Die Brandeins-Affäre: Fatale Folgen für den Presserat?
Was ist nur mit dem Presserat los? Er schweigt nun schon in der dritten Woche zu seiner Rüge gegen das Wirtschaftsmagazin Brand Eins, veröffentlicht nicht die Begründung für die Rüge, deren kryptische Kurzfassung in einer Presseerklärung von Brand Eins beanstandet und vom Gericht in einer Verfügung einstweilig verboten wurde.
Haben die Journalisten im Presserat ihre Rüge nicht ausreichend bedacht und sicher begründet? Haben nun die Juristen den Fall übernommen und basteln an einer Fassung, die vor Gericht Bestand haben kann?
So verständlich die Anrufung des Gerichts durch Brand Eins ist, so fatal könnte die Wirkung für den Presserat sein – der eben kein Gericht ist, sondern eine moralische Instanz, die jenseits von juristischen Händeln die Freiheit der Presse wahrt und Journalisten helfen soll, „ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen“ wahrzunehmen (Präambel Pressekodex).
Deshalb: Gebt den Juristen nicht die Führung im Presserat! Gebt den Gerügten und Beschuldigten die Chance, sich zu wehren – wie es in einem Rechtsstaat üblich ist und notwendig!
- Wenn der Presserat keine Beschwerden möglich macht gegen Rügen und Missbilligungen,
- wenn der Presserat nicht transparenter in seinem Verfahren und seinen Entscheidungen wird,dann werden Juristen und Gerichte immer öfter eingreifen und den Presserat zum zahnlosen Tiger machen, der er nicht ist.
Gerade der Eifer, mit dem Brand Eins um seinen Ruf kämpft, zeigt deutlich, dass der Presserat unter Journalisten ernst genommen wird und die erste moralische Instanz ist. In den Kommentaren zu meinem Blogeintrag wird der Presserat als „zahnloser Tiger“ bezeichnet (mikerolli), als eine lahme Instanz (Tom Stein), die nicht ernst genommen werden kann und dessen Rügen keine Wirkung zeigen (Aphager).
Dabei hadern die Kommentatoren weniger mit Brand Eins als mit Bild: Wenn der Presserat das Boulevard-Blatt nicht zähmen konnte, dann kann er nur wirkungslos sein. Dabei erzielt der Presserat gerade bei Bild eine erstaunliche Wirkung, zumindest beschäftigt sich die Bild-Redaktion immer wieder ausführlich mit den Entscheidungen des Presserat:
- Sie jubelt über die Ablehnung von Beschwerden („Bild darf weiter über Skandal-Minister berichten“ oder „Nordkorea scheitert mit Beschwerde gegen Bild“),
- sie wehrt sich im Blatt gegen Entscheidungen („Diesen Entführer soll Bild nicht mehr zeigen dürfen“);
- sie fordert den Presserat auf, mutig zu sein („Schlafe ruhig, Deutscher Presserat!“)
Bild bringt den Presserat in seine Schlagzeilen, veröffentlicht Rügen: Das passt nicht zum zahnlosen Tiger. Reue zeigt Bild zwar selten, streut sich keine Asche aufs Haupt, aber Bild bringt die Entscheidungen des Presserats in die Diskussion – wenn auch mit den Mitteln des Boulevards -, provoziert ein Nachdenken der Bild-Leser über Journalismus, seine Grenzen und seine Gefährdungen.
(zu: Handbuch-Kapitel 48-50 Presserecht und Ethik + 51 Wie man in der PR arbeitet)
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