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Qualität im Journalismus: Wahr, wichtig, tief recherchiert – Interview mit Medienprofessor Bucher (Teil 2)

Geschrieben am 23. Januar 2018 von Paul-Josef Raue.
Der Trierer Medien-Professor Hans-Jürgen Bucher mit seiner Doktorandin Bettina Boy. Foto: Uni Trier

Der Trierer Medien-Professor Hans-Jürgen Bucher mit seiner Doktorandin Bettina Boy. Foto: Uni Trier

Herr Professor Bucher, Sie machten vor zehn Jahren Schlagzeilen, als sie die „Twitter-Wall“ bei Ihren Vorlesungen einführten. Studenten konnten ihre Fragen anonym per Twitter formulieren – für jeden Zuhörer und Sie im Hörsaal sichtbar. Hat sich die Wand bewährt?

Ja. Die Idee zur Twitterwall ist im Rahmen eines großen Verbundprojektes von verschiedenen Universitäten zum Thema „Interactive Science“ entstanden. Die zentrale Forschungsfrage war damals, wie die Digitalisierung die Wissenschaftskommunikation verändert und ob sie eventuell zu einer Demokratisierung im Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit beitragen kann. Die Vorlesung ist ein Vermittlungsformat, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und das den Zuhörern sehr eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten bietet.

Die Twitterwall war eine Idee, diese an sich überholte Vermittlungsform, die letztendlich den Kapazitätsproblemen der Universitäten geschuldet ist, dialogisch aufzubrechen. In meinen Vorlesungen ist sie zu einem festen Bestandteil geworden, der sich schon deshalb bewährt hat, weil nicht nur die Tweets, sondern auch die mündlichen Redebeiträge zu einer deutlich dialogischeren Situation beigetragen haben. Dass  die Tweets manchmal auch für Kneipenverabredungen, Liebeserklärungen und schräge Kommentare genutzt werden, muss man im bestimmten Rahmen aushalten.

Sie gehörten zu den ersten, die Regeln für die Qualität im Journalismus aufstellen und messen wollten. Doch die meisten Journalisten halten es immer noch mit ihrem Professoren-Kollegen Ruß-Mohl: „Qualität im Journalismus definieren zu wollen gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.“ Wie definieren Sie Qualität?

Dass die Debatte um journalistische Qualität so unentscheidbar zu sein scheint, wie es auch das Bild vom Pudding-an-der-Wand suggeriert, hat seinen Grund darin, dass Medienbeiträge unter verschiedene Gesichtspunkten, verschiedenen Zielsetzungen und von verschiedenen Rezipiententypen beurteilbar sind. Es gibt allerdings einen festen Anker in dieser Debatte: die zentrale Funktion des Journalismus ist es, eine öffentliche Meinungsbildung mit rationalen und argumentativen Mittel zu fördern.

Lassen sich aus der zentralen Funktion Regeln ableiten, goldene Regeln der Qualität?

Wir nennen sie Funktionsnormen, die auch in verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts formuliert sind: deliberative – also eine argumentative, Pro und Contra abwägende – Meinungsbildung setzt voraus, dass die Berichterstattung wahrheitsgemäß ist,

  • dass sie die relevanten Themen aufgreift,
  • dass die entsprechenden Beiträge informative für die Rezipienten sind – was nur mit einer bestimmte Recherchetiefe zu leisten ist, und
  • dass sie so verständlich und attraktiv gestaltet und formuliert sind, dass sie bei den Adressaten auf Akzeptanz stoßen.

Man sieht sehr schnell, dass die Standards untereinander zusammenhängen und alle Bereiche des journalistischen Arbeitens umfassen: von der Recherche bis zur spezifischen Aufbereitung im jeweiligen Medium.

Stellt das Publikum – vor allem die digitale Generation – andere Anforderungen an die Qualität als die ältere, die analoge?

