Der Minister antwortet nicht. Oder: Was ist ein gutes Interview? (Teil 1)
Das FAZ-Interview mit Innenminister Thomas de Maizière zu seiner Kritik an der Polizei beginnen die Journalisten mit der Frage „Warum haben Sie das getan, Herr Minister?“ Der Minister beantwortet die Frage nicht, sondern schwadroniert: „Anschließend habe ich mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister telefoniert…“
Die Journalisten lassen dem Minister durchgehen, dass er ihre Frage ignoriert, sie fassen nicht nach, sondern gehen zum nächsten Thema über.
Die dritte Frage besteht aus drei Fragen:
Sollte in Köln etwas unter den Teppich gekehrt werden? Vieles war der Polizei schon in der Silvesternacht bekannt: sexuelle Übergriffe, Verdächtige mit Migrationshintergrund. Führen Sie das auf den Umgang mit Kriminalität zurück, sobald die Verdächtigen einen Migrationshintergrund haben? Ist das die Kehrseite der Willkommenskultur?
Nur zwei beantwortet der Minister.
Die siebte Frage ist keine Frage, auf die der Minister nicht antworten kann: Also nimmt er die Einladung dankbar an und schwadroniert wieder.
In Köln ist nach außen hin aber das Gegenteil passiert: Die Polizei verbreitete am Neujahrstag eine Darstellung, die all diejenigen bestätigt, die sagen, da wird uns ein Bild präsentiert, das gar nicht der Wirklichkeit entspricht.
De Maizière: Ein Generalverdacht ist genauso wenig der richtige Weg wie das Tabuisieren der Herkunft von Kriminalität. Es darf keine Schweigespirale geben, schon gar nicht darf sie von der Polizei ausgehen.
Die neunte Frage ignoriert der Minister einfach und macht ein eigenes Thema auf:
Gewalt gegen Asylbewerberheime, Gewalt in Asylbewerberheimen, Gewalt auf öffentlichen Plätzen. Hat die Polizei noch die Kontrolle?
De Maizière: Ich will den Bogen etwas weiter spannen. Es gibt weit über die Vorfälle in und um Asyleinrichtungen hinaus eine Tendenz zur Verrohung sowohl der Sprache als auch des Verhaltens in wachsenden Teilen der Gesellschaft. Das hat ein Ausmaß angenommen, das nicht hinzunehmen ist…
Nach der 18. Frage korrigiert der Minister die Journalisten und stellt die Frage, die er für die richtige hält:
Nach den Kölner und anderen gewalttätigen Vorfällen fragt man sich außerdem: Was ist mit dem Entzug des Aufenthaltstitels?
De Maizière: Da stellt sich zunächst die Frage: Wirkt sich die Strafbarkeit auf die Erteilung von Asyl aus? Geltendes Recht ist, dass bei einer Strafe von drei Jahren eine Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist…
Was macht ein gutes Interview aus:
- Die Journalisten fassen nach, wenn die Frage nicht beantwortet wird – solange sie eine Antwort bekommen oder dem Leser klar wird, dass der Gast nicht antworten will. Ein Interview mit einer unbeantworteten Frage zu beginnen, ist zumindest unglücklich.
- Journalisten stellen immer nur eine Frage, sonst laufen sie Gefahr, dass sich der Gast die Frage aussucht, die ihm gefällt.
- Wenn sie keine Frage formulieren, sondern Fakten präsentieren oder Meinungen äußern, müssen sie darauf achten, dass ihr Gast darauf reagiert.
- Korrigiert der Gast eine Frage zu Recht, dann ändert man in der Autorisierung die eigene Frage: Nicht nur der Gast kann seine Antworten ändern, auch die Redaktion ihre Frage – vor der Autorisierung selbstverständlich. Fragen und Antworten müssen aufeinander abgestimmt sein.
Gerade wenn ein Interview autorisiert wird, lassen sich in der zum Druck vorgesehenen Fassung manche Unebenheiten des Gesprächs ausgleichen – auf beiden Seiten. Ein Interview mit einem unsicheren Minister zu einem heftig diskutierten Thema ist nicht einfach zu schreiben, zumal – so ist zu vermuten – nur wenig Zeit bestand, es von einer sperrigen Presseabteilung autorisiert zu bekommen; dennoch sollten einfache Regeln beachtet werden wie „Nachfassen“ oder „klare Fragen stellen“. Der Leser verlangt es.
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Quelle: FAZ, 9. Januar 2016, Seite 2 „Es darf keine Schweigespirale geben“
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Lieber Herr Raue, bitte geben Sie Herrn de Maizière noch den richtigen Vornamen (Thomas) ;-). Den Kommentar können Sie gern auch „unveröffentlicht“ lassen.
Viele Grüße, Michael Agricola
Danke – ist geschehen. Man merkt, dass ich lange schon im Osten arbeite.
Was ist ein gutes Interview?
Was ist ein gutes, letztendlich „gedrucktes“ und scheinar geglücktes Interview?
Was sich gelegentlich in knappen Sätzen so liest wie eine spannende,
das Lesepublikum fesselnde harte Konfrontation zwischen Journalisten
und einem prominenten Politiker ist oftmals schon vor dem Andruck
schon eine Inszenierung. Der Politiker weiß dies, der Journalist ebenfalls.
Manchmal zeigt sich ein Politiker erstaunt, wenn er es mit einem
Redakteur zu tun hat, den er sich vorher nicht hat ausrechnen können.
Der widerspricht in eigener Sachkenntis etwa der Situation vor Ort auch
gewissen politischen Allgemeinbotschafften des Interviewten.
Abgesehen davon dauert ein solches Interview in der Regel
mindestens ein Stunde. Ein Minister etwa reist mit seinem Pressetross an,
der ihn abschirmt und unter Kontrolle hält. Ein Interview mit hochrangigen
Politikern zu führen bedeutet aus Sicht der Redaktion stets sauharte Arbeit.
Das in Text gefasste Interview muss schließlich noch „autorisiert“ werden.
Meist geschieht dies erst kurz vor den üblichen Andruckzeiten. Damit komme
ich wieder darauf zurück, dass ein gutes Interview mit einem Politiker stets sehr
viele Kräfte in der Redaktion bindet. Man kann dies nur umgehen, wenn man sich
in einem eigenen Artikel nur die wesentlichen Zitate autorisieren lässt. Damit ist
allerdings eine gewisse Leseanspannung heraus. Ein gutes Wortlaut- Interview
funktioniert immer dann,wenn man aus Erfahrung heraus weiß oder ahnt,
an welchen Themen das Lesepublikum interessiert ist. Man muss sich
also genau überlegen, wie man welche Fragen oder Nachfragen anbringt.
Maximal 4Fragen hatte ich mir stets notiert und je nach Reaktion einige
wenige Nachhakereien. Es ist auch ein zusätzliches Problem,
dass Journalist/Politiker einander sich bei einem Interview in grundsätzliche
Diskussionen verwickeln .Dies ist mir gelegentlich passiert mit Politikern jedweder Couleur, oftmals nicht zu vermeiden. Viele Politiker zeigen sich je nach Tageslaune offen und bekennen einige Ratlosgikeit. Solches wird natürlich nicht gedruckt, weil niemals autorisiert.
Ich darf konkretisieren, dass ich mit Johannes Rau und Edmund Stoiber zu tun hatte. Im Bad Kissinger Redaktionsraum erklärte Max Streibl seinen Rückttritt. Kein Kommentar.