Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre

Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 12. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, PR & Pressestellen, Presserecht & Ethik.

Bisweilen fällt es schwer, den Presserat zu schätzen. Seine Rüge gegen Brand Eins deckt die Schwächen des Presserats auf und lässt um seine Zukunft bangen.

Vorweg: Erstens – wir brauchen in Deutschland den Presserat. Zweitens – wir brauchen dringend eine Reform des Presserats.

Blicken wir kurz zurück: In der Adenauer-Ära wollte der Staat immer mehr die Presse kontrollieren, erwog staatliche Pressekammern, schlug vor fünfzig Jahren in der Spiegel-Affäre dramatisch zu und wurde erst 1966 vom Verfassungsgericht gebremst. Danach einigten sich Verleger und Journalisten auf eine Selbstkontrolle und übergaben dem Bundespräsidenten 1973 den Pressekodex.

Diese Selbstkontrolle sollten wir bewahren – aber ohne Selbstherrlichkeit, die in der Brand-Eins-Affäre wie in einem Brennglas sichtbar wird:

1. Transparenz fehlt – Die Sitzungen des Presserats finden hinter verschlossenen Türen statt; selbst die Beschuldigten werden nicht geladen. Der Einwand trägt nicht, ein höherer Aufwand sei den Ehrenamtlichen im Presserat nicht zumutbar. Immerhin geht es um die Ehre von Redakteuren, Zeitungen und Zeitschriften – und es gibt Telefon- oder Videokonferenzen. Vor allem: Was spricht gegen die Teilnahme der Beschuldigten?

2. Unschuldsvermutung fehlt – In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es: „Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“

Offenbar gilt er nicht für den Presserat. Der Beschuldigte kann sich zuvor nur schriftlich äußern, er kann nachher keine Beschwerde einlegen. Die Briefe des Presserats sind bisweilen kryptisch, die Vorwürfe nicht klar erkennbar. Erst nach dem Aussprechen der Rügen ist mitunter zu entdecken, wogegen sich eine Redaktion hätte wehren müssen.

Gerade kleinere Redaktionen tun sich schwer mit dem Verfahren und rutschen schnell in eine Mißbilligung oder Rüge hinein. Größere Redaktionen kümmern sich schon nicht mehr um den Presserat und lassen Anwälte oder ihre Rechtsabteilungen antworten (was nicht im Sinne der Selbstkontrolle der Journalisten ist).

Sinnvoll wäre eine Art Schlichtungsverfahren, wenn der Presserat auf eine Teilöffentlichkeit in den Sitzungen weiter verzichten will: Der Presserat entscheidet und gibt – nicht öffentlich – den Beschuldigten die Chance auf zu begründenden Widerspruch.

Unehrenhaft ist die Art der Verkündung durch eine Pressemitteilung. Nach der Geheimsitzung bekommt nicht der Beschuldigte die Entscheidung zugeschickt, vielmehr erfährt er es über Nachrichtenagenturen oder Mediendienste im Internet. Die Begründung wird nur bröckchenweise geliefert, erst Wochen später im vollen Wortlaut.

3. Unterstützung der Journalisten fehlt. – Die Arbeit in den Redaktionen wird immer schwieriger, vor allem durch den wirtschaftlichen Druck. Was ist journalistisch zulässig, ohne die Unabhängigkeit zu verlieren?

Redaktionen wie Verlagen suchen nach neuen Wegen, mit gutem Journalismus – und nicht selten auch mit schlechtem – Geld zu verdienen. Da ist den Redaktionen nicht mit Rügen geholfen, vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?

Neue Geschäftsfelder suchen fast alle, nicht nur Brand Eins. Was ist mit „Euro extra“? Mit „Icon“ aus der Welt-Gruppe? Den Beilagen der FAZ wie „Auf in die Zukunft“? Der „Vinothek“ oder „Cinemathek“ der Süddeutschen? Der Beilage „Vital“ der Rheinischen Post?

