Ausgewogenheit oder Das Ende des politischen Journalismus
Minister X. ruft die Hauptstadt-Redaktion Y. an, die viele Zeitungen beliefert:
„Ich habe eine Nachricht für sie, mit der Sie in die Tagesschau kommen.“ –
„Worum geht es?“ –
„Was mit Rente, mehr kann ich noch nicht sagen.“
„Okay, wann? Wir kommen, wie gewohnt, mit drei, vier Leuten zum Interview. Bereiten Sie bitte schon mal eine Kurzfassung der Nachricht vor.“
In der Tat: Die Nachricht erscheint in der Tagesschau – „nach Informationen von Y. will Minister X. die Rente…“ Der Minister freut sich, die Redakteure freuen sich, die Verleger und Gesellschafter freuen sich, weil sie in der „Tagesschau“ erwähnt werden. Und alle sagen sich: Wir sind wichtig!
Zwei Zitate aus Ulrike Kaisers Newsletter der „Initiative Qualität“:
„Eine Berichterstattung, die es für Objektivität hält, den Politikern möglichst ausgewogen das Mikrofon hinzuhalten, und für Wahrheit, möglichst schnell und unverfälscht zu verbreiten, was sie sagen, ist kein Journalismus, sondern nur die Exekution einer politischen Agenda.“ (Harald Staun in der FAZ über politischen Journalismus)
„Wir müssen eben nicht jeden Mist abbilden, nur weil er aus dem Mund eines Bundestagsabgeordneten oder eines Parteivorsitzenden kommt.“ (Monitor-Chef Georg Restle im „journalist“)
„Die Bürger haben das Vertrauen verloren“ – Interview zu „Chemnitz“ im Südkurier
Herr Raue, dass ein rechter Mob die Straßen in Chemnitz beherrscht, haben Sie so etwas kommen sehen?
Im Osten muss man wahrscheinlich viel öfter als im Westen damit rechnen, dass so etwas passiert. Nach den Vorkommnissen der letzten Tage muss man schlicht und einfach sagen, dass vor allem die Polizei und die Politiker in Sachsen, aber auch in den anderen Bundesländern damit rechnen müssen. Wenn man sich das erbärmliche Schauspiel anschaut, wie der Polizeipräsident bei der Pressekonferenz auftrat, oder dass der Bundesaußenminister sich schämt, dass das Ausland jetzt auf uns schaut, dann muss man sagen: Sie müssen wissen, dass der Rechtsradikalismus im Osten keine Banalität ist, die man vernachlässigen könnte.
Was gerade in Chemnitz passiert ist, das hat in Sachsen System. Gerade in den letzten Jahren gab es ja immer wieder dramatische rechte Vorfälle. Wie konnte es so weit kommen?
Ich glaube, dass ein Großteil der Bürger dort das Vertrauen in die politische Führung verloren hat. Das ist seltsamerweise in Sachsen sehr verbreitet. Sachsen ist ein wirtschaftlich erfolgreiches Bundesland, neben Thüringen das erfolgreichste im Osten, das zum Teil mit süddeutschen Bundesländern mithalten kann. Es hat nach der Wende mit Kurt Biedenkopf einen Ministerpräsidenten gehabt, der in der politischen Bildung nicht der stärkste war, der aber für die Menschen einen Wohlstand geschaffen hat, mit dem sie leben können. Von den äußeren Bedingungen passt das also nicht zu einer solchen Entwicklung. Was genau dort schief läuft, ich glaube, das weiß keiner so recht.
Erschreckend ist ja auch, dass sich die Hitlergrüße in Chemnitz in der braunen Menge gar nicht mehr zählen ließen, so viele waren es.
Wir erleben auch im Westen, dass Ausländer gejagt werden, also Szenen, die unwürdig sind für dieses Land. Man muss sich auf die Suche nach den Ursachen machen und vor allem fragen, wie es sein kann, dass die grausame Zeit des Nationalsozialismus wieder als Lösung für die Gegenwart gesehen werden kann.
Die Polizei hatte trotz mehrerer Hundertschaften und Wasserwerfern keine Chance gegen die grölenden Neonazis, die sich unglaublich schnell zusammengerottet hatten. Das zeigt ja
auch, dass es in Sachsen eine ganz andere Basis gibt.
Ja, wobei wir es hier mit dem Phänomen der sozialen Netzwerke zu tun haben. Ich glaube nicht, dass es unbedingt mehr Leute sind, aber diese sind natürlich viel schneller zu mobilisieren. Man
muss sich nur anschauen, wie Rechtsradikale im Osten Konzerte organisieren und die Leute an einem Abend an drei verschiedene Orte locken und die Polizei gar nicht mehr hinterherkommt. Was
in Chemnitz passiert ist, hat vom Ausbruch und der Gewalttätigkeit her eine neue Qualität. Aber dass sich viele Leute mobilisieren lassen, das beobachten wir im Osten schon seit Jahren.
Sie waren ja ab 1999 Chefredakteur der Magdeburger Volksstimme und ab 2009 der Thüringer Allgemeinen. Wie haben Sie den Osten Deutschlands damals erlebt und was hat sich
seitdem verändert?
Ich glaube nicht, dass sich viel verändert hat. Diese seltsame Unruhe, die in großen Teilen Deutschlands zu spüren ist, gibt es auch im Osten. Doch den Menschen dort fehlen 50 Jahre allmählicher, ruhiger Entwicklung und politischer Bildung. Sie haben die Institutionen nicht wachsen sehen und nicht gemerkt, wie ein Rechtsstaat funktioniert. Man sieht das auch an den Wahlergebnissen: Bei der Bundestagswahl lag die AfD in Sachsen zum ersten Mal auf Platz eins. Das werden wir im Westen, denke ich, so leicht nicht erleben. Auf der anderen Seite ist es erstaunlich, welch hohes Vertrauen die Polizei im Osten genießt. Bei der Frage, welchen Institutionen die Menschen am meisten vertrauen, steht die Polizei an zweiter Stelle. Nur die Stiftung Warentest hat höhere Werte.
Aber Sie sprechen von einer Unruhe unter den Menschen. Woher kommt diese?
Wir haben eine Fremdenfeindlichkeit in diesem Land, die im Osten höher ist als im Westen. Das nützen die AfD und die rechten Kräfte aus. Es ist eine diffuse Angst vor all dem, was man Globalisierung und Digitalisierung nennt. Die Lage in Polen und Ungarn, aber auch mit Trump in den USA ist instabil geworden. Das macht den Menschen Angst. Die Politiker zeigen hier zu wenig Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten auf.
Auffallend ist, dass gerade in ursprünglich kommunistisch regierten Ländern, wie Polen und Ungarn, rechtsextremistische Strömungen Zulauf haben. Wie passt das zusammen?
Was in Polen eher passiert, ist ein Erstarken des Nationalismus. Die Polen können mit Europa nichts anfangen, sie wollen es eher wieder wegschieben. Dort ist es die Angst einer Gesellschaft, die zusammenrückt, weil sie sich von außen bedroht fühlt. So kommt der Nationalgedanke verstärkt hoch, was aber zunächst wenig mit Rechtsextremismus zu tun hat. Das sind sehr schwierige Fragen. Hier genügt es nicht zu sagen, dass das schlimm ist, was in Polen und Ungarn passiert, sondern weshalb Europa nützlich ist.
Vergangene Woche wurde ein ZDF-Kamerateam bei einer Pegida-Demonstration in Dresden eine Dreiviertelstunde von der Polizei festgehalten. Der Mann, der das Team angegriffen hat, entpuppte sich als Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamtes. Sind Behörden und Polizei im Osten auf dem rechten Auge blind?
Bei der Polizei gibt es bestimmt häufiger eine rechte Gesinnung als in der übrigen Gesellschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Polizisten wissen, wie wichtig der Journalismus für eine demokratische Gesellschaft ist. Wird in der Ausbildung das Verhältnis zu den Medien thematisiert, wissen sie über die Rechte von Journalisten Bescheid? Es ist wichtig, dass hierüber mit Innenministern, Polizeipräsidenten und Polizeiakademien geredet wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das an den Polizeischulen nicht ausreichend gelehrt wird. Wir müssen die Polizei stärken, nicht nur finanziell, sondern auch, was Ausbildung und Mannstärke angeht. Auch beim G-7-Gipfel in Hamburg haben wir ein Versagen der Polizei erlebt.
Die AfD ist in Sachsen laut einer aktuellen Umfrage zweitstärkste Kraft. CDU und SPD kämen nicht mehr auf eine Mehrheit. Was meinen Sie dazu vor dem Hintergrund von Chemnitz, wenn Sie auf die Landtagswahl in Sachsen im kommenden Jahr schauen?
Wenn ich mir diesen hilflosen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer in Sachsen anschaue, dann wird’s mir schon bange. Erstmal wie lange er gebraucht hat, um überhaupt Worte zu finden. Als er sich dann äußerte, nahm er die Polizei in Schutz. Und das war’s. Er muss doch irgendwann mal sagen: Wir müssen jetzt handeln. Wenn das in den nächsten Wochen und Monaten nicht passiert, wird das für die gesamte Gesellschaft eine ganz schwierige Wahl. Wenn die Parteien keine Regierung mehr bilden können, ohne die AfD, dann ist das nicht nur ein Problem für Sachsen, sondern für uns alle.
Soll ein Journalist in einem Bericht über die AfD Haltung demonstrieren?
Gilt die Trennung von Kommentar und Nachricht auch, wenn es um Positionen geht, die der Journalist nicht teilt und mit ihm wahrscheinlich die Mehrzahl der Leser? Ist die Haltung des Journalisten, die wohl viele Leser teilen, wichtiger als die Urteils-Bildung der Leser?
Ein Beispiel: Die Welt berichtet über einen Facebook-Post von Lars Steinke, Chef einer AfD-Jugendorganisation: „Stauffenberg-Diffamierung – Ein Facebook-Post erschüttert die AfD“. Der AfD-Politiker Steinke bezeichnet in dem nicht öffentlichen Facebook-Beitrag den Hitler-Attentäter Stauffenberg als „Verräter“.
Die Empörung über das Zitat ist in vielen Artikeln zu lesen. Ein Redakteur der Braunschweiger Zeitung tut allerdings , was ein Journalist zu tun hat: Er spricht mit dem jungen Politiker, lässt ihn zu Wort kommen und kommentiert die Äußerungen in seinem Bericht:
- (Zum Politiker-Zitat, er nehme Abstand vom „Verräter“) „Allerdings klang das halbherzig.“
- „Diese Erklärung passt rein gar nicht zum Wort ,Verräter‘.“
- Die Erklärung „dafür, dass er Stauffenberg als ,Feigling‘ bezeichnete, klingt nicht gerade nachvollziehbar.
- (Zur Recherche, der Politiker habe vier Monate als Aushilfe in der Landtagsfraktion gearbeitet:) „All das hört sich nach einem Rauswurf an.“
Dem Einwand des Politikers geht der Journalist nicht nach, „Verräter“ sei Teil einer Diskussion gewesen und aus dem Zusammenhang gerissen: Nur – wie verlief denn die Diskussion? Wie war der Zusammenhang?
Auch wenn die meisten Leser der Haltung des Redakteurs zustimmen: Ist es nicht sinnvoller, wenn sich die Leser ihre Meinung selber bilden? Nur – was wäre die Alternative zur Mischung von Bericht und Kommentar? Den Unsinn eines Politikers einfach so stehen lassen und auf die Urteilskraft der Leser hoffen?
Ein Interview als Protokoll des Gesprächs wäre die ideale Lösung, in dem der Redakteur seine Einwände als Frage formuliert und der Leser den Streit zwischen den beiden verfolgen kann; oder ein Bericht ohne Wertungen und ein getrennter Kommentar.
Übrigens teilt der AfD-Vorsitzende Gauland die Haltung der meisten Redakteure: Das Zitat des jungen Politikers sei „bodenloser Schwachsinn“.
HSV-Vorsitzender zu Abendblatt-Reporter: Wegen schlechter Auflagen entlassen Sie Chefredakteur auch nicht“
Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatt, hat Humor und Sportsgeist. Online ist beim Hamburger Abendblatt ein Interview zu sehen, das Reporter Jens Meyer-Wellmann beim Jahresempfang mit dem HSV-Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen führte:
„Wie lange kann denn ein Trainer so weitermachen mit so schlechten Ergebnissen?“
Bruchhagens Antwort: „Genau so wie Ihr Chefredakteur.“
Reporter: „Der hat nur exzellente Ergebnisse.“
Bruchhagen: „In der Tat? Die Auflagen sind gestiegen?“
Reporter: „Ich würde Ihnen nicht widersprechen.“
Bruchhagen: „Ich meine, dass sie gefallen sind. Und deswegen entlassen Sie den Chefredakteur ja auch nicht.“
Kurios begann schon das Gespräch. Der Reporter begrüßte den „Präsidenten“, der erstaunte: „So ganz geballt kann Ihre Kompetenz nicht sein, ich bin nicht der Präsident. Der Präsident arbeitet im Ehrenamt, der Vorstandsvorsitzende wird bezahlt.“
„Das Interview ist weitgehend zur Sparmaßnahme verkommen“
„Es war einmal: Das Interview“, so überschreibt Rene Zeyer, Unternehmensberater und Journalist in Zürich, seinen Essay im aktuellen „Schweizer Journalist“ (8-9/2017):
Die Verwandlung des gesprochenen Wortes in das geschriebene oder gesendete Wort. Früher war es die hohe Kunst des Journalismus. Heute ist das Interview weitgehend zur Sparmaßnahme verkommen.
Zeyer zitiert Markus Spillmann, Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“, der schon 2012 die eingebetteten Interviews beklagte:
Interviews werden heute sehr oft einem Medium von den Interviewten bzw. ihren Pressestellen angedient. Des Öfteren wird im Vorfeld festgelegt, über was gesprochen werden darf.
Den Schaden hat, so Zeyer, das Publikum, das statt Analyse, Einordnung und Orientierungshilfe Geplauder mit dem Geruch nach Authentizität und Kompetenz erhält. Dabei ist das Interview die ursprünglichste und authentischste Form des Journalismus. Zeyer erinnert an Sternstunden des Interviews:
- Das Interview der „New York Times“ mit Fidel Castro am 24. Februar 1957; dabei kam es weniger auf den Inhalt an, sondern dass es stattgefunden hat;
- das Interview 2002 von Bloomberg-TV mit Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer und einem Zitat, das mit einer Milliarde Euro der teuerste Satz aller Zeiten ist;
- das Interview von Oriana Fallaci mit Henry Kissinger und dem Satz, dass der Vietnam-Krieg nutzlos gewesen sei.
Am Fallaci-Interview macht Zeyer deutlich, was ein guter Interviewer zu leisten hat: Er fragt nicht ab, er ist bestens vorbereitet und bringt, auch mit emotionaler Wucht, den Interviewten dazu, das zu sagen, was er eigentlich nicht sagen wollte.
Dem Schweizer Journalist folgt auch der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert, der in einem Gespräch mit der FAS beklagte:
Interviews dienen heute vorrangig der Produktion von Agenturmeldungen, und es gibt fast keine Chance mehr, was zu einem Thema zu sagen, ohne dass daraus wird ‚Lammert fordert‘, ‚Lammert kritisiert‘, ‚Lammert wirft vor‘, ‚Lammert weist zurück‘.
Nun klagen schon Politiker jenseits der AfD, dass Journalisten ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Interviews hoppeln dahin, kritisiert Bundestags-Präsident Norbert Lammert (CDU), sie sind nicht mehr interessant, sondern nur der Anlass, eine Meldung für die Agenturen zu produzieren. In meiner Kress-Kolumne JOURNALISMUS lobe ich das Interview als das schillernde Format des Journalismus, informativ und attraktiv zugleich; aber beklage auch, dass dem Interview der Absturz in die Belanglosigkeit oder gar die Unterwerfung droht, wenn Journalisten in Politiker-PR eingebettet und von Marketing-Abteilungen eingelullt werden.
Journalisten wehren sich erstens gegen den Vorwurf der Lügenpresse, zweitens gegen den Verdacht willfährig zu sein gegenüber den Mächtigen und drittens gegen den Vorwurf allerorten immer das Gleiche zu schreiben. Doch nähren sie diese Vorwürfe, etwa bei der großen Bundespressekonferenz der Kanzlerin. Der Korrespondent der „Welt“ kritisiert das „Themenhopping“:
Merkel muss keine Nachfragen fürchten, es wird nicht ’nachgebohrt‘ und schon gar nicht ‚gegrillt‘, wie es in angelsächsischen Ländern in solchen Situationen üblich ist.
In Anspielung auf die „Meute“, so nannte Herlinde Koelbl die Korrespondenten, seien sie in der Fragestunde mit der Kanzlerin keine Raubtiere. „Im Gegenteil: Bisweilen spielt Merkel sogar mit ihnen.“ Das ernste Gesellschafts-Spiel mit Fragen und Antworten ist langweilig geworden.
Eingebettete Journalisten – „embedded journalists“ – kennen wir aus dem Golf-Krieg, als US-Truppen Journalisten zu ausgewählten Orte an die Front mitnahmen: Sie sollten das sehen und hören, was die Armee zeigen wollte – also Kriegs-PR.
Die Wort-Schöpfung „eingebettete Interviews“ schmiegt sich an den Begriff an: Journalisten sollen fragen, was Politiker oder andere Funktionäre antworten wollen. Die herausragende Nachricht, die im Zentrum des Interviews stehen wird, legen die Politiker vorab fest. Der Rest ist schmückendes Beiwerk.
Früher verfasste die Presseabteilung einen PR-Text und faxte oder mailte ihn an alle großen Redaktionen. Heute ruft sie eine der Großstadt-Redaktionen an, ob Interesse bestehe – andernfalls könne man auch eine andere Redaktion einladen. Der Vorteil für Minister, Oppositionsführer und andere aus der Welt der Macht liegt auf der Hand: Die Meldung einer seriösen Zeitung steigert Aufmerksamkeit, Glaubwürdigkeit und Wertigkeit.
Das eingebettete Interview verstößt allerdings gegen die Regeln für ein professionelles Interview, wie sie das „Handbuch des Journalismus“ nennt:
- Auf alle Interviews sollte der Journalist sich gründlich vorbereitet haben. Wer sich einbettet, überlässt die Vorbereitung dem Interviewten und seiner PR-Abteilung.
- Der Journalist muss eine Zielvorstellung mitbringen und durchzusetzen versuchen. Wer sich einbettet, übernimmt die Zielvorstellung des Interviewten und setzt sie für ihn durch.
- Die Fragen müssen jenen Widerspruch enthalten, den vermutlich mindestens ein Teil der Leser gern geäußert hätte. Wer sich einbetten lässt, kann diesen Widerspruch in die Langfassung des Interviews unterbringen, mit zwei Einschränkungen: Der durchschnittliche Leser kennt die Nachricht aus den TV- und Hörfunk-Nachrichten und liest kaum mehr das lange Interview; zum anderen will er’s sich nicht mit dem Minister verderben und unangenehme Fragen stellen, da er sonst riskiert, aus dem Kreis der Exklusiven ausgeschlossen zu werden.
Norbert Lammert kritisiert im Deutschlandfunk-Gespräch mit Stefan Fries die Praxis des eingebetteten Interviews – und erwähnt aus wohl vertraulichen Gesprächen: Auch die Journalisten sind unzufrieden. Ein Redakteur, der gerne in Berlin arbeitet, dürfte kaum seinen Verlag für diese Praxis kritisieren; der Präsident tut es für ihn: Korrespondenten erfüllen die Erwartung des eigenen Verlages und der eigenen Zeitung. Chefredakteure, Verleger und Geschäftsführer schätzen exklusive Interviews, sie sind stolz, wenn ihr Verlag in der „Tagesschau“ zitiert wird.
Erfunden hat das Zitate-Rennen wohl die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), die schon vor gut einem Jahrzehnt das Wochenende, also die nachrichtenarmen Tage, für Gespräche mit Mächtigen nutzte, vornehmlich aus der zweiten und dritten Reihe. Es waren in der Regel keine eingebetteten Interviews, sondern oft nur ein paar Zeilen, ein Zweispalter in der Zeitung – also nicht viel mehr als das, was die Agenturen sendeten.
Wirken sich die Zitate in anderen Medien, vornehmlich Fernsehen und Radio, positiv auf die Auflage aus? Die „NOZ“ beendete das Rennen nach einem Wechsel in der Chefredaktion, konzentrierte sich wieder mehr auf das Lokale, also das Kerngeschäft, und wird heute nicht mehr so oft zitiert. Als sie in den vergangenen Tagen zitiert wurde, ging es um eine Nachricht aus der eigenen Region: Die Verteidigungsministerin reagierte auf Untersuchungen zum Kollaps vom Soldaten in einer Kaserne in Munster.
Wer die Meldung bei Google-News las, fand den Kölner-Stadtanzeiger vorn, der die „NOZ“ erwähnte. Exklusive Meldungen sind im Online-Zeitalter weniger wert als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. In einem kress-de.Gespräch sagte Funkes Sport-Chefredakteur Pit Gottschalk über exklusive Meldungen im Sport:
Keine Ahnung, ob die Leser diese Arbeit heute noch würdigen. Sie lesen die News bei uns oder bei unseren Kollegen von ‚Bild‘ oder ‚Kicker‘ und wissen wohl schon nach ein paar Minuten nicht mehr, wo die Information zuerst gestanden hat.
Gottschalk empfiehlt, statt des Rennens um die schnelle Nachricht auf klassische Recherchen zu setzen.
Für Regionalzeitungen scheint das Zitate-Rennen außer Ruhm und Ehre wenig zu bringen. Media Tenor veröffentlicht regelmäßig die Hitparade der Nennungen: Selbst im ersten Halbjahr mit einigen Landtagswahlen kam keine Regionalzeitung unter die besten Zehn. Überregionale Zeitungen und Magazine dominieren: „Spiegel“, „Bild“, „Süddeutsche“ und „FAZ“, „Handelsblatt“ und „Welt“; noch in der „Bundesliga“ der meistzitierten Medien, also auf den ersten 16 Plätzen, platziert sich mit dem „Tagesspiegel“ eine Hauptstadt-Zeitung und die „Rheinische Post“ die einzige aus der Provinz.
(Hier präsentiert Bülend Ürük die 20 meistzitierten Medien des ersten Halbjahres.)
Mit der „New York Times“ und der „Washington Post“ platzieren sich sogar US-Zeitungen unter den ersten sechs der meistzitierten. Das ist der Trump-Effekt, den auch die meisten Regionalzeitungen nutzen. Trump statt Lokales? Das irritiert auch Roland Schatz, den Chef von Media Tenor:
Viele deutsche Medien haben es bislang versäumt, sich in einem Wahljahr wie 2017 gezielt als Meinungsführer für bestimmte innenpolitische Sachthemen zu positionieren. Hier können sich vor allem Regionalzeitungen hervortun. Vor dem Hintergrund der Dominanz außenpolitischer Themen entsteht allerdings der Eindruck, die Medien lassen sich von der Politik treiben.
Also wieder der Einwand, Journalisten lassen sich von der Politik treiben, und der Vorschlag, wie bei Pit Gottschalk: Mehr Recherche als PR! Klopft den Mächtigen auf die Finger! Rennt ihnen nicht nach!
Es gibt auch Journalisten, die ihre Profession immer noch in der Kontrolle der Mächtigen sehen. Johannes M. Fischer, Chefredakteur der „Thüringer Allgemeine„, druckte ein Interview nicht, als der thüringische Innenminister die wichtigen Aussagen streichen wollte und sogar die Fragen der Redaktion veränderte. Wenig später musste der Minister aus der Ramelow-Regierung sein Amt verlassen.
Der „TA“-Chefredakteur schrieb den Lesern, er werde das verfälschte Interview nicht drucken und nannte es einen „Verlautbarungs-Wortschwall“. Er legte sich auch mit dem Presserat an und veröffentlichte Teile des Interviews, die der Redaktion wichtig erschienen – ohne Autorisierung, was der Pressekodex ausdrücklich untersagt. Aber es diente der Kontrolle der Macht. Und ein entlassener Minister dürfte sich kaum beschweren.
Das Fischer-Interview erinnert an ein Interview von „Facts„, dem 2007 eingestellten Schweizer Nachrichtenmagazin: Der Politiker Anton Cottier veränderte beim Autorisieren 64 von 75 Antworten, strich 6 und formulierte 2 neu. Der Schweizer Presserat sah keine Verletzung der journalistischen Ethik, als Facts so reagierte: Auszugsweise veröffentlichte die Redaktion die Original- und die Redigier-Fassung.
Bundestagspräsident Lammert will die Krise des Vertrauens überwinden, „wenn jeder in seiner Profession vielleicht noch gründlicher als bislang begründet, warum er Dinge tut und andere Dinge lässt“. Ob der Leser versteht, wenn die Redaktion eingebettete Interviews druckt?
Aha, Moral! Wie sich Anke Engelke über Interviewer amüsiert
Wenn sich Journalisten auf ein Interview vorbereiten, schauen sie ins Archiv, googeln, was die Maus hergibt – und stellen ihre Fragen zusammen. Was die Interviewten davon halten, zum Beispiel Anke Engelke, die vor einem Vierteljahrhundert selber Journalistin war:
Ich finde es langweilig, wenn mir die ewig gleichen Fragen gestellt werden. Oder wenn Ihre Kollegen: „Sie haben mal gesagt“, und dann wiederholen, was ich mal gesagt habe.
„Das nennen wir Vorbereitung“, sind Hannes Roß und Kester Schlenz ein wenig angefressen, die das Interview für den Stern führen. Man ist ein Profi – „man liest sich ein, und dann zitieren wir halt was Interessantes und…“
Das ist keine Frage, sondern ein Einwurf, eine Rechtfertigung, die Anke Engelke so quittiert:
…und dann sage ich: Ja, hab ich mal gesagt.
Am heutigen Donnerstag, 24. August 2017, um 20.15 Uhr spielen Anke Engelke und Nina Kunzendorf in dem ARD-Krimi „Tödliche Geheimnisse“ zwei investigative Journalistinnen. Nina Kunzendorf mag Rommy Kirchhoff, deren Rolle sie einnimmt:
Die machen einfach weiter, obwohl sie dauernd auf die Schnauze fliegen. Man hat nicht das Gefühl, dass sie am Ende…
, dann fällt ihr Anke Engelke ins Wort:
…schnell nach Hause und Pilates machen wollen. Nee, die bohren weiter. Das mag ich an denen.
„Finden Sie das redlich?“, fragen die Stern-Journalisten und spielen auf Engelkes Bekenntnis an, in Interviews lüge sie auch mal.
Aha, Moral!
, antwortet sie.
Manchmal ist da ermüdend, hat man es satt, dauernd von sich zu erzählen. Über die Arbeit zu reden macht viel mehr Spaß“
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Quelle: Stern 24.8.17 „Dabei sind wir voll die Schatzis“
Was tun, wenn ein Interview entgleist?
Kellyanne Conway war Trumps Kampagnen-Managerin und ist heute seine Beraterin. US-Journalisten fürchten Conway: Sie hat eine übernatürliche Fähigkeit, harte Interviews über Trump entgleisen zu lassen, sie weicht mühelos klaren Fragen aus, redet unentwegt von Fake-News und läßt alles entgleisen, was ihrem Präsidenten schaden könnte, sagt Carlos Maza bei Vox.
Der Interview-Experte Seth Gannon gibt zu: „Conways Talent für das Überleben von harten Interviews ist schwer zu leugnen“, aber er fragt auch: „Lohnt überhaupt ein Interview mit ihr? Sobald sie beschlossen hat, keine sinnvollen Antworten auf Fragen zu geben, gibt es keine Möglichkeit mehr, erfolgreiche Interviews zu führen.
Es gibt nur Abstufungen des Versagens, nur Abstufungen von Nicht-Antworten.“
Es sei faszinierend und mitunter unterhaltsam zu sehen, wie sie es vermeidet, einfache Fragen zu beantworten, aber: „Sie liefert Zuschauern keine nützlichen Informationen über das, was die Trump-Regierung tut oder zu tun beabsichtigt.“ So wirft Gannon schon die Frage auf: Was ist der Zweck eines solchen Interviews?
Das Vox-Video sollte jeder anschauen, der es mit schwierigen Gesprächspartnern, auch in Deutschland, zu tun hat:
http://www.vox.com/videos/2017/2/13/14597968/kellyanne-conway-tricks
Werkstatt: Wie die New York Times das erste Interview mit Trump führte
Donald Trump mag Journalisten nicht:
Diese Menschen sind die niedrigste Form des Lebens, ich sag’s euch. Sie sind die niedrigste Form der Menschheit,
schmähte er in einer Wahlrede. In seiner ersten Pressekonferenz nach der siegreichen Wahl durfte ein Journalist von CNN, „dieser schrecklichen Organisation“ , erst gar keine Frage stellen. Das ging auch der New York Times zu weit, sie sprach von einer Kriegserklärung an die Medien, aber hatte wenige Wochen zuvor mit Trump in ihrer Zentrale nicht nur ein langes Interview geführt, sondern auch Wort für Wort protokolliert.
Ein Interview (die „Bild“ hat es übersetzt und online gestellt) so zu veröffentlichen, wie es wirklich geführt wurde, ist in Deutschland umstrittener als in den Staaten. Als Jill Abramson, Ex-Chefredakteurin der New York Times, vor sechs Jahren entschied, es gebe keine Autorisierung von Zitaten mehr, diskutierten dies deutsche Journalisten heftiger als angelsächsische.
Was fällt auf beim Blick in die Interview-Werkstatt der New York Times:
- Der Verleger Arthur Sulzberger führt zuerst das Gespräch, dem Chefredakteur erteilt er später das Wort. Sulzberger beginnt das Interview so nett, als hätte es nie eine Verstimmung gegeben. Diese Nettigkeit ist professionelle Routine: Nicht mit der Tür ins Haus fallen, dem Gesprächspartner respektvoll begegnen und ihn in Sicherheit wiegen.
- Auch Trump umgarnt die Redakteure – um wenig später all seinen Unmut über die Journalisten zu wiederholen. Was für rhetorische Kniffe in knapp einem Dutzend Sätzen: Erst Respekt, dann Angriff, schließlich Angebot zur Zusammenarbeit!
Okay. Also, ich weiß das Treffen wirklich zu schätzen und habe großen Respekt vor der ‚New York Times‘. Riesigen Respekt. Sie ist etwas ganz Besonderes. War schon immer etwas ganz Besonderes. Ich finde, dass ich sehr grob behandelt worden bin. Es ist ganz offensichtlich, dass ich auf gewisse Weise, im wahrsten Sinne sehr ungerecht behandelt worden bin. Ich möchte mich nicht nur über die „Times“ beschweren. Ich würde aber sagen, dass die Times am gröbsten zu mir war… Schauen Sie, ich habe großen Respekt für die Times, und ich möchte Ihre Meinung ändern. Ich glaube, das würde mir meine Arbeit stark erleichtern.
- Trump ist gut vorbereitet, lobt Konkurrenz-Zeitungen und versucht, die Redakteure einzuschüchtern. Die reagieren nicht darauf. Das ist professionell: Tapse nicht in jede Falle, die aufgestellt wird.
- Trump spricht die Redakteurin Maggie, die wohl auf Clintons Seite war, direkt mit Vornamen an: „Hören Sie, Maggie, ich will ihnen nicht wehtun. Ich finde, sie haben eine Menge durchgemacht. Sie haben eine Menge durchgemacht.“
- Trump weicht aus, ist nicht zu fassen. Der Trick ist einfach und wird von Politikern geschätzt: Trump erklärt ein Thema für ein Rand-Thema und lenkt den Blick auf ein anderes Thema, das er für wichtig erklärt.
- Kommentatoren in den USA schreiben nicht ihre Meinung, sie sind ausgewählt, die offizielle Haltung des Verlegers darzulegen. Thomas L. Friedman, den Leitartikler, spricht Trump mit „Tom“ an. Friedman will die Haltung zum Klimawandel erkunden und erwähnt, dass Trump „einige der schönsten Golfplätze der Welt“ besitzt. Alle lachen, reden durcheinander. Trump nimmt den Ball auf, prahlt mit seinen Golfplätzen, wieder verzeichnet das Protokoll „Lachen“.
Friedman, der Leitartikler, findet das Lachen gar nicht lustig, wird sauer: „Es ist mir sehr wichtig – und ich glaube, auch vielen unserer Leser – zu wissen, was Sie in dieser Hinsicht tun werden.“ Trump weicht aus: „Ich schaue mir das ganz genau an, Tom. Ich sag Ihnen was. Das ist ein interessantes Thema, denn es gibt nur wenig, was umstrittener ist als der Klimawandel.“
Der Verleger greift ein, stellt sich auf die Seite seines Leitartiklers: „Nun, da wir auf einer Insel leben, möchte ich Ihnen dafür danken, unvoreingenommen zu sein. Wir haben gesehen, was diese Stürme mittlerweile anrichten, stimmt’s? Wir haben es mit eigenen Augen gesehen. Ganz direkt.“
- Trump nutzt die Vertrautheit mit dem Verleger und demonstriert sie vor den Redakteuren: „Ich bin wirklich unvoreingenommen. Und wir hatten schon immer Stürme, Arthur.“ Und er erzählt von seinem Onkel, der Professor war, von Wissenschaftlern, die sich schreckliche Mails schreiben, von seinen Golfplätzen, für die er Umweltschutz-Preise bekommen hat – und schließt seine langen Vortrag: „Manchmal sage ich, dass ich in Wirklichkeit ein Umweltschützer bin und in manchen Fällen lächeln die Leute darüber. Und andere Leute, die mich kennen, wissen, dass es stimmt. Unvoreingenommen.“
- Das Protokoll vermerkt auch, wenn das Mikrofon ausgeschaltet wird – einmal geschieht es, als Trump über Syrien nur unter Drei sprechen will: „Wir müssen den Wahnsinn in Syrien beenden. Eine Sache, die mir zugetragen wurde – kann ich das vertraulich sagen, oder wird alles protokolliert?“ Der Verleger stimmt zu: „Wenn Sie etwas Vertrauliches sagen wollen, haben wir abgemacht, dass Sie das tun können. Meine Damen und Herren, wir reden einen Augenblick lang vertraulich miteinander.“ Das Protokoll vermerkt: „(Trump sagt etwas Vertrauliches)“
- Trump sortiert die Redakteure nach dem Motto des Aschenputtel-Märchens: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Michael D. Shear, der Korrespondent im Weißen Haus, ist ein Guter: „Wir sehen uns dort! „, scherzt Trump mit ihm und alle lachen. Der Verleger ist ein Guter: „Sie können mich anrufen, Arthur, Sie können mich anrufen.“ Die Leitartiklerin Maureen Dowd kommt ins Kröpfchen: „Die einzige, die mich nicht anrufen kann, ist Maureen. Sie packt mich zu hart an. Ich weiß nicht, was mit Maureen los ist!“
Keiner protestiert. - Die letzte Frage stellt Geschäftsführer Mark Thompson: Wird Trump den Verfassungsrang der Pressefreiheit respektieren? Und Trump, wie ein guter Kumpel, antwortet: „Ich denke, es wird Ihnen gut gehen.“ Der Verleger dankt: „Ich weiß das wirklich zu schätzen.“ Und Trump dankt zuckersüß zurück: „Es ist eine große Ehre. Die Times ist ein großartiges, großartiges amerikanisches Juwel. Ein weltweites Juwel. Und ich hoffe, wir werden alle miteinander auskommen. Wir wollen dasselbe, und ich hoffe, wir werden alle miteinander auskommen.“
Dann gehen alle mit einem sichtbar entspannten Trump zum Mittagessen. Es gibt Lachs und Steak.
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Der komplette Beitrag in der Kolumne JOURNALISMUS! auf kress.de:
Das Trump-Interview der New York Times hat Bild übersetzt und online gestellt.
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10 Regeln für ein gutes Interview: „Ich stelle hier die Fragen!“
Im Interview des Magazins Cicero mit Bodo Ramelow von der „Linken“ ist Cicero-Redakteur Christoph Seils dem Gast nicht gewachsen, der die Regie übernimmt – und die Medien kritisiert, weil sie Politiker kontrollieren:
Solange wir das nicht machen (= über Werte sprechen), halten uns Journalisten weiterhin Stöckchen hin, über die wir dann springen. Und hinterher lesen wir in der Zeitung, wie doof wir sind.
Ein Kinderspiel: Über Stöckchen springen? Die Stöckchen – das sind unbequeme Fragen von Journalisten, das ist die Kontrolle der Mächtigen im Auftrag der Bürger. Soll ein Journalist solch eine Schelte, von Ramelow harmloser formuliert als Pegidas „Lügenpresse“, unwiderfragt in einem Interview stehenlassen?
Das sind zehn Regeln für ein gelungenes Interview:
- Was die Überschrift verspricht, muss der Text halten
- Der Redakteur muss nachhaken
- Auf eine geschlossene Ja-Nein-Frage verlangt der Leser eine eindeutige Antwort
- Ein Interview braucht einen roten Faden, eine Ordnung
- Der Leser liest zuerst nur die Fragen: Die müssen genau sein, verständlich und attraktiv
- Der Journalist darf provozieren, darf des Teufels Advokat sein, aber er sollte seine Meinung hinterm Berg halten
- Ein Schachtelsatz wirft Leser aus dem Text raus – und verleitet den Gast zum Schwadronieren
- Ross und Reiter nennen – darauf muss ein Journalist bestehen
- Der Redakteur führt das Gespräch und lässt nicht zu, dass sich der Gast davon redet
- „Ich stelle hier die Fragen!“, unterbricht der Kommissar das Verhör. Das gilt auch im Interview
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Mehr in der JOURNALISMUS!-Kolumne auf kress.de:
Interviews mit Despoten: Auf die eigene Haltung kommt es an (Gespräch mit Dieter Bednarz)
Politiker in Europa wollen die Gespräche mit der Türkei abbrechen: Mit Diktatoren niemals! Gilt das auch für Journalisten? Franz Josef Wagner, Kolumnist der Bildzeitung, meint: „Gott, für ein Interview lächelte ich selbst mit dem Teufel.“ Auch Dieter Bednarz, Nahost-Experte des Spiegel, interviewt jeden: „Ich hätte keine Scheu, morgen auch nach Nord-Korea zu reisen, wenn ich dort einen Termin bekommen könnte. Wichtig ist doch, die richtigen Fragen zu stellen.“
Wohl kein anderer Reporter hat so viele Interviews mit Despoten geführt wie Bednarz. Im Kress-Gespräch, veröffentlicht in meiner Journalismus!-Kolumne, geht er auf die Haltung ein, die ein Reporter mitbringen sollte:
Wer sich so mit dem Land auseinandersetzt, geht natürlich mit einer eigenen Position in einen solchen Termin, kommt als kritischer Frager und scheut auch den Schlagabtausch nicht. Auf diese eigene Haltung kommt es – neben Fachwissen – an…. Meine einzige Sorge ist mitunter, dass eine zu harte Frage, womöglich wie bei Motakki gleich als Einstieg, zum Abbruch des Termins führt.
Bednarz hatte das Interview mit dem iranischen Außenminister Motakki mit der Frage begonnen: „Herr Außenminister, Sie sind der oberste Diplomat der Islamischen Republik Iran. Sie vertreten eine Nation, die sich einer Kulturgeschichte von über 2500 Jahren rühmt. Beschämt es Sie nicht, dass in Ihrem Land Menschen gesteinigt werden?“ Manutschehr Motakki hatte die Frage auch bei der Autorisierung nicht gestrichen.
Für Bednarz sind solche Interviews auch ein Grund, warum er Journalist geworden ist:
Mich interessieren politische Entwicklungen sowie Menschen und deren Schicksale. Das gilt nicht nur für die Mächtigen, sondern auch für Oppositionelle. Eine großartige menschliche Bereicherung waren die zwei Stunden Interview mitten in der Nacht, die mir Ahmadinedschad-Gegenspieler Mehdi Karroubi, der unter Hausarrest stand, gewährt hat. Und wenn Sie zweieinhalb Stunden mit einem wie dem ägyptischen Staatschef Sisi reden, dann bekommen Sie schon eine Ahnung davon, wie diese Person tickt und welche Botschaft sie zum Beispiel an die Bundesregierung übermitteln will. Wenn das Gespräch gut geführt wird, dann erschließt sich das auch dem Leser und ist ein Gewinn für ihn.
„Ein Journalist scheut den Schlagabtausch nicht“ ist das Gespräch überschrieben, das in voller Länge bei kress.de nachzulesen ist.
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