Leyendecker: Alltag eines Lokalredakteurs ist schwieriger als der eines Spiegel-Reporters
Im Journalismus gibt es unterschiedlichste Formen von Leistungsdruck. Wenn ein Redakteur in der Lokalredaktion täglich drei Seiten füllen muss, dann ist das für mich echter Druck. Ein Lokalredakteur muss ja nicht nur die Beiträge von nicht einmal freien Mitarbeitern völlig umbauen, sondern am Ende des Tages müssen drei Lokalseiten mit möglichst interessanten News gefüllt sein. Welchen Druck hat im Vergleich dazu derjenige, der beim Spiegel fünf Wochen lang an einem Ort verweilen kann, um eine anständige Geschichte zu liefern?
Hans Leyendecker im Interview mit dem journalist auf die Frage: „Relotius soll nach seiner Enttarnung gesagt haben: ,Es ging nicht um das nächste große Ding. Es war die Angst vor dem Scheitern.‘ Spricht so ein Statement für einen extremen Leistungsdruck im Journalismus?“
Journalisten wie Relotius, so Leyendecker, seien „verdammt privilegiert“:
Der Alltag eines Lokalredakteurs ist dagegen viel schwieriger, viel komplizierter, aber genügend Leute meistern den tagtäglichen Parforceritt mit Bravour. Ein Relotius hat in meinen Augen keine Ahnung davon, was Druck wirklich bedeutet.
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Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort herrschte die einfache Formel:
One man, ohne page, two hands! Mit „two hands“ waren Freelancer gemeint, die als Lückenbüsser Krankheit, Abwesenheit usw. schließen sollten. Bei uns machte man dann daraus ein Planungsinstrument für vieles: Ein Mann, eine Seite……und alle ohne Seite arbeiten zu.
DREI SEITEN ist eine journalistische Katastrophe heute und keine Seltenheit. Selbstausbeutung ist keine Qualität. Die Organisationsformen von Lokalredaktionen müssen schnell auf einen Prüfstand, ehe Print jedes Jahr 15 Prozent an Auflage verliert….
In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten zuständig sind. Und wenn einer der beiden Kollegen krank ist oder Urlaub hat, kümmert sich ein Redakteur um das Kontingent. Arbeitszeiten von 10 bis 23 Uhr sind da keine Seltenheit.