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Will der Presserat jetzt endlos rügen? Oder den Redaktionen und Verlagen helfen?

Der schlechteste Weg ist der über die Juristen. Der Pressekodex ist eben kein Gesetz, sondern eine ethische Grundsatz-Erklärung, der Hippokratische Eid der Journalisten. Brand Eins wusste sich, offenbar zu Recht, nicht anders als juristisch zu wehren. Wenn das zum Normalfall wird, ist der Presserat als Selbstkontrolle der Journalisten am Ende.

Die Chronik der Brand-Eins-Affäre

Ende Juni 2012: Brand Eins erscheint, Abonnenten bekommen auch das Magazin beigelegt „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“; das Magazin ähnelt dem Design von Brand Eins, ohne dass auf Brand Eins Bezug genommen wird oder auf dem Cover auftaucht.

27. September: Pressemitteilung des Presserats über die Rügen, die in der vergangenen Sitzung ausgesprochen worden sind

BRAND EINS wurde gerügt wegen eines Verstoßes gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebenen Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde. Das Heft unter der Überschrift ‚Hilfe! – Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft‘ wurde auf der Titelseite als „Ein Magazin über die Pharmaindustrie“ bezeichnet.
Der Beschwerdeausschuss sah mit dieser Publikation die gebotene klare Trennung von Redaktion und Werbung verletzt. Für den Leser erweckte sie den Eindruck einer Sonderausgabe von BRAND EINS. Es handelte sich jedoch um eine Auftragsproduktion, die von einem Verband finanziert wurde. Das Gremium ging davon aus, dass dessen Interessen Einfluss auf die Grundrichtung des Heftes genommen haben. Durch diese Art von Publikation und das dahinter stehende Geschäftsmodell gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.

Online ist die Passage zur Rüge gegen Brand Eins mittlerweile gestrichen. Die Rüge richtete sich gegen das Heft „Hilfe!“

28. September Deutschlandradio Kultur – Kulturnachrichten / Presserat rügt Wirtschaftsmagazin „Brand Eins“

„Durch diese Art von Publikation gerät die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr.“ So urteilt der Deutsche Presserat über eine Beilage des Wirtschaftsmagazins „Brand Eins“ und hat ihm deshalb eine Rüge erteilt. Die Beilage wurde im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie erstellt. Nach Ansicht des Presserats entstand aber der Eindruck, es handele sich um eine Sonderausgabe von „Brand Eins“. Damit habe das Magazin gegen die Trennung von Redaktion und Werbung verstoßen.
28. September Pressemitteilung: brand eins rügt Presserat

Der Presserat hat gestern eine Pressemitteilung verbreitet, in der er über eine gegen brand eins ausgesprochene Rüge berichtet. Über die Rüge – die brand eins bisher nicht vorliegt – heißt es in der Pressemitteilung:

„Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins (sc. brand eins) hatte – im Auftrag des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben …“.

Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur im Impressum der gerügten Publikation, sondern auch in der Stellungnahme, die die brand eins Redaktions GmbH & Co. KG im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegenüber dem Presserat abgegeben hat, wird ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um eine Publikation der Verlagstochter brand eins Wissen GmbH & Co. KG handelt.

Dabei handelt es sich um die Corporate Publishing-Gesellschaft der brand eins Medien AG, mit eigener Geschäftsführung und eigener Redaktion, die seit 2001 Publikationen im Auftrag erstellt. Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins brand eins war zu keinem Zeitpunkt in die Arbeit an dieser Fremdproduktion involviert.

brand eins wird gegen die Falschmeldung des Presserats juristisch vorgehen.

 

2. Oktober von 1633 bis 16.36 vier Tweets von Brand Eins:

Der Presserat hat gegenüber brand eins eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Er verpflichtet sich, nicht weiter zu behaupten, dass brand eines eine Publikation im Auftrag der pharmazeutischen Industrie geschrieben habe.
Für den Fall der Zuwiderhandlung hat sich der Presserat zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet und zum Ersatz des der brand eines Redaktions GmbH & Co aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schadens.

Neben der Unterlassungserklärung verpflichtete sich der Presserat noch im Fall der Zuwiderhandlung zur Zahlung einer Vertragsstrafe. Zudem ist der Trägerverein des Deutschen Presserats bereit, Brand Eins den aus der Verbreitung der Äußerungen entstandenen Schaden zu ersetzen.

 

4. Oktober: Meedia.de meldet im Nachtrag zum Bericht über die Unterlassungserklärung am 2. September:

Die Unterlassungserklärung bezieht sich allerdings nicht auf die Rüge, sondern nur auf eine Formulierung aus der Pressemitteilung. Diese lautete: „Die Redaktion des Wirtschaftsmagazins hatte – im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie – eine Publikation geschrieben, die mit einer regulären Ausgabe der Zeitschrift verteilt wurde.“

 

Pressekodex Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + Service B Medien-Kodizes + 51-52 Pressesprecher und PR + 20 Waschzettel und Verlautbarungen)

LINK: http://www.djv-brandenburg.de/cms/nachrichten/2012-10-15_Presserat-reformbedeuerftig.php

19 Kommentare

  • „vielmehr brauchen sie klare Hinweise: Wo sind die Grenzen? Welchen Spielraum haben die Journalisten? Was müssen die Verlage tun?“
    .
    Und all das gibt’s nicht? Glaub ich nicht.
    Im „Bildblog“ wird doch oft aus den Statuten zitiert, da erkenn‘ ich durchaus die Grenzen. Die immer häufiger und immer wieder überschritten werden. Und zwar nicht vom viel zu lahmen Presserat (DAS wäre das Thema) sondern von den Verlagen, Redaktionen, Journalisten. Die sich nicht an die Regeln halten, nicht an Höflichkeit, Rücksichtnahme, Mitleid, Unbestechlichkeit, Ehrlichkeit, nicht an all die Dinge, die im täglichen Leben eine Selbstverständlichkeit sind (so wie z.B. auch die Verbrechen an der deutschen Sprache. Aber das ist ein anderes – großes – Thema). Und die den Presserat überhaupt nicht Ernst nehmen, weil dessen Rügen etc. KEINERLEI Folgen haben.

  • zur „Affaire“: Ich kann die Redaktion des Heftes verstehen, dass sie nicht für etwas verantwortlich gemacht werden möchte, dass sie nicht produziert hat. Aber: Die Frage zwischen der Trennung von wirtschaftlichen und redaktionellen Interessen hat sich 1. der Verlag gefallen zu lassen, wenn er eine PR-Abteilung unter fast identischem Namen wie das Heft gegründet wird und 2. auch wieder das Heft selbst, wenn es eine bezahlte Beilage annimmt, bei der das Abstandsgebot offensichtlich nicht hinreichend beachtet wurde.

    • So ist es. Aber brand eins sieht so schick aus, das müssen die Guten sein.

    • Richtig – und entgegen der Behauptung einiger Kommentatoren ist nicht alles so eindeutig wie die Hochglanzwerbebeilage der Stadtwerke im lokalen Anzeigenblatt. In sehr vielen Fällen drucken Magazine eigene Beilagen, weil die Inhalte (Jahreshoroskope, Anleitungshefte, etc.) nicht zusammen mit dem Hauptheft weggeschmissen werden oder als Kaufanreiz dienen sollen. Die Beilage der Brand Eins sollte den Eindruck einer solchen Hefterweiterung machen.

      Das Berufen auf „Brand Eins Wissen“ statt „Brand Eins“ erinnert mich daran, dass die Leute am Postschalter sagen dass sie nur von der Postbank seien, wenn man ein zerfleddertes Paket reklamieren will. Von „Brand Eins Wissen“ würde ich außerdem das Gegenteil von Werbung erwarten.

  • Ich kann verstehen, dass der Verlag gegen die Formulierung vorgeht, aber die Rüge an sich scheint mir doch gerechtfertigt.
    Eine von der Pharmaindustrie bezahlte Beilage über die Pharmaindustrie, deren Design an das tatsächliche Heft angepasst ist… gab es da Hinweise wie „Anzeige“ auf dem Magazin? Ich tippe mal auf „nein“.

    Das Verfahren, das der Presserat anwendet, sieht aber tatsächlich nicht so toll aus. Nicht-öffentliche Sitzungen, direkte Veröffentlichung der Rügen ohne Verteidigungsmöglichkeit… andererseits sind in meinen Augen die Mittel des Presserates so oder so witzlos. Wenn man sich gewisse Blätter anschaut, dann wird klar, dass zumindest große Zeitungen eh auf den Kodex und den Presserat pfeifen. Der Presserat rügt etwas und beim nächsten Mal macht die Zeitung genau das gleiche. Warum sollte sie auch nicht, der Presserat hebt ja eh nur den Finger und sagt „Du, Du, Du!“.

    Man sollte also nicht nur die Verfahrensweise reformieren sondern auch das Instrumentarium.

  • Wieso wird der Presserat überhaupt ernst genommen? Rügen haben *null* Auswirkung.

  • Wie Bassa schon angedeutet hat, liegt das Problem noch erheblich tiefer. Ich habe mir schon öfters vorgestellt, dass diverse Rügen, Missbilligungen etc. hübsch eingerahmt auf den Fluren z.B. der BLÖD-Zeitung hängen wie Trophäen, und der Schreiber, der am Jahresende keine hatte, wird gefeuert. Der Presserat ist ein zahnloser Papiertiger.Zumindest Geldstrafen sollte er verhängen können.

  • Also da wird ein bunter Marken-Mischmasch mit änhlich wohlfeilen Bezeichnungen kreiert, das zunächst einmal mühsam auseinanderklamüsert werden muss und dann beschwert man sich, dass das Kleingedruckte doch alle Klarheiten beseitig hätte.

    Die Rüge ist m. E. nach richtig, da sich die PR-Glosse im Kielwasser der „echten“ Zeitung ins Bewusstsein der Leser schumeln wollte.

    Was in dem Artikel auch nicht so deutlich wird, ist die Tatsache, dass der Autor einer der Gründer von brand eins ist. Vielleicht ist die Objektivität dabei etwas auf der Strecke geblieben …

    • @ kleitos

      Es ist nicht fair, Paul-Josef Raue mangelnde Objektivität vorzuwerfen, weil er zu den Gründern von brand eins gehört habe – allein schon deshalb, weil es nicht wahr ist. Paul-Josef gehörte zur Gründungsredaktion des Vorläufers Econy, verließ diese aber bereits nach wenigen Ausgaben. Als Gabriele Fischer, Wolf Lotter und Kollegen die brand eins entwickelten, war er nicht mehr an Bord. Um so mehr ehrt es ihn sogar, dass er hier seine früheren Kollegen verteidigt.

      Vorweg gesagt: Ich selbst war an „Hilfe“ nicht beteiligt, habe als brand eins-Autor ohne Affinität zu Pharma-Themen also nur indirekt mit der Sache zu tun. Ich vertrete hier auch ausschließlich meine persönliche Meinung, nicht die der Redaktion oder des Verlags, und habe mit niemandem in der Redaktion über den Presserat gesprochen. Mich stört es einfach, dass der Presserat (von dessen Mitgliedern ich einige schon sehr lange persönlich kenne und großenteils eigentlich schätze) hier mit zweierlei Maß misst.

