Immer wieder Ärger mit dem Blindtext
Ich bin Blindtext, von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es…
Das ist eine beliebte Bildzeile in der BamS, im vergangenen Jahr schon erprobt – stets im Sport. Am Sonntag stand die Zeile unter einem Handball-Spiel bei den Olympischen Spielen. Offenbar ist die Zeit kurz vor Redaktionsschluss die gefährliche Zeit für Blindtext-Pannen: Die Redaktion versucht, in letzter Sekunde noch einen Text nebst Bild mitzunehmen – um so aktuell wie möglich zu bleiben. Diese Pannen lassen sich wohl nicht ausschalten: Wie wäre es mit einem anderen Blindtext, der nur Blindtext ist wie „Dies ist Blindtext, dies ist Blindtext, dies ist Blindtext…“
Blindtext war schon einmal Thema im Handbuch-Blog, als die Berliner Zeitung diesen Zwischentitel den Lesern präsentierte:
Oxy moxy Oxy moxy Oxy moxy Oxy moxy Oxy moxy Oxy moxy
Wer ist der Mann auf dem Brexit-Foto? Ein Handelsblatt-Chef! Regeln für Fotografen und Redakteure
Journalisten gehen bisweilen recht seltsame Recherche-Wege: Matthias Brüggmann, Handelsblatt-Auslandschef, mischte sich in London unter jubelnde Brexit-Anhänger auf der Ukip-Wahlparty. Sein Porträtbild mit Nationalfarben-Papphut auf dem Kopf sendeten Reuters, AP und andere Agenturen rund um die Welt.
Brüggmann ließ offenbar Fotografen wie Reporter im Unklaren, wer er wirklich sei. Brüggmann auf Handelsblatt online:
Ich habe es sogar in den Aufmacher der Onlineausgabe des Londoner „Evening Standard“ geschafft – eine verrückte Geschichte. Und sie lässt tief blicken in Britanniens Medienlandschaft…
Fast alle Boulevard-Blätter und Gratis-Tabloids wollten ein Interview mit mir als vermeintlichem Brexit-Fan. Ungefragt nutzen sie nun die Bilder für ihre Geschichten…
Die britischen Medien fotografieren und filmen einfach, und veröffentlichen die Bilder mit ihren Geschichten dazu – ohne je gefragt zu haben, wer derjenige auf dem Bild ist. So bereut man dann angeblich, für Brexit gestimmt zu haben, ohne jemals auch nur in England stimmberechtigt gewesen zu sein.“
Drei Fragen zur journalistischen Moral schließen sich an:
- Darf sich ein Journalist in eine Wahlparty anonym einschleichen, um an Informationen zu kommen?
- Darf er anonym bleiben, wenn er selbst Objekt von Recherchen anderer Journalisten wird – oder muss er sie aufklären?
- Soll er sich über Fotografen und Reporter nachher lustig machen?
Die Antworten:
Zu 1) Ja
Zu 2) Nein, zumal der Ertrag der Recherche überaus dürftig war.
Zu 3) Das ist überheblich und hoffentlich nicht typisch deutsch.
Und wie gehen Redaktionen mit einem solchen Bild um? dpa war die einzige Agentur, die den unbekannten Mann auf dem Bild nicht als Brexit-Befürworter auswies, sondern geradezu britisch unterkühlt schrieb:
A man reacts to a vote count results screen at an ‚Leave.EU Referendum Party‘ in London, Britain, 23 June 2016. Britons await the results on whether they remain in, or leave the European Union (EU) after a referendum on 23 June.
Das Foto haben mittlerweile alle Agenturen gelöscht.
Dies sind die Regeln für Fotografen und Redakteure, denen auch dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger folgt:
- Wer gezielt, quasi porträthaft, Personen oder kleinere Personengruppen fotografiert, gibt sich als Fotograf zu erkennen, der für Medien arbeitet.
- Er fragt nach den Namen und dem Grund, warum sie an diesem Ort sind.
- Es gibt Ausnahmen, etwa Großveranstaltungen wie die Fußball-Europameisterschaft: Dort kann man Fans, bisweilen bunt gekleidet, nicht jedes Mal fragen, ob sie tatsächlich Fußballfans des Landes sind, dessen Trikot sie tragen.
- In Zweifelsfällen steht in der Bildzeile präzise nur das, was die Redaktion ganz sicher weiß.
Die Bildunterschrift – da versagen selbst Profis zu oft
Das Foto auf der Titelseite der FAZ vom 28. November 2015: Ein unbekanntes Gebäude mit 18 Flaggen in blau-weiß-rot, den französischen Nationalfarben. Dazu die Bildunterschrift:
Ein Volk trauert: In seiner Ansprache erinnerte Präsident Hollande die Franzosen daran, dass die Freiheit jeden Tag verteidigt werden müsse.
Auf dem Bild ist weder das Volk zu sehen noch der Präsident, erst recht nicht redend. Der Leser erfährt nicht, welches Gebäude er sieht. Das ist ein typischer Fehler, der selbst Profis immer wieder unterläuft: Sie setzen beim Leser voraus, dass er weiß, was er sieht – dabei wissen das zwar Redakteure, aber nur wenige Leser.
Auch die Überschrift hilft dem FAZ-Leser nicht, sondern verwirrt: „130 Lachen, die wir nicht mehr hören werden“. Dabei nehmen Leser das Bild und die Überschrift als eine Einheit auf: Steht in der Überschrift etwas anderes, als auf dem Bild zu sehen ist, ist der Leser so verwirrt, dass er in der Regel weiterblättert. Die Text-Bild-Schere oder „kognitive Dissonanz“ ist ein Rausschmeißer: Dann kann der Artikel noch so gut geschrieben sein, der Leser beginnt erst gar nicht mit der Lektüre.
Wie machten es andere:
- „Viele Pariser Bürger folgten dem Aufruf, Fahnen ins Fenster zu hängen“, steht unter dem Bild bei Deutschlandfunk Online. Die Bildzeile ist besser, aber nicht gut: Wo steht das Haus genau?
- Spiegel Online nutzt offenbar die von Reuters mitgelieferte Bildzeile: „Patriotischer Trauerflor am Invalidendom: Fahnen an den Fassaden im Pariser Zentrum (Foto: Reuters)“. Auch die Bildzeile ist auch nicht akzeptabel: Wo ist der Trauerflor? Oder sind die Flaggen der Trauerflor (im Singular?) Ist der Invalidendom zu sehen oder eine beliebige Fassade im Zentrum? Das Foto zeigt offenbar nicht den Innenhof des Invalidendoms, jedenfalls nicht den Innenhof, auf dem die Trauerfeier stattfand. Auch wird nicht genannt, welches Haus im Pariser Zentrum zu sehen ist.
Das „Neue Handbuch des Journalismus“ widmet der Bildunterschrift (oder: Bildzeile) ein eigenes Kapitel:
Als Minimum muss die Bildunterschrift erklären, wer oder was auf dem Foto zu sehen ist, und darf nichts behaupten, was auf dem Foto nicht zu sehen ist… Geben Sie präzise Informationen… Schreiben Sie konkret, nie allgemein… Schreiben Sie stets im Präsens.
Was wäre eine akzeptable Bildunterschrift:
Pariser Bürger hängen die Trikolore, die französische Nationalflagge, in die Fenster so wie hier in der Nähe des Invalidendoms (?). Sie folgen – wie überall in Frankreich – einem Aufruf des Staatspräsidenten nach den Terror-Anschlägen in Paris.
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