Regeln: Wie Journalisten mit Terroristen umgehen sollen

Geschrieben am 6. August 2016 von Paul-Josef Raue.
"Die rohe Botschaft" (SZ vom 6. August 2016)

„Die rohe Botschaft“ (SZ vom 6. August 2016)

Die Presse lässt sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen

Dieser Satz müsste als Regel eigentlich ausreichen, wenn Journalisten über Terror und Gewalt berichten. Mit diesem Satz „aus den Leitlinien zur Berichterstattung über Gewalttaten“ beenden Georg Mascolo und der Terror-Experte Peter Neumann ihren Beitrag in der Süddeutschen Zeitung: „Die rohe Botschaft: Terroristen messen den Erfolg ihrer Anschläge auch am medialen Widerhall. Verschweigen ist keine Lösung, aber die neue Bedrohung erfordert neue Regeln“.

Diese Regeln schlagen Mascolo und Neumann vor (hier Zusammenfassung):

  1. Verschweigen kann keine Lösung sein, sonst verbreiten sich Verschwörungstheorien noch schneller.
  2. Größte Zurückhaltung ist geboten bei Fotos und Videos vom IS, anderen Terror-Organisationen oder Einzeltätern, nicht nur bei Bildern der Taten, sondern auch von marschierenden IS-Anhängern oder bei Bekenner-Botschaften von Attentätern.
  3. Ohne Kontext und Einordnung sollten Bilder überhaupt nicht verwendet werden.
  4. Bei der Sprache gilt Vorsicht wie bei den Bildern.
  5. Der Begriff „einsame Wölfe“ für Einzeltäter wird von Behörden und Wissenschaftler zwar benutzt, aber er heroisiert die Täter.
  6. Vorsicht bei Superlativen, die dem IS nutzen, um Angst zu steigern: „Eskalation“ usw.
  7. Pflicht zur Sorgfalt gilt auch für jeden, der in den Sozialen Medien Bilder verbreitet. „Solche Bilder haben das Potenzial zu traumatisieren“, so der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins. „Das ist eine Verantwortung, die man Hobbyjournalisten oder Freizeit-Filmern wirklich vor Augen führen muss.“
  8. Live-Übertragungen von Anti-Terror-Einsätzen gefährden die Arbeit und den Erfolg der Polizei, weil die Täter den Polizeieinsatz live im Fernsehen oder im Internet verfolgen können.
  9. Zurückhaltung bei der Beschreibung von Täter-Biografien: Es gibt keine klare Grenze mehr zwischen terroristischer Motivation und psychischer Erkrankung.
  10. Besondere Zurückhaltung bei Berichten über psychisch Kranke und Amokläufer; die von einigen französischen Medien wie Le Monde vertretene Linie ist richtig: keine Namen, keine Bilder. Die Gefahr von Nachahmern ist besonders hoch. Laut US-Studie steigt die Gefahr von weiteren Amokläufen direkt nach einer Tat um 22 Prozent.

Mascolo und Neumann verweisen auf die Regeln, die der IS zur Unterdrückung der Berichterstattung für sein eigenes Machtgebiet aufgestellt hat; er hat unabhängige Berichterstattung als Bedrohung erkannt: Zugelassen sind nur Journalisten, die dem selbsternannten Kalifen die Treue schwören.

Notwendig seien Fakten gegen die vom IS verbreiteten Mythen. Mascolo und Neumann:

Berichte über die massenhaften Desertionen etwa oder über die Korruption im Kalifat, die inzwischen so groß ist, dass sogar Mitgliederlisten der Terroristen verkauft werden. Oder Geschichten wie die in der Washington Post. Sie beschreibt, dass der IS Leute abgestellt hat, um gefallene Kämpfer zu bergen. Sie waschen ihnen das Blut ab, öffnen ihre Augen, verändern die starren Gesichtszüge so, dass ein Lächeln entsteht. Ganz so, als wären sie nicht unter Qualen gestorben, sondern freudig ins Paradies eingezogen.

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Quelle: SZ 6. August 2016

 

Info: Presserat spricht Rügen aus wegen Fotos von Terroropfern

Unbenommen liegt ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung über das schreckliche Ereignis (in Brüssel) vor. Medien hatten jedoch eine oder mehrere Aufnahmen gezeigt, auf denen schwer verletzte Menschen identifizierbar zu sehen waren. Einige von ihnen sogar in Nahaufnahme. Diese Fotos verstoßen gegen den Schutz der Persönlichkeit. Presseethisch zulässig waren Fotos, die die dramatische Gesamtszenerie am Flughafen und an der Metro zeigten. Diese Bilder dokumentieren die schreckliche Realität dessen, was sich ereignet hat, überschreiten jedoch keine ethische Grenze. (aus einer Pressemitteilung des Presserats)

 

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