      Das Trennungsgebot ist auch mir sehr wichtig. Nun kommt man als freier Journalist heute leider schlecht über die Runden, wenn man um Corporate Publisher einen großen Bogen macht – vor allem, weil man dann auch für keinen der großen Verlage mehr arbeiten dürfte: Gruner+Jahr, Burda, Handelsblatt, Süddeutscher Verlag, Jahreszeiten – sie sind alle längst große Nummern im CP-Gewerbe. All diese Verlage greifen (wie brand eins Wissen) gerne auf bewährte Autoren ihrer selbstverlegten Magazine zurück, um die CP-Hefte ihrer Auftraggeber zu füllen. Und längst nicht immer bewahren sie sich so viel redaktionelle Eigenständigkeit wie in diesem Fall: Die Pharma-Lobbyisten hätten leicht eine pflegeleichtere Redaktion finden können, die ihr gegen Geld aus der Hand frisst. Soviel Bereitschaft zu Selbstkritik, wie die Pillendreher bei „Hilfe“ aufgebracht haben, ist selten in der Industrie. Im Gegenteil zeugt das Heft davon, dass der Auftraggeber wusste, dass er sich an Leser wendet, die er nicht für dumm verkaufen sollte. Wer’s mir nicht abnimmt: Selber lesen!

      Es geht also bei CP nur darum, wie man damit umgeht bzw. dass man dabei seriös bleibt. Der Autorenvertrag von brand eins enthält explizite Regeln gegen Interessenkonflikte: Wenn ich für Firma A oder Verband B arbeite, darf ich im Heft nicht über Themen schreiben, die deren Interessen tangieren. Man mag mich voreingenommen nennen, aber eine Auftragsproduktion ohne Logo des Magazins und mit klarer Aussage, wer der Auftraggeber ist, als separates Objekt mit die Folie einzuschweißen, ist für mich die klarste Trennung zwischen beiden Welten. Kein Leser in dieser Zielgruppe ist so dumm, das nicht zu erkennen, oder er stellt sich bewusst blöd.

      Schaue ich mir dagegen an, was die Großen in manchen Titeln so treiben, geht mir die saubere Trennung wirklich ab. Und damit meine ich nicht die ganzen Supplements, die oft mit Logo der Süddeutschen aus derselben purzeln (und natürlich von SZ-Mitarbeitern gefüllt werden, ohne dass jemand protestiert oder es gar rügt). Nein, sogar im SZ-Magazin ist es doch Usus, im redaktionellen Teil ganz unverblümt Mode- und Lifestyle-Produkte zu inszenieren oder anzupreisen. Auch die Ur-Jetzt hat sich krasse Dinge erlaubt, ich erinnere mich etwa an ein Heft, das so layoutet war, dass man spontan eine bestimmte inserierende Handelskette assoziierte. Deshalb habe ich vor Jahren mal die Probe aufs Exempel gemacht und himmelschreiende Beispiele von Product oder Brand Placement nach Bonn geschickt. Der zuständige Beschwerdeausschuss hat sich fürchterlich geziert, das aber als legitime Berichterstattung gewertet. Ich gehe bis zum Beweis des Gegenteils davon aus, dass zumindest ein Teil der Journalistenfraktion einer Missbilligung nicht abgeneigt war, aber keine Mehrheit im Gremium fand.

      Kurzum: Wenn der Presserat gegen alle VDZ- und BDZV-Mitgliedsverlage konsequent mit der gleichen Schärfe wie gegen brand eins vorgehen sollte, wird es Rügen nur noch so regnen. Ich wette, er wird es nicht tun: Bei großen VDZ-Mitgliedern ist gerade en vogue, Frauenzeitschriften zu Warenkatalogen mit angeschlossenem Online-Versandhandel umzubauen. Deshalb ist es praktisch für den Tiger, wenn er sich auf Kosten einer seriösen Zeitschrift darstellen kann, als hätte er noch Zähne im Maul.

  • als brand eins-abonent:
    die trennung zwischen „hilfe“ und dem eigentlichen magazin war wirklich deutlich. es gab extra zwei vorworte, eines vom auftraggeber und eines von der redaktion, und diese erklären die „verhältnisse“ ab. (Bundesverband für Pharmazeutische industrie: „Deswegen haben wir dieses Magazin in Auftrag gegeben“ link: http://www.brandeins.de/fileadmin/contents/wissen/Hilfe_Pharmamagazin.pdf Seite 3)

    der presserat scheint das nicht erfasst zu haben, und war dann auch zu blöd zur recherche auf brandeins.de oder eben dem impressum.

  • Mangelnde Trennung zwischen einem Magazin und einer – egal wie aussehenden – Beilage? Das kann doch nicht ernst sein. Wenn die Beilage nicht auf dem Titel erklärt, dass es sich um Brand Eins handelt, dann sollte JEDEM klar sein, dass es sich um eine Beilage und nicht um zusätzliche Seiten des Hauptheftes handelt. Und mit sehr wenig Allgemeinwissen weiß man dann auch, dass solche Beilagen eben aus Werbungsbeiträgen bestehen, denn für die Werbeauftraggeber wird i.d.R. in den vorherigen Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften kräftig geworben.
    Aber: Die Beilage erklärt gerade durch Ihr Layout, dass sie zu Brand Eins gehört. Das ist ja gerade der Grund, warum die Werbeauftraggeber da hinein wollen! Nun zu behaupten, das sei gar nicht so, die Werbeidioten würden sich regelmäßig irren (und die Leser fallen dann auch noch darauf herein) ist sehr scheinheilig.

    Immerhin: Es stimmt, der Presserat benötigt dringend eine Reform. Es wird Zeit, dass Strafen den Verlagen weh tun und einen abschreckenden Charakter zurück erhalten. Denn der Verlust der Ehre oder eines Ehrenwortes ist längst nichts mehr, was abschreckt, sonst hätte die BILD schon längst Konsequenzen aus Ihrer Spitzenstellung als Rügenempfängering gezogen.

  • Wer liest das Impressum?

    Brand Eins hat offensichtlich auf ausgeklügelte Weise seine Leser getäuscht und verdient die Rüge. Das Wirtschaftsmagazin beruft sich auf Formalismen. Ich finde das Ergebnis entscheident: das Pharmaheft wurde gelesen, ohne dass die (allermeisten) Leser gemerkt hatten, dass es sich um Werbung handelte.

    • @ Jaheira
      „Wer liest das Impressum?“

      Andersrum wird ein Schuh draus:
      NUR wer das Impressum liest, sieht überhaupt den Namen brand eins. Ähnlich ist allein das Layout.
      Auf dem Cover steht „Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft – Ein Magazin über die Pharmaindustrie“.
      Das Heft ist kleiner als die brand eins.
      Schon auf Seite 2 findet sich ein Vorwort, das mit „BPI – Bundesverband der Chemischen Industrie“ gezeichnet ist.
      Die folgende Textseite, die 5, beherbergt das Editorial – und das ist geschrieben von „Susanne Risch, Chefredakteurin“. Nicht etwa von Gabriele Fischer. Jeder brand eins-Leser erkennt daran sofort, dass er KEINE brand eins in der Hand hält.

      Fazit: Eine Täuschung der Leser sähe wirklich anders aus.

      „Ich finde das Ergebnis entscheident: das Pharmaheft wurde gelesen, ohne dass die (allermeisten) Leser gemerkt hatten, dass es sich um Werbung handelte.“

      Kann man ja einfach mal so behaupten. (Was machen Sie eigentlich beruflich, Jaheira? Journalisten würden erst mal recherchieren, ob das wirklich so ist – und fänden keine Marktforscherstudie, die diese Unterstellung stützen würde, wohl aber Daten, die belegen, dass brand eins-Leser ein überdurchschnittliches Bildungsniveau haben. So dumm, wie Sie zu glauben scheinen, sind die nicht.)

      Genauso gut könnte ich etwas ganz anderes behaupten:

      1. Das Heft wirbt nicht für die Pharmaindustrie, sondern um Verständnis für dieselbe – und spiegelt dem, der es wirklich liest, nicht vor, etwas anderes zu sein als es ist: ein Versuch der Hersteller, die ja nicht allesamt schwarze Schafe sind, der manchmal scherenschnittartigen Darstellung ihrer Branchen in den aktuellen Massenmedien ein differenzierteres Bild entgegenzusetzen: audiatur et altera pars. Dass altera pars für die Chance, gehört zu werden, bezahlt, wird keineswegs verheimlicht. Zudem waren die Adressaten des Hefts immerhin die Abonnenten eines Wirtschaftsmagazins, das nur von Menschen gelesen wird, die wissen, wie Wirtschaft funktioniert. Naive, leicht beeinflussbare Normalverbraucher haben das nie zu sehen bekommen.

      2. Viele Leser haben das Pharmaheft gleich weggetan, weil sie keine Pharma-PR lesen wollten – und damit die Chance verpasst, zu sehen, was passiert, wenn ein Industrieverband ein solches Heft von Journalisten füllen lässt, die einen Namen zu verlieren hätten, wenn sie sich als gedungene Lohnschreiber erwiesen.

      Ganz abgesehen davon ist es mir sympathischer, wenn Pharmaka-Hersteller ihr Geld in diese Art der Unternehmenskommunikation stecken, als wenn sie heimlich Ärzte oder Parlamentarier pampern.

  • Frappierend ist nicht nur die Ähnlichkeit des Layouts. Ich habe jetzt einige Beiträge kurz quergelesen: Sie sind den Artikeln aus »Brand Eins« im Stil so ähnlich, dass man manche Beiträge problemlos in das Magazin verschieben könnte. Wie vielen Leserinnen und Lesern würde es auffallen? — Dieses »Auftragswerk« ist einfach anders gemacht, als die Verlagsbeilagen, die zum Thema Medizin mit der Tageszeitung ausgeliefert werden. Es ist an der Zielgruppe der »Brand Eins« orientiert.

  • […] Raue, einst Mitglied der Gründungsredaktion des brand eins-Vorläufers Econy, befasst sich in seinem Blog mit der Auseinandersetzung zwischen brand eins und dem Presserat. Er fordert eine Reform des […]

  • […] Brand-Eins-Affäre macht Journalisten wuschig: Wie viel PR ist denn in unseren Zeitungen und Magazinen drin, ohne dass […]

  • […] Journalisten ernst genommen wird und die erste moralische Instanz ist. In den Kommentaren zu meinem Blogeintrag wird der Presserat als “zahnloser Tiger” bezeichnet (mikerolli), als eine lahme Instanz […]

  • Interessant, wie man bei brand-eins durch die Bemängelung von Formalismen die eigentliche Rüge kaschieren will und sich mit dem eigentlichen Inhalt der Rüge gar nicht wirklich auseinandersetzt (setzen möchte).
    Bei einer Entschuldigung, dass kleinere Redaktionen sich schwer tun, profitabel zu bleiben, muss man ja schon Vorsatz unterstellen.

    • Hallo Matze,

      haben Sie das Heft selbst gelesen?

      http://www.wissen.brandeins.de/magazine/hilfe-das-pharmamagazin.html

      Und was ist _konkret_ Ihr Vorwurf?

      „Vorsatz“ klingt nach Strafrecht, dann sollten Sie das Delikt benennen. Und bitte mal eine Erklärung dafür liefern, warum die „Tat“ rügenswerter sein soll als die alltägliche PR, die bekannte Großverlage ihren Zeitungen am laufenden Band beilegen – in einer Form, die sich weit weniger vom Trägermedium abhebt und weitaus unkritischer daherkommt: als Supplement oder Verlagssonderveröffentlichung. Deren Schreiber sind – wie bei brand eins auch – in der Regel Autoren, die auch fürs Hauptblatt schreiben.

      Ich hätte da gerne eine nachvollziehbare Argumentation von Ihnen gelesen, warum es für Sie okay ist, wenn der Presserat mit zweierlei Maß misst. Sie können gerne auch meiner Argumentation im oben stehenden Posting kontra geben.

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