Die Redakteure nehmen uns nicht ernst!

• Die Leser wollen eine verlässliche Ordnung in der Zeitung, um sich morgens leicht orientieren zu können. Irren sie durch die Zeitung, protestieren sie: Wir stehen eine halbe Stunde früher auf, um vor der Arbeit die Zeitung zu lesen – und nicht um in der Zeitung mühsam zu suchen, was für uns wichtig ist!

• Die Leser wollen ihren Platz in der Zeitung einnehmen, buchstäblich. Sie fordern unmissverständlich: Lasst uns mitreden! Gebt uns Raum genug, um uns artikulieren zu können – auch wenn es denen oben nicht gefällt!

Noch genauer als „Nähe“ kennzeichnet „Respekt“ die ethische Haltung
eines Lokalredakteurs. Der kategorische Imperativ im Lokalen lautet: Respektiere Deine Leser! Das bedeutet nicht, jedem nach dem Munde zu reden. Die Maxime, die Luther nachgesagt wird, ist gut auf den Respekt zu übertragen: Schau dem Volk aufs Maul, aber rede ihm nicht nach dem Mund!

So ist dieser Entwurf eines Grundgesetzes des Respekts zu verstehen, zu debattieren in den Lokalredaktionen und in allen Leserzirkeln:

1. Respektiere unsere Verfassung, die verlangt: Schreibt alles unverzüglich, glaubwürdig und unbeeinflusst, was die Bürger in einer Demokratie brauchen, um mitwirken zu können.

2. Respektiere unsere Demokratie, deren Fundament die Kontrolle der Macht und der Mächtigen bildet. Fürchte nicht den Unmut der Mächtigen, wenn sie in ihrem Tun genau beobachtet werden; weiche nicht zurück vor ihrem Zorn, wenn sie ertappt werden; meide aber auch die Umarmung und zu große Nähe, die verführen und korrumpieren kann. Warte nicht darauf, dass die Nachrichten kommen, sondern grabe tief nach den Nachrichten, vor allem denen, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollen.

3. Respektiere aber auch die Integrität der Mächtigen, die – wie jeder andere – Anspruch auf Fairness haben, also gründliche Recherche, das Recht zur Stellungnahme, Unterscheidung von Nachricht und Meinung sowie Achtung vor ihrem Privatleben.

4. Respektiere die professionellen Regeln – also Achtung vor der Wahrheit, Wahrung der Menschenwürde und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit -, so wie sie im Pressekodex formuliert sind und vom Presserat kontrolliert werden.

5. Respektiere die Leser mit ihrem Anspruch, verständlich und umfassend informiert zu werden.

6. Respektiere den Wunsch der Leser, in ihrem Staat mitreden und mitwirken zu wollen. Ermutige die Bürger dazu – das ist das Gute, das jeder Journalist tun sollte. Räume den Lesern ausreichend Raum für ihre Meinungen, Anregungen und Kritik ein; verhindere keine Debatten, sondern rege sie an.

7. Respektiere den Wunsch der Leser, auch die Medien und die Redakteure kritisieren und kontrollieren zu wollen. Sei nicht der Oberlehrer, sondern der Partner und Treuhänder der Leser.

8. Respektiere die Gefühle der Leser, wenn Trauer und Leid über sie kommt. Respektiere ihre Weigerung, mit Journalisten zu sprechen und ihr Gesicht zu zeigen. Zerre nichts in die Öffentlichkeit, was ihr Leid, auch verschuldetes, noch leidvoller macht.

9. Respektiere die Ahnungslosigkeit von unerfahrenen Lesern, die oft weder die Wirkung ihrer Zitate noch die Tragweite ihres Handelns richtig einschätzen können.

10. Respektiere nicht nur die Leidenschaft der Menschen für ihre Heimat, sondern teile sie mit ihnen. Pflege eine kritische Nähe, die den Lesern zeigt: Es ist gut, hier zu leben, aber wir kritisieren, damit es noch besser wird.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 48-49 Ethik + 53 Was die Leser wollen)

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