Kriminelle Ausländer: Presserat wirft mehr Fragen auf, als Hilfe zu geben

Geschrieben am 8. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Dürfen Journalisten erwähnen, dass Nordafrikaner und Araber wahrscheinlich an den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht beteiligt waren? Der Deutsche Presserat, die moralische Instanz der Zeitungen und Magazine, sagt: „Noch akzeptabel“.

Was bedeutet „noch“? Eigentlich darf man – siehe Richtlinie 12 – die Herkunft von Verdächtigen nicht nennen. Aber es gibt Ausnahmen, so Presserats-Pressesprecherin Edda Eick im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd):

  • Es handelt sich um ein Massenverbrechen, das in dieser Dimension so noch nicht stattgefunden hat.
  • Möglicherweise steckt eine größere kriminelle Struktur hinter der Tat und die Polizei fahndet mit Täterbeschreibungen.

Nicht erlaubt seien „bloße Spekulation darüber, ob das Motiv für die Taten mit der religiösen Zugehörigkeit etwas zu tun haben könnte; hierfür müsse es konkrete Anhaltspunkte geben“.

Fragen bleiben:

  •  Dürfen Journalisten bei einer Tat und einem Täter, der eine Frau vergewaltigt, keine Nationalität angeben?
  • Oder erst bei der Fahndung?
  • Gilt der Polizeibericht, wenn er eine Nationalität erwähnt, als Erlaubnis, diese zu erwähnen?
  • Wann wird ein Verbrechen ein Massenverbrechen? Bei fünf, bei fünfzig oder erst bei mehreren hundert Tätern wie in Köln?
  • Was sind konkrete Anhaltspunkte für eine religiöse Zugehörigkeit? Wird sie erst konkret, wenn der Täter  „Allah ist groß“ gerufen hat oder ein Bekennerschreiben verbreitet?
  • Wenn, so Eick, der Pressekodex mit seinem Verbot, die Nationalität zu nennen, die „Belange aller gesellschaftlichen Gruppen, die sich als Opfer tiefverwurzelter Vorurteile fühlen“ berücksichtigt: Wie unterscheidet man zwischen Vorurteilen und Urteilen? Selbst aufgeklärte Muslims beklagen das tief verwurzelte Frauenbild des Islam: Ist das ein Urteil oder Vorurteil oder „Stereotyp“?

Das Sowohl-Als-auch des Presserats macht die Arbeit in den Redaktionen nicht einfacher:  „Journalisten dürfen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Informationen zu verschweigen“, rät der Presserat; andererseits „können auch mit kleinen Meldungen schon starke Ressentiments gegen Minderheiten geschürt werden“.

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Quelle: epd von Mittwoch, 6. Januar 2016; Gespräch mit Referentin für Beschwerdeführung beim Deutschen Presserat, Edda Eick.

In meinem Blog am 7. Januar hatte ich – ohne Kenntnis des epd-Berichts – vermerkt, es gebe keine Reaktion des Presserats. Auf seiner Homepage schweigt der Presserat auch am 8. Januar noch. In der Rubrik „Aktuelles“ stammt die letzte Meldung vom 3. Dezember 2015.

 

1 Kommentar

  • Dürfen Journalisten mutmaßen, dass es sich bei den Kölner Tätern um Nordafrikaner oder Araber handelt, wenn sie sich nicht zweifelsfrei von Türken, Bosniern oder Südfranzosen, womöglich in Deutschland geboren, unterscheiden lassen? Es handelt sich um ein Massenverbrechen? Es handelte sich um 1000 alkoholisierte, allzu heftig Feiernde, die die Polizei von der Domplatte entfernen musste. Wie viele dann später an den Belästigungen und Vergewaltigungen beteiligt waren, darüber gehen die Schätzungen auseinander. Man sollte das Wort Massenverbrechen auch vermeiden, weil es höchst unscharf ist und immer von interessierter Seite nach Belieben interpretiert werden kann. Steckt eine größere kriminelle Struktur hinter der Tat? Das bezieht sich womöglich auf das Angebot der Düsseldorfer Kripo, die Erkenntnisse einer Sonderkommission mit den Kölner Kollegen zu teilen. Hier ist sogar von 2000 Beschuldigten die Rede. Eine sehr spannende Recherche… Ich vermisse die Ergebnisse in dieser Flut von journalistischen „Erkenntnissen“.
    Dürfen Journalisten bei einer Tat und einem Täter, der eine Frau vergewaltigt, die Nationalität angeben Bei einem Täter in diesem Zusammenhang: Ja. Man hat aber noch keine Täter und damit auch nicht deren Nationalität ermittelt. Und was macht man, s.o., wenn man einen in Deutschland geborenen Migrantensohn ermittelt? Und die Religionszugehörigkeit? Moslem, praktizierend? Alawit, Christ? Christ praktizierend? Angehöriger einer Naturreligion oder einer westafrikanischen charismatischen Bewegung? Wenn man eine wirklich gute Antwort hat, ob die Nennung der Religionszugehörigkeit einen Erkenntnisgewinn für den Leser bringt: Ja. Wenn man den Verdacht hat, dass damit Ressentiments bedient werden: Nein.
    Die Fragen bleiben, natürlich. Zum Beispiel die Frage nach der grundsätzlichen Aufgabe polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit, die sich eben nicht nur an der Information der Öffentlichkeit orientiert, sondern auch – und noch stärker – an polizeilichen Notwendigkeiten. Ein Polizeibericht kann deshalb immer nur eine Orientierung für den Journalisten sein. Denken muss der Journalist deshalb immer noch, und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er bei der Lektüre von Polizeimeldungen den Kopf ausschalten darf.
    Und die genannten Fragen werden bis auf Weiteres nicht zu beantworten sein. Jeder journalistische Bericht, für sich genommen, wird von interessierter Seite im besten Fall kontextualisiert, aber in der Regel instrumentalisiert. Es wird für den Journalisten bei seinen persönlichen Antworten auf diese Fragen auch immer darum gehen, in welche Ecke er dann gestellt wird, und wie er mit dieser – womöglich falschen – Einordnung umgeht. Vielleicht muss man doch den guten, alten Hajo Friedrichs bemühen, der da mal drei Worte fand: „Schreiben, was ist“. Und nicht zu schreiben, was man nicht weiß. Und so lange eine Armlänge Abstand zur Tastatur hält.

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