Übt die Uefa „Zensur“ bei der EM? Vom falschen Gebrauch eines Wortes (Friedhof der Wörter)
Zensur! Wenn die Redaktion einen Leserbrief nicht druckt, regt sich der Leser auf: Zensur! Als Facebook die Seite einer AfD-Politikerin sperrt wird, schimpft einer: „Offene Zensur missliebiger Menschen“. Und nun die Uefa?
Unterdrückt sie bei der Europameisterschaft TV-Bilder von Krawallen im Stadion, so dass deutsche Zuschauer die Szenen der Gewalt nicht sehen können? Der Vorwurf ist zu hören: Zensur!
Nein, sagt WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, der auch EM-Teamchef der ARD ist. „Es geht darum, uns künftig Bilder, die ohnehin vorliegen, schnell zur Verfügung zu stellen, damit wir entscheiden können, ob wir sie senden oder nicht“, erklärt Schönenborn der Süddeutschen Zeitung. Er kritisiert den inflationären Gebrauch des Worts „Zensur“: „Den sollten Journalisten eigentlich für die Fälle reservieren, in denen er tatsächlich zutrifft.“
Das hindert TV-Moderatoren nicht, weiter von Zensur zu sprechen. Als Zuschauer beim Spiel „Tschechien gegen Kroatien“ Leuchtraketen aufs Spielfeld werfen, spricht der Reporter – allerdings vom ZDF – von „Zensur“. Als die Bilder allerdings doch zu sehen sind, ist er stolz, dass deutsche Proteste offenbar Wirkung bei der Uefa zeigen.
Schönenborn hat Recht, wenn er vor allem Journalisten rügt, die fahrlässig von Zensur sprechen. Der Begriff ist in Deutschland eindeutig definiert: Es ist der Eingriff des Staates in die Freiheit der Presse, in Artikel 5 des Grundgesetzes ultimativ untersagt:
Eine Zensur findet nicht statt
meint den Staat, der über den Inhalt von Medien höchstens nachträglich urteilen darf in einem Gerichtsverfahren.
Das Zensur-Verbot bindet nur den Staat. In Artikel 1 des Grundgesetzes lesen wir:
Die Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Die Pressefreiheit ist eines der Grundrechte. Das Zensur-Verbot gilt also nicht für Privatpersonen, auch nicht für die Uefa und für Facebook; die können auch nicht klagen und sich dabei auf unsere Verfassung berufen.
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Quelle: SZ 17.6.2016
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