Kriminelle Ausländer und Flüchtlinge: Muss der Presserat seinen Kodex ändern?

Geschrieben am 7. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Nach dem Silvesterabend auf dem Kölner Bahnhofsplatz werden Medien hart kritisiert: Dürfen sie sexuelle Übergriffe auf Frauen verschweigen oder verharmlosen, um Fremdenfeindlichkeit nicht zu schüren? Dürfen sie die Herkunft der Täter unterdrücken?

Auf der einen Seite sind Medien wie ARD und ZDF, aber auch die taz, die ihre Zurückhaltung verteidigen. Daniel Bax schreibt in der taz:

Unter dem Druck der rechten Gegenöffentlichkeit aus dem Netz, sind auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen – jedenfalls, so lange es sich um migrantische Straftäter handelt.

Auf der anderen Seite kritisieren nicht nur Nutzer der sozialen Medien die Zurückhaltung oder gar Einseitigkeit von Journalisten, vor allem im Fernsehen, sondern beispielsweise auch Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer. Er versteht die Menschen, die den „Nanny-Journalisten“ vorwerfen, „eher einem pädagogischen als einem journalistischen Auftrag zu folgen“.

Das sind die Fakten und Fragen:

  1. Der Presserat zieht diese Grenze in der Berichterstattung:

    In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

    In dieser Richtlinie 12 überwiegt das pädagogische Moment. Der Presserat setzt voraus: Die Leser oder zumindest eine ausreichend große Zahl haben Vorurteile. Daraus folgt er: Der Journalist soll durch Verschweigen bewirken, dass die Leser in ihren Vorurteilen nicht bestärkt werden.

  2. Wie berichten Journalisten über Debatten, die öffentlich toben, ausgelöst durch die sozialen Netzwerke und einem Aktualitäts-Druck, der kaum Zeit zum Nachdenken lässt? Journalisten haben eine Recherche- und Sorgfalts-Pflicht: Reicht der Hinweis darauf aus, erst spät – vielleicht zu spät – zu informieren und reagieren?
  3. Gibt es eine Tendenz zur moralischen Zensur in einigen Medien? Hindert diese Zensur an einer intensiven Recherche? Der Vorwurf der Einseitigkeit aus moralischen Gründen trifft vor allen ARD und ZDF. FAZ-Redakteur Michael Hanfeld nennt es das „betreute Fernsehen“.
  4. Stehen wir vor einer Spaltung der Medien, zumindest im Internet: Die aktuellen, schnellen und vorschnellen, die jede Nachricht sofort raushauen, gegen die seriösen, die auf Sorgfalt achten, den Hintergrund ausleuchten und dem Leser Orientierung geben?

Die Debatte, geführt von Journalisten und in sozialen Netzwerken, sollte der Presserat aufgreifen: Dürfen Journalisten in einer aufgeklärten Gesellschaft zum Vormund ihrer Leser und Zuschauer werden? Sind sie laut Verfassung nicht Treuhänder der Bürger, die selber entscheiden sollen, wie sie Nachrichten bewerten? Hat sich die Öffentlichkeit nicht wesentlich durch die sozialen Netzwerke verändert – und muss nicht der Pressekodex darauf reagieren?

Sieben Tag nach der Silvesternacht in Köln hat sich der Presserat noch nicht geäußert – im Gegensatz zum DJV, der größten Journalistengewerkschaft; ihr Vorsitzender Frank Überall:

Eine nicht durch solide Recherchen gedeckte Verdachtsberichterstattung ist nicht nur unvereinbar mit den Prinzipien des professionellen Journalismus, sondern auch innenpolitisch brandgefährlich.

1 Kommentar

  • Kompliment! Das sind gute Fragen. Nun bleibt abzuwarten, ob der der Presserat diese Vorfälle zum Anlass nimmt, Änderungen am Pressekodex vorzunehmen. Die Wahrheit duch Verschweigen zu unterdrücken ist unter moralischen Aspekten keine gute Lösung. Das betrachte ich schlicht als Manipulationjournalismus. Die taz ist ein Beispiel dafür. Viele Artikel vermischen darüber hinaus Bericht und Meinung. Insofern helfen solche Meinungsblätter in der Meinungsbildung wegen fehlender Faktenanalyse dem Leser nicht weiter.
    Die Angst, mit der Wahrheit den Rechtsextremen in die Hände zu spielen, wird diesen möglicherweise sogar politisch wankelmütige Menschen erst zuführen. Eine Haltung, Fakten würden zu undifferenzierten Reaktionen gegenüber Flüchtlingen führen, ist nichts anderes als die Umkehrung eines Generalverdachts gegenüber allen Deutschen. Cui bono?

    Wie wäre es, jenseits eines hier und da feststellbaren Relativierungsjournalismus, mit professionell aufbereiteten Fakten und Informationen im Sinne von Wahrhaftigkeit? Dafür gibt es viele gute Besipiele, vor allem aus den Lokalteilen der Tageszeitungen. Denn die verfügen über eine höhere Glaubwürdigkeit als die öffentlich-rechtlichen Medien und die dort arbeitenden Journalisten, die sich selbst politisch überwiegend links der Mitte einsortieren.
    FJ Strauß sagte mal: Es gibt keine linke Mitte (Schröder nannte sie später „neue Mitte“), es gibt keine rechte Mitte, es gibt nur eine Mitte. Er verorte sich rechts der Mitte. Das war wahrhaftig.

    Mit Blick auf die Bilder von der Domplatte in Köln könnte man auch zu dem Schluß kommen, dass das Zeitalter des Wortes hinter uns und liegt und wir offenbar im Zeitalter des Bildes endgültig angekommen sind. Warum sonst heisst die größte deutsche Zeitung Bild-Zeitung? Aber auch Bilder können lügen.

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