Ja, mit dem Internet ist eine neue Kultur der Informations- und Wissensvermittlung entstanden. Im Unterschied zu ihrem analogen Pendant ist sie multimodal, besteht also aus ganz unterschiedlichen Symbolsystemen wie gesprochene und geschriebene Sprache, Abbildungen, Grafiken, Bewegbilder, Soundbites, Animationen, sie ist nicht mehr linear, sondern vernetzt und hypertextuell.
Es haben sich mit den sozialen Medien neue Distributionsplattformen für Information und Wissen parallel zum Journalismus etabliert, und wir können uns global informieren. Diese neue Informations- und Wissenskultur hat Einfluss auch auf die Art und Weise, wie wir die sogenannten alten Medien nutzen – bei denen, die nur mit diesen neuen Möglichkeiten aufgewachsen sind, stärker als bei denjenigen, die die mit den traditionellen Medien sozialisiert wurden.

Wenn das Internet das Lesen und Sehen so verändert: Wie ändern sich die Leser und Zuschauer? Und welche Folgen hat das für den Journalismus?

Die Anforderungen an die Selektionsleistungen des Publikums sind deutlich gewachsen. Damit das nicht zur Bildung abgeschlossener Filterblasen führt, in denen jeder nur noch das rezipiert, was zu seiner Weltsicht passt, muss der Journalismus neben seiner Informationsaufgabe auch eine Moderations- und Vermittlungsaufgabe zwischen diesen Communities übernehmen. Dazu gehört es auch, populistischen Emotionalisierungen von Themen nicht hinterher zu laufen, sondern sie durch Aufklärung zu versachlichen.

Sie waren einer der ersten, der mit der Blickaufzeichnung arbeitete und so herausfand, wie Menschen Zeitung lesen. Lesen die Leute digital anders als auf Papier?

In einer Studie haben wir vergleichend das Nutzungsverhalten in der gedruckten Ausgabe und der App von Süddeutsche und Welt mit einer Blickaufzeichnung und mit Interviews untersucht. Dabei hat sich ergeben: die beiden Formate werden unterschiedlich gelesen, aber es werden Erschließungsstrategien aus dem Print- in das Online-Format übernommen. So ist der Anteil der Intensivleser – die also mehr als 50% ihre Nutzungszeit mit Lesen und nicht mit Scannen oder Suchen verbringen  – in der Printausgabe deutlich höher ist als in der App, bei der die sogenannten Anleser dominieren. Vom einzelnen Beitrag wird auch in der Printausgabe mehr an Text gelesen.

Umgekehrt werden in der App mehr Beiträge angeschaut – nämlich etwa 80 Prozent – in der Printausgabe aber nur 56 Prozent.

Und in der App dominiert die Unterhaltung?

Nein, die von Kulturkritikern immer wieder vorgebrachte Befürchtung, dass Online-Nutzung nicht informations-, sondern unterhaltungsorientiert ist, wird von der Studie widerlegt:  das „bunte“ Ressort Panorama wird in den Apps nicht länger rezipiert als in den Printprodukten.

An Ihrer Universität in Trier wird kontrovers über die Zukunft der Medienwissenschaft debattiert. Brauchen wir wirklich Medienwissenschaft? In Trier und überall?

Ich würde sagen: mehr denn je. Aber die Medienwissenschaft muss sich wandeln – sowie sich die Medienlandschaft insgesamt gewandelt hat. Die an den alten Distributionsmedien ausgerichteten Forschungsstrategien, Theorien und Methoden müssen an die neue Partizipationsmedien des Internet angepasst werden.

Das bedeutet: sie müssen auch die großen, unstrukturierten Datenmengen der sozialen Medien und der entsprechenden Nutzerkommentierungen bewältigen, sie dürfen sich nicht, wie bisher, auf die Textanalyse beschränken sondern müssen auch Ansätze für die zunehmende Visualisierung der Medienkommunikation entwickeln und , sie müssen neue Ausprägungen des Journalismus wie Datenjournalismus oder den Social-Media-Journalismus ins Blickfeld nehmen.

Dafür sind neue interdisziplinäre Kooperationen erforderlich wie wir sie für die Zukunft der Trierer Medienwissenschaft bereits vorgesehen haben: Kooperationen mit den Digital Humanities und der Computerlinguistik für die computergestützte Analyse digitaler Korpora, mit der Informatik und der Simulationsforschung, der Soziologie und nicht zuletzt auch mit den Bildwissenschaften.

 

Eine Zusammenfassung der beiden Teile des Interviews in meiner Kolumne JOURNALISMUS! auf „kress.de“.

Die Online-Sonntagszeitung der HNA: Nur Qualität wird den Journalismus retten

Geschrieben am 27. November 2016 von Paul-Josef Raue.
Horst Seidenfaden ist Chefredakteur der HNA in Kassel

Horst Seidenfaden ist Chefredakteur der HNA in Kassel

Guter Journalismus wird notwendig sein, um die Leser, gerade die jungen, anzuziehen. So denken Horst Seidenfaden und Jens Nähler von der HNA in Kassel, sie denken ihre Sonntagszeitung für Online-Leser, aber sie denken sie aus der Zeitung heraus – und starten Anfang Dezember Sieben, eine lokale Sonntagszeitung im Internet.

Qualität zählt, nicht Quantität wie in den billig gemachten 24er-Blaulicht-Portalen, in denen Leser die aktuellen Leichen zählen können: In der Tat werden diese Portale geklickt wie der Teufel, aber sie bringen nur Reichweite und keinen Gewinn – erst recht keinen Gewinn für den Journalismus. Sieben ist der journalistische Gegenentwurf, „Premium first“ nennt ihn Horst Seidenfaden.

Anfang Dezember wird Sieben das erste Mal erscheinen, ein Weihnachtsgeschenk für junge Nicht-Leser, die auf ihrem Tablet die Faszination des Lokaljournalismus erleben sollen. Was ist neu an dieser Zeitung im Netz?

  • Sieben hat ein eigenes Design, das sich nicht an das HNA-Layout anlehnt.
  • Die Ressorts sind nicht die Ressorts der Zeitung, das Menü ist übersichtlich: Heimat / Welten mit Politik und Kultur / Leben mit Garten, Wohnen, Reisen / Klartext mit exklusiver Meinung von starken Kommentatoren.
  • Blogger aus der Region liefern Ratgeber-Themen wie Ernährung, Mode oder Fitness.
  • Keine aktuelle Nachrichten, auch keine Sportergebnisse vom Wochenende; die finden die HNA-Leser weiter auf hna.de und Kassel-Live.
  • Es gibt kein E-Paper; es ist zu teuer in der Produktion, zudem sind keine Verlinkungen oder Einbindungen von Videos möglich.
  • Sieben ist strikt lokal: „Aus den Lokalausgaben fischen wir während der Produktionswoche die Themen heraus, die dann erst später im Blatt erscheinen“, erläutert Horst Seidenfaden, der die Idee hatte. Online-Chef Jens Nähler setzt das Konzept um: „Wir füttern die Artikel an, etwa mit Videos und Bildergalerien.“

Das sind mögliche Themen von Sieben, zu finden in der Nullnummer:

Porträts eines Discjockeys „Die Magie des Plattentellers“ und eines Extremläufers aus Baunatal oder eines Tätowierers aus Treysa; Recherchen wie „Was Verbraucher zu Bio lockt“; eine Bildergeschichte mit Fotos eines Paars aus Kaufungen, das durch Kanadas Natur gezogen war; eine Nachmach-Geschichte „So entsteht ein Schlüsseltäschchen in fünf  Schritten“, aufgehängt an einer Patchwork-Gruppe.

Es gibt keine eigene Sieben-Redaktion, die Produktion bewältigt zunächst Jens Nählers kleine Online-Redaktion. Den Inhalt besorgen zum großen Teil die Lokalredaktionen. „Für die Redakteure bedeutet das keine Zusatzarbeit“, sagt Chefredakteur Seidenfaden, „sondern nur eine Verzögerung: Sie dürfen die Themen zeitversetzt, also in den  Wochen nach der Sieben-Ausgabe,  im Lokalteil mitnehmen.“

Sieben wird bis Ostern Sieben kostenlos sein – verbunden mit dem Hinweis, dass es ab April denen 4,90 Euro  kosten wird, die es ausschließlich abonnieren wollen; für HNA-Abonnenten ist es inklusive. Auf die gut 130.000 Zeitungs-Abonnenten schielen die Chefredakteure nicht. Sie dürfte Sieben nicht übermäßig beeindrucken: Sie reagierten in einem „User-Test“ zurückhaltend, die siebte Ausgabe dürfte ihre Bindung an die Zeitung kaum stärken.

Je weniger die Testleser regelmäßig Zeitung lesen, je weniger sie an das Zeitungs-Layout gewöhnt sind, desto begeisterter waren sie. So werden die „Digital-Only“ zur lukrativen Zielgruppe, die sich durchaus für ein Abo, ähnlich wie bei Spotify oder Netflix, erwärmen können.

Mehr in der Kress-Kolumne JOURNALISMUS! – https://kress.de/mail/news/detail/beitrag/136489-ein-kleiner-schluessel-zum-paid-content-hna-bringt-im-netz-ein-sonntags-lokalmagazin.html

 

Vorschlag einer Wirtschafts-Professorin: Non Profit-Medien, um die Demokratie zu retten

Geschrieben am 19. Mai 2016 von Paul-Josef Raue.
Das Buch der französischen Wirtschafts-Professorin zum Konzept der Non-Profit-Medien

Das Buch der französischen Wirtschafts-Professorin zum Konzept der Non-Profit-Medien

Muss der Staat die Zeitungen retten? Sind Verlage bald nicht mehr in der Lage, Informationen anzubieten, gedruckt oder online, die eine demokratische Gesellschaft dringend braucht?

Zu Gast bei der „Stiftung vor Ort NRW“, einer gemeinnützigen GmbH, die den Lokaljournalismus stärken soll, gegründet von der NRW-Landesregierung. Eingeladen hatte Ulrike Kaiser, Ex-Chefredakteurin des Gewerkschafts-Magazin „Journalist“, die den „Ausschuss  für Vielfalt und Partizipation leitet. Es herrschte Einigkeit: Lokaljournalismus ist unentbehrlich für Bürger in einer Demokratie, er muss besser werden, er muss gestärkt werden  – angefangen bei der Ausbildung, fortgesetzt bei der Weiterbildung.

Unterstützung brauchen die Gründer, die Blogger, die im Netz Zeitungen entwickeln, durchaus als Konkurrenz zu den etablierten Medien: Wenn Konkurrenz belebend ist, wenn Vielfalt sinnvoll ist, dann kann es nur nützlich sein – auch wenn der Kampf um Anzeigen und Sponsoren immer härter werden sollte. Es gibt, so Ulrike Kaiser, immer mehr Redakteure, die Zeitungen im Netz gründen oder gründen wollen, also Profis, denen aber Unternehmer-Wissen fehlt; und es gibt Blogger und Freie, denen das journalistische Handwerk fehlt. Beiden könnte die Stiftung von Nutzen sein.

Die Zahl der Redakteure, die im Netz ihre Zukunft sehen, wird wachsen, da die Verlage noch mehr Redakteure entlassen  und Redaktionen schließen werden; da auch die Pressestellen mittlerweile überfüllt sind, haben entlassenen Redakteure nur wenige Chancen auf eine Festanstellung. Blogger bringen frische Luft in die Medien-Debatte, aber sie füllen zur Zeit nur die Lücken, die Verlage geschaffen haben – noch ohne  große Zukunfts-Perspektive.

Wenn die „Stiftung vor Ort NRW“, integriert in die Landesanstalt für Medien, den Lokaljournalismus – den etablierten wie den bloggenden – wirkungsvoll fördern sollte, könnte es zum bundesweiten Modell werden.

Die Debatte um Journalismus, Verlage, Non-Profit-Organisationen und Demokratie beginnt erst langsam in Deutschland, in Frankreich und den USA ist sie voll entbrennt. „Es ist Zeit für Non-Profit-Medien-Organisationen“, schreibt die Wirtschafts-Professorin Julia Cagé aus Paris, die auch die Doktorwürde von Harvard verliehen bekam, die den französischen Finanzminister berät und im Vorstand der Nachrichtenagentur AFP sitzt.  Ihr Buch „Rettet die Medien“ wurde  in Frankreich als bestes Medienbuch ausgezeichnet; gerade ist es in den USA bei der Harvard University Press erschienen: „Saving the Media. Capitalism, Crowdfunding and Democracy”.

Cagé versucht ein Paradox zu lösen:  „Niemals wurden mehr Informationen produziert wie heute. Aber niemals waren die Medien in so schlechter Verfassung.“ Zