Das Zeitschriften-Quiz (Auflösung): Auflagen fallen, Titelzahl steigt
Das ist die Auflösung des Zeitschriften-Quiz:
A. Wie viele Zeitschriften werden im Jahr verkauft?
4. 100 Millionen. Genau sind es in Deutschland 95 Millionen in 2017, im Jahr davor waren es 98 Millionen. Die Auflagen sinken leicht, die Zahl der Titel steigt.
B. Welches Magazin wird weltweit am meisten verkauft?
4. Watchtower (Wachturm), die Zeitschrift der Zeugen Jehovas (siehe Antwort auf Frage D)
C. Welches deutsche Magazin ist in der Welt-Rangliste unter den Top 10?
2. ADAC Motorwelt: Auf Platz 4 hinter Wachturm und Erwachet sowie dem Magazin der US-Senioren-Vereinigung AARP mit 23 Millionen Auflage. Die Motorwelt hat rund 14 Millionen Auflage.
D. Wie hoch ist die Auflage der größten Zeitschrift der Welt?
4. 45 Millionen – das ist aber eine ältere Zahl: Der „Wachturm“ der Zeugen Jehovas erscheint weltweit in über dreihundert Sprache und wird nach neuen Angaben mit 62 Millionen angegeben; zusammen mit der Studienausgabe sind es sogar 76 Millionen. Auch auf dem zweiten Platz liegt mit „Erwachet“ eine weitere Zeitschrift der Zeugen Jehovas mit einer Auflage von 60 Millionen.
E. Welche Kauf-Magazine sind in D regelmäßig Auflagen-Millionäre?
1. TV-Magazine (wie TV 14 oder TV digital): TV 14 verkauft durchschnittlich 2,1 Millionen Exemplare, TV Digital rund 1,5 Millionen.
F. Wächst oder sinkt die Zahl der Magazine – im Vergleich 2001 zu heute?
4. Steigt um 35 Prozent: Zur Zeit gibt es rund 1600 Titel, vor 17 Jahren waren es knapp 1200 nach Angaben des „Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ)“ (Pressekonferenz im April 2017).
Kennen Sie sich mit Zeitschriften aus?
A. Wie viele Zeitschriften werden im Jahr verkauft?
- So viele wie Deutschland deutschsprachige Einwohner hat: Rund 70 Millionen
- So viele wie NRW Einwohner hat: Gut 16 Millionen
- So viele wie Berlin Einwohner hat: Rund 4 Millionen
- Viel mehr: 100 Millionen
B. Welches Magazin wird weltweit am meisten verkauft?
- Time
- Der Spiegel
- Le Figaro TV
- Watchtower (Wachturm)
C. Welches deutsche Magazin ist in der Welt-Rangliste unter den Top 10?
- Der Spiegel
- ADAC Motorwelt
- Die Zeit
- TV 14
D. Wie hoch ist die Auflage der größten Zeitschrift der Welt?
- 2 Millionen
- 4,6 Millionen
- 8,9 Millionen
- 45 Millionen
E. Welche Kauf-Magazine sind in Deutschland regelmäßig Auflagen-Millionäre?
- TV-Magazine (wie TV 14 oder TV digital)
- Landlust
- Der Stern
- Bild der Frau
F. Wächst oder sinkt die Zahl der Magazin-Titel – im Vergleich 2001 zu heute?
- Sinkt um 20 Prozent
- Bleibt gleich
- Steigt um 5 Prozent
- Steigt um 35 Prozent
Die Antworten bald in diesem Blog.
Der Hintergrund-Beitrag zur „Renaissance der Zeitschriften“ am Dienstag bei kress.de in der Raue-Kolumne JOURNALISMUS!
Burdas Digital-Zeitalter: Von Landwegen und Seewegen
Im Interview zum 25-Jahr-Jubiläum von Focus vergleicht Verleger Hubert Burda das Gutenberg- mit dem Digital-Zeitalter: Gutenbergs System hatte einen Anfang und ein Ende, das digitale hat eine „Struktur der Gleichzeitigkeit, in der Text, Bilder, Musik und Film parallel kommunizieren“.
Burda nimmt die Metapher von den See- und Landwegen, um das Schicksal der traditionellen Medien zu beschreiben:
„Die Landwege sind nicht verschwunden, als vor 500 Jahren die neuen Seewege Europa mit der ganzen Welt verbanden. Und durch die neuen Seewege veränderten sich die alten Landwege, die nun zu den neuen Häfen führten. Land- und Seewege begannen sich zu ergänzen – ähnlich ist das heute auch mit den traditionellen Medien und den sozialen Netzwerken. Nur wer versteht, beide zusammen zu nutzen und zu verbinden, ist im neuen Medienzeitalter angekommen.“
Die digitale Medienwelt verändere auch den Journalismus – und die Ausbildung eines Verlegers:
„Ich würde einen Nachfolger heute nie mehr so ausbilden, wie mein Vater mich ausgebildet hat – also als Chefredakteur. Die Grundlagen für meine Kinder, die mit Snapchat und Instagram aufwachsen, sehe ich deshalb im Verstehen von Software und im Silicon Valley, wo sie oft unterwegs sind.“
Die dominante Stellung der Journalisten gibt es nach Burda nicht mehr, sie haben ihr Privileg verloren.
„Journalisten müssen mit großer Akribie Nachrichten identifizieren und ihre Geschichten so erzählen, dass die Leute genau wissen, wer der Absender ist und ob sie diesem Absender trauen können.“
So werde es auch immer Zeitschriften geben, wenn auch von 1600 vielleicht 1400 übrig bleiben. „Große Marken werden bleiben. Du kannst nicht immerzu online sein, denn Online ist kurz und schnell und zerfetzt. Du hast das Gefühl, dass du nie richtig zu Ende gelesen hast. Deshalb ist es etwas Schönes, ein Buch oder eine Zeitschrift zu lesen.“
Quelle: Focus 3/18
Interne Spiegel-Kritik: Wir müssen raus aus der Komfortzone der Redaktion?
Mittelalte, weiße Männer, gutverdienende Akademiker definieren und prägen die journalistische Realität und damit unsere Weltsicht. Was sie am besten kennen, das sind andere mittelalte, weiße Männer, mit Abitur und schicker Altbauwohnung. Was sie weniger gut kennen, das ist das Leben als Arbeiter in Herne Crange. Oder das Leben als lesbische junge Frau.
Spiegel-Online-Chefin Barbara Hans in einem Interview mit dem journalist (8/2017) – vielleicht an ihre Chefredakteure denkend? Sie fordert:
Wir müssen dahin, wo es weh tut. Raus aus der redaktionellen Komfortzone. Wir können nicht alles so lassen und hoffen, dass einige wenige Neueinstellungen zum Wandel führen werden.
Ist oder war der Spiegel nicht dafür bekannt, dass er zu den Rändern der Gesellschaft ging? Dass er sich Autoren leistete, als Storytelling noch ein unbekannter Anglizismus war? Was hat sich verändert?
Wir müssen Dinge für möglich halten, auch wenn wir sie für falsch halten. Und die Frage, was wir für richtig und was wir für falsch halten, sollte nicht unser Leitmotiv sein.
Das ist ein guter journalistischer Standpunkt. Aber passt er auch auf den Spiegel? Ist er nicht zur Institution aufgestiegen, weil er eine Meinung hatte, eine Haltung, wie es heute heißt? Oder haben sich die Leser gewandelt, die nicht mehr eine Haltung erwarten, sondern ein Pro&Kontra, also die Breite der Meinungen?
Wie sich „Brand Eins“ aus der Asche von „Econy“ erhob (Journalismus-Geschichte)
Gabriele Fischer war stellvertretende Chefredakteurin des Manager Magazin, als sie den Spiegel-Verlag überzeugte, ein neues, ganz neues Wirtschaftsmagazin zu gründen:
Ein Magazin für Leute, die aufbrechen; die etwas unternehmen; die Wirtschaft noch als Abenteuer begreifen und nicht ständig über Steuerlast und Bürokratie klagen. Ein Magazin für die Mutigen eben – und gegen die Bremser,
so schrieb sie im ersten Editorial von Econy; Vorbilder gab es in den USA mit Fast Company und Wired.
Nicht einmal drei Monate brauchte sie von der Idee bis zum ersten Heft. War dies einer der Gründe, warum Econy keine Freunde fand im Verlag und in der Spiegel-Redaktion? Ein Schnellschuss, ohne lange Debatten über Sinn, Unsinn und Ziel – und dann noch mit einer winzigen Redaktion: Das kann nichts Rechtes geben, dachte die Spiegel-Redaktion, die gerne monumental denkt. Auf jeden Fall schmunzelte sie über ein Magazin, das mit drei, vier Redakteuren 220 Seiten anständig füllen wollte.
Aber selbst das war wegweisend: Eine kleine Redaktion sucht die Themen und dafür die besten Autoren.
So werden bald die meisten Zeitungen und Magazine arbeiten, wenn sie es nicht heute schon tun: Kleine Teams, die strategisch denken, mit wenigen Redakteuren, die recherchieren, was nur unabhängige Redakteure recherchieren können, und Freien, die gut bezahlt werden und Qualität liefern.
Der Respekt vor den Freien, deren gute Bezahlung und eine exzellente Textredaktion – damit fing Econy an; das bietet Brand Eins immer noch. Wenn Manager heute sparen wollen, sparen sie meist am falschen Ende: Sie senken radikal die Etats für die Freien. Das führt zu einem fatalen Qualitätsverlust: Weniger Redakteure, kaum Geld für Freie – wie soll das funktionieren?
Gabriele Fischer stellte weder Layouter ein noch einen Art-Direktor, sondern nahm einen wenig bekannten Freien: Mike Meire war ein junger Grafiker, der mit völlig neuem Blick auf zu bedruckendes Papier schaute. Auf seinen Fotos saßen Manager nicht hinterm aufgeräumten Schreibtisch, sondern schaukelten, leicht verwischt, auf einer Schaukel; die Leser blickten nicht in Superbüros, sondern aus dem Fenster auf eine Brache mit Bagger. Eigentlich war es einfach: Die Fotos zeigten die Welt und die Menschen, wie sie wirklich sind; sie nahmen den Personen die Rollen, in die sie gezwängt sind – aber ohne sie bloßzustellen.
Mike Meire war ein Glücksfall, er entwickelte ein völlig anderes Design, das Abschied nahm von allem, was üblich war – und das dann mit vielen Preisen gekrönt wurde. Die Entscheider in den Medienagenturen, die Gabriele Fischer auf einer Roadshow einfing, waren begeistert – ein neuer Stil im Journalismus! In kurzer Zeit waren alle Anzeigen-Seiten für ein komplettes Jahr verkauft. Das müsste eigentlich die Erfüllung eines Manager-Traums sein – aber nicht beim Spiegel.
Als die Druckmaschine für die zweite Ausgabe lief, verkündete der Verlag schon das Aus – angeblich weil der Verkauf der ersten Ausgabe die Erwartungen nicht erfüllt habe. Die Gründe lagen wohl tiefer: Die Philosophie von Econy war nicht die Philosophie von Spiegel und „Manager Magazin“. In Redaktion und Verlag bezogen sie einen Satz aus dem Fischer-Editorial durchaus auf sich und ersetzten „Zeitung“ mit „Der Spiegel“: „Wer morgens seine Zeitung liest, könnte glauben, diese Gesellschaft sei erstarrt und festgefahren.“
Im Spiegel herrschte die „Saturiertheit“, von der Professor Volker Lilienthal gerade zum 70-Jahr-Jubiläums schrieb – und die Lilienthal noch nicht als beendet ansieht. Lilienthal spricht auch vom persönlichen Wohlstand der Redakteure als Mitbesitzer des Verlags: Auch der, in Form von hohen Tantiemen, drohte geschmälert zu werden durch Verluste von Econy, die weder zu erwarten waren und wohl nie eingetreten wären.
Spiegel-Redakteure wissen kaum noch etwas vom Leben einfacher Menschen, auch davon schreibt Lilienthal. Und genau von diesen Menschen, die unterhalb der Spiegel-Wahrnehmung liegen, handelte Econy. Kurzum: Es ging um Geld, auf das die Redakteure nicht verzichten wollten, und um eine Veränderung, die man sich vom Hals halten musste. „Nicht für Bremser“ stand auf einer Werbetafel für Econy und „Ich bin kein Erbsenzähler“ auf einem T-Shirt. Das reichte.
Wer wissen will, warum sich der Spiegel heute noch schwer tut mit Veränderung, gar Aufbruch, der schaue auf das Ende von Econy: Die Angst vor der Veränderung sitzt neurotisch tief.
Was Gabriele Fischer nach dem Aus durchmachte, war ein Albtraum:
Zuerst kaufte ein anderer Verlag Namensrechte und Redaktion, aber rechnete nicht mit einer selbstbewussten und unabhängigen Chefredakteurin Fischer. Man trennte sich schnell, der neue Verlag machte mit neuer, durchaus renommierten Chefredakteurin und neuer Redaktion weiter – und scheiterte. Fischer war die Seele von Econy; und eine Seele kann man nicht kopieren.
Dann kam das Management-Buyout ohne großes Geld, aber mit großen Plänen. Der neue Name war der Name, der schon vor Econy auf der Liste stand – und der nichts mit „Marke 1“ zu tun hatte, was Spiegel-Anwälte abschreckte, sondern mit der Adresse der Redaktion: Brandstwiete 1.
Vom Ende her betrachtet, sieht die Story von Brand Eins wie eine einzige Erfolgsstory aus. „restart“ stand auf dem Titel der ersten Ausgabe: „Die Lust am Neubeginn“. Dieser Neubeginn war allerdings näher an „Schweiß, Tränen und Mühen“ als an Lust, und der Erfolg lag nicht griffbereit.
Auch das Platzen der Dotcom-Blase, das Ende der New Economy – ein halbes Jahr nach der ersten Brand Eins-Ausgabe – verhinderte nicht den Erfolg. Warum? Econy und Brand Eins waren der Spiegel der New Economy, ihr Sprachrohr. Aber beim Verglühen der New Economy gingen nur Firmen zugrunde, die im nicht selten kriminellen Übermut alle Regeln verletzt hatten; aber nicht zugrunde ging der Gründer-Geist und die Haltung, Mut zur Veränderung zu haben: Dafür stand Gabriele Fischer, dafür stand ihr Magazin – das war entscheidend.
Die Chronik des Neubeginns hat Gabriele Fischer auf zwei Seiten des ersten Hefts aufgeschrieben. Die komplette Chronik dieses einzigartigen Journalistinnen-Lebens wäre ein Buch wert, nicht umweht von Weihrauch, sondern als Lehrbuch für Menschen, die an den Journalismus glauben; als Mutmacher für Manager und Redakteure, die den Journalismus für eine demokratische Gesellschaft retten wollen; und als spannenden Roman, den nur das Leben schreiben kann.
Neben dem Editorial der ersten Hefts steht ein ungewöhnliches Porträtfoto von Gabriele Fischer: Sie wird am Rande von der Blüte einer Blume angelächelt, obwohl ihr sichtbar nicht zum Lächeln zumute ist; das Bild könnte aus einem Familienalbum stammen. Heute steht neben dem Editorial eine strenge, vielleicht zu strenge Frau, mehr Ikone als Familienalbum: Das Gesicht halb im Licht, halb im Schatten – wie eine Metapher zur Geschichte von Brand Eins.
Brand Eins war die letzte nennenswerte Gründung eines Magazins mit Anspruch, danach kamen nur noch Cicero“, mittlerweile auch verkauft wie ehedem Econy, kamen Landlust und Barbara („kein normales Frauenmagazin“) und kam eine endlose Folge von Plagiaten, die bei den TV-Zeitschriften oft schon über keine Redaktion mehr verfügen. Könnte die Ideenlosigkeit der Verlags-Manager dem Journalismus und der Gesellschaft mehr zusetzen als Google, Facebook & Co?
Es ist großartig, etwas geschaffen zu haben. Weil es auch Spaß macht, Widerstände zu überwinden. Und weil uns nur dann die Zukunft gehört“,
steht am Ende des Editorials vom Juni-Heft 2016 mit dem Schwerpunkt „Einfach machen“. Der schönste Satz der Fischer-Editorials steht allerdings im ersten Heft:
Etwas, das alle Restart-Geschichten eint: In ihnen steckt ein Teil des alten Menschheitstraums, man könne alle seine Erfahrungen bewahren – und noch einmal von vorne beginnen. Vielleicht ist es das, was Menschen treibt, trotz Niederlagen und Rückschlägen nicht aufzugeben.
Das „vielleicht“ in diesem Satz hat Gabriele Fischer in ihrem Leben gestrichen.
Die komplette Kolumne bei kress.de:
Ein guter Journalist belehrt seinen Leser nicht, manipuliert ihn nicht“ (Stephanie Nannen – Zitat der Woche)
Heute vor zwanzig Jahren starb Henri Nannen, einer der prägenden Journalisten der Nachkriegszeit. „Du musst eine Geschichte erzählen“, erinnert sich Enkelin Stephanie Nannen an ihren Großvater. „Nimm deinen Leser mit auf die Reise und lass ihn mit erleben, mit erfahren, mit schmecken, mit leiden und mit lieben!“
In einem Beitrag für Kress Pro schreibt Stephanie Nannen über die Einsamkeit des Journalisten, der mit seinem Leser ein Zwiegespräch führe:
Gesprächspartner sei nicht die anonyme Masse, sondern der einzelne Leser, der Mann, der im Zug die Zeitung liest, der Arbeiter in der Pause, die Frau, wenn sie am Abend endlich Zeit dazu findet – immer nur ein einzelner Mensch, der beim Lesen so allein ist wie der Journalist beim Schreiben. Diese beiden seien Partner eines Gesprächs. Ob sich diese Szene tausend oder wie beim Stern seinerzeit in der Woche neun Millionen Mal ereigne: In jedem Fall ist der Journalist mit seinem Leser allein.
Und sie nennt den Grundsatz ihres Großvaters:
Ein guter Journalist versuche seinen Leser weder zu belehren noch zu manipulieren.
Darf man Prominente überall fotografieren? Was das Europa-Urteil für Journalisten bedeutet
Günter Jauch heiratete und wollte beim Feiern nicht von Journalisten gestört werden. Trotzdem kamen Fotos in die Bunte – und Jauch klagte. Deutsche Gericht folgten ihm nicht, auch nicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Was folgt aus der Urteilsbegründung für Journalisten:
- Alles, was geschrieben wird, muss richtig sein.
- Nichts darf ehrenrührig sein.
- Der Prominente muss ausreichend prominent sein, um ein Interesse der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.
- So groß der Ermessens-Spielraum der Gerichte ist – so der Europäische Gerichtshof -, so gefährlich ist es für Journalisten, ihn auszunutzen. Das Urteil in Straßburg fällten die Richter nach zehn Jahren. Wolfgang Janisch kommentiert in der Süddeutschen Zeitung über den „schmalen Grat zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz: Wären die Fotos intimer und die mediale Zudringlichkeit frivoler gewesen – die Gerichte hätten sich auf die Seite des Moderators geschlagen“.
Quelle: Süddeutsche Zeitung 17. Juni 2016
Volontariat der Zukunft (2): Welchen Schwerpunkt setzen?
Es gibt einen Schwerpunkt: Hochwertigen Journalismus sichern, der den Menschen in einer Demokratie gefällt, dient und nutzt. Daraus leitet sich der Inhalt der Ausbildung ab.
Das ist der zentrale Satz im schriftlichen Interview mit der Drehscheibe, die in einer ihrer nächsten Ausgaben über Volontärsprojekte berichten will. Dies ist das Interview über das Volontariat bei der Thüringer Allgemeine:
Worauf legt der Verlag Wert bei der Ausbildung?
Die Volontäre sollen die Fähigkeit lernen oder kräftigen, den Veränderungen von Gesellschaft und Medien mit Engagement und Können zu folgen:
> Sie lernen zwar den Ablauf in Redaktionen kennen, aber schauen kritisch auf Routinen und Fallstricke;
> sie entwerfen Konzepte für einen noch besseren Journalismus, vor allem im Lokalen;
> sie konzipieren effektive Organisationen, vor allem im Zusammenspiel mit den Online-Medien;
> sie probieren Modelle für Beteiligungen von Lesern aus, die von Konsumenten zu Mitdenkern und Mitmachern werden;
> sie entwickeln neue Ideen und Produkte – sowohl Online wie in den traditionellen Medien -, um auch in Zukunft guten Journalismus finanzieren zu können.
So lernen sie Methoden und Umsetzung von Leserforschung kennen, Möglichkeiten und Grenzen des Marketings, optimale Strukturen sowie Selbstorganisation. Sie überschreiten die Grenzen des Zeitungs-Journalismus, arbeiten bei Zeitschriften und Nachrichtenagenturen und eigenständig in Projekten.
Auf der einen Seite lernen die Volontäre das Spektrum des Journalismus kennen wie in einem „Praktikum Universale“, auf der anderen Seite sollen die besonderen Begabungen und Fähigkeiten erkannt und gefördert werden. So können wir Nachwuchs für Führungs-Positionen entdecken oder Talente für Organisations-Aufgaben oder für tiefe Recherchen oder Online-Spezialisten oder Verliebte in Kultur, Wirtschaft oder die lokale Welt usw.
Nach dem Volontariat treffen sich die Redakteure zu Tages-Seminaren, um ihren Fortschritt zu kontrollieren, neue Ideen zu diskutieren und Schwierigkeiten anzusprechen und zu bewältigen.
Welche Schwerpunkte werden in der Ausbildung gesetzt?
Es gibt einen Schwerpunkt: Hochwertigen Journalismus sichern, der den Menschen in einer Demokratie gefällt, dient und nutzt. Daraus leitet sich der Inhalt der Ausbildung ab:
> Als Grundlage zuerst das Handwerk, das jeder beherrschen muss: Recherche, informierende und unterhaltende Information, Meinung.> Dem Handwerk folgt die Haltung: Die Ethik des Journalismus, der Dienst am Leser und die Leidenschaft für den schönsten Beruf in einer offenen Gesellschaft.
> Auf Handwerk und Haltung folgt die Lehre der Verständlichkeit, also der Wille so zu schreiben, dass die Menschen mit Lust und Gewinn lesen.
Die gesamte Ausbildung ist multimedial. Die neuen Möglichkeiten des Journalismus – etwa Daten-Journalismus, soziale Netzwerke, Timeline – sollen erlernt und ausprobiert werden. So endete die Ausbildung mit einer Recherche-Woche, in der die Volontäre eine Multi-Media-Reportage produzierten mit Notizblock, Kamera, Video und Diktiergerät – fürs Internet und eine Sonderausgabe der Wochenend-Beilage.
Die Spiegel-Affäre, der TV-Film im Ersten und der missionarische Journalismus
Es ist ein eindrucksvoller Film, den das Erste über die Spiegel-Affäre zeigt – nicht nur wegen der unentwegt Weinbrand-trinkenden Redakteure. Der Film räumt gründlich mit der Legende auf, dass Augsteins Kampf eine idealistische Veranstaltung war, um der Pressefreiheit ihren demokratischen Rang zu erstreiten. Dass die Pressefreiheit am Ende so gestärkt war wie in wenigen anderen Ländern, stand nicht in Augsteins Plan.
„Ich wollte Strauß aus der Bundesregierung Konrad Adenauers herauskatapultieren“ – das schrieb Augstein, das war sein Plan. So stand es 1994 im „Spiegel“. Der Film über die Spiegel-Affäre zeigt beindruckend klar, wie heftig auch die Redakteure gestritten haben – gegen Augstein, ihren Chef. „Du bist besessen“, sagt Augsteins Bruder, ein Rechtsanwalt, über den persönlichen Feldzug gegen Strauß.
„Das ist Propaganda!“, brüllt ein Redakteur über die Vermischung von Gerüchten und Tatsachen – und stellt den Spiegel-Journalismus in die Nähe zum DDR-Journalismus, der sich als Propaganda verstand. Augstein lassen die Vorwürfe kalt: Die grundlegenden journalistischen Werte wie Wahrheit und Fairness nennt er „heuchlerische Anstandsregeln“.
Heute noch diskutieren Journalisten, ob dieser missionarische Journalismus nicht zu einer der bedenklichen Spielarten zählt. So sahen wir es auch in der ersten Auflage des „Handbuch des Journalismus“ vor achtzehn Jahren:
Die vierte Spielart des bedenklichen Journalismus ist der missionarische Journalismus. Ihn kennzeichnet das, was Rudolf Augstein im Spiegel 15/1994 geschrieben hat: „Ich wollte Strauß aus der Bundesregierung Konrad Adenauers herauskatapultieren“, und: „Als Verteidigungsminister, Außenminister und erst recht als Nachfolger des Bundeskanzlers musste Strauß unmöglich gemacht werden.“
Ist dies die Sprache eines Journalisten? Sollte es sich nicht vielmehr um die Sprache eines Politikers handeln – eines Politikers, der eine einleuchtende politische Ansicht vertrat und sich mit Strauß zugleich in einem weniger einleuchtenden Zweikampf sah, so dass er den Spiegel als Sturmgeschütz auf Strauß ansetzte? Ist es wirklich tollkühn zu fragen, ob das „Journalismus“ heißen soll?
Von der Spiegel-Schlagzeile „Barschels schmutzige Tricks“ hat Augstein sich zwar nachträglich distanziert – aber formuliert war sie natürlich in seinem Geiste: Wir mussten Barschel aus der Regierung katapultieren, schließlich wollten wir die Wahlen in Schleswig-Holstein entscheiden, am Tag nach der Veröffentlichung fanden sie statt.
Und so stützte sich der Spiegel, seiner eigenen Darstellung nach, weil er keine Zeit zum Nachrecherchieren hatte – stützte sich der Spiegel also bei dieser Zeile zunächst allein auf die Aussagen eines Zeugen von schon damals katastrophalem Leumund.
Das Glück des Spiegels dabei war, dass es jahrelang so aussah, als habe er eine Wahrheit nur vorzeitig ausgesprochen. Inzwischen sind wir schlauer: Wir wissen, dass die SPD sich von schmutzigen Tricks keineswegs freigehalten hat und dass der Schmutzigste von allein in dieser Schlammschlacht vermutlich des Spiegels Zeuge war.
Wenn Journalisten selber Politiker sind – wie sollen sie dann eben den Politikern auf die Finger sehen? „Der Journalist“, sagt Johannes Gross, „hat nicht Überzeugungen feilzuhalten oder für Glaubensbekenntnisse zu wüten, sondern Nachrichten zu formulieren und Analysen auszuarbeiten (…) Die Ethik des Journalismus ist eine Service-Moral.“
In späteren Auflagen haben wir das Journalisten-Kapitel zugunsten des Online-Kapitels gekürzt. So fiel der „missionarische Journalismus“ heraus ebenso wie diese drei Grundhaltungen, „die wir als bedauerlich empfinden“:
1. Der Krawalljournalismus des Boulevards.
2. Der überflüssige Journalismus in vielen Zeitschriften, die Umfragen ins Heft bringen, nach denen keiner verlangt (etwa: Bei Single-Männern, wenn sie nicht allein schlafen, liegen die Rheinland-Pfälzer zehnmal öfter hinten als die Mecklenburger).
3. Der verknöcherte Journalismus saturierter Abonnements-Zeitungen.
Sehenswert – nicht nur für Journalisten!
Die Spiegel-Affäre, Mittwoch, 7. Mai 2014, 20.15 bis 21.55 im Ersten; anschließend Dokumentation zum Thema.
„Trutzburg des wahren Journalismus“: Blick ins Innere der „Spiegel“-Redaktion
Spiegel-Redakteure sind Plaudertauschen, die nichts für sich behalten können – vor allem wenn es um Konferenzen mit dem Chefredakteur geht. Das hat einen Vorteil: Der neue Chef kann sich die Stelle des Pressesprechers sparen, braucht weder Pressekonferenzen noch Pressemitteilungen. Er wäre immer zweiter Sieger, es sei denn, er sammelte vor den Konferenzen alle I-Phones ein.
Wochenlang jagten die Redakteure den neuen Chefredakteur, noch vor seinem Amtsantritt, durch befreundete oder weniger befreundete Zeitungen, weil sie mit einer Personalentscheidung haderten. Anfang Dezember erzählten die nationalen Zeitungen aus einer Montags-Konferenz, dass der Spiegel ab Neujahr 2015 zwei Tage früher, also samstags, erscheinen werde. Die unbekannten Whistleblower aus der Spiegel-Redaktion werden ausführlich in der Süddeutschen zitiert, der Chefredakteur wird offenbar nicht gefragt – dafür aber der Chefredakteur des Focus.
Bei der Süddeutschen haben gleich zwei Reporterinnen recherchiert, bei der FAZ nur ein Reporter – aber der hat immerhin beim Spiegel selber gefragt und sogar mehr erfahren. So viel zu investigativen Recherchen im Medien-Milieu.
Kommen wir zur Fiktion: Spiegel-Reporter investigieren nicht nur, sie schreiben auch Bücher, in denen ein Magazin vorkommt, das dem Spiegel verdammt ähnlich ist. „Trutzburg des wahren Journalismus“ nennt Spiegel-Reporter Dieter Bednarz das Verlagshaus – in seinem gerade erschienenen Roman „Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront“. Klar: Das Buch ist Fiktion; aber die ist recht nah an der Wirklichkeit gebaut.
Mimosen sind die Reporter, feilschen um jedes Wort, das sie geschrieben haben – meint die Ehefrau des Reporters, im Roman selbstverständlich:
„Dieter“ – so heißt der Autor, der im wahren Leben Spiegel-Reporter ist, und der Reporter im Buch.
Dieter neigt zur Melodramatik. Wenn sie ihm in der Redaktion in seinen Geschichten „rumfummeln“, wie er das nennt, legt er in Gedanken gleich das ganze Blatt in Schutt und Asche, will kündigen oder sich umbringen. Mal reagiert er aggressiv, mal depressiv, je nach Stimmung. Aber dann macht er doch nichts von alledem. Er beruhigt sich vergleichsweise schnell und sieht sich ganz sachlich an, was an seinen Texten verändert wurde. Manches, räumt er dann ein, sei wirklich besser geworden. Und an vielen Stellen… hat tatsächlich einer seiner Chefs nur wieder mal zeigen wollen, wer der Herr der Texte ist.
Das Redigieren der Texte dürfte eines der großen Themen sein in der schönen neuen Spiegel-Kantine direkt am Wasser – wenn nicht gerade der Chefredakteur in einer Konferenz gesprochen hatte. Der größte Schrecken für einen Reporter, so man dem Roman glaubt, dürfte eine redigierende Frau sein – wie Saskia, die Dieter Lindemann als Ressortleiterin vorgezogen wird:
Saskia ist so typisch für unsere Redaktion und wie das Blatt tickt. Die Dame ist erst seit drei Jahren bei uns, aber in den Konferenzen ergreift sie das Wort, als sei sie die Enkelin unserer Verlegerin. Sie hat die Chuzpe, die größten Belanglosigkeiten mit gewaltiger Gewichtigkeit und Schärfe zu vertreten.
Saskia, eine „Quotenfrau“, fühlt sich als die Zukunft des Journalismus: Weniger verkrampft schreiben, flüssigere Texte, persönlicher, in einer eigenen Sprache – „Story telling, Lindemann.“
Sie schaut mir in die Augen, nickt und seufzt, als müsse sie einem Kind die Welt erklären. „Unsere Geschichten müssen ein Lagerfeuer sein, Lindemann, an dem die Leser gerne sitzen möchten.“
Volontärs-Väter sollten ihren Volontären nie mehr vom Lagerfeuern erzählen!
Bleibenden Schaden hat bei den Spiegel-Redakteuren offenbar die Streichung des Kaffee-Service hinterlassen. Diesem einmaligen Service am Nachmittag widmet der Roman-Dieter auch einige Zeilen:
Früher hatten wir nette Studentinnen, die uns Essen oder Trinken in unsere Büros brachten. Unser Verleger, damals einer der ganz großen und legendären, meinte es noch gut mit uns. Immer volle Kühlschränke, alles frei und Snacks am Schreibtisch serviert…
Heute regieren seine Erben. Jetzt steht auf jeder Etage so ein Monstrum für Coke oder Kaffee. Moderne Zeiten. Wer kein Kleingeld hat, kann auf dem Klo den Kopf unter den Wasserhahn hängen. Auch wir müssen sparen.
Um nicht Mythen entstehen zu lassen: Auch beim Spiegel kommt aus dem Wasserhahn kein Kaffee.
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 286 Seiten, 19.99 Euro
Bednarz‘ Roman erzählt erst von einem Seitensprung, dann von der Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. In Hamburgs Journalisten-Bars geht der Spruch um: „Die dritte Ehe klappt.“ Bednarz rettet die erste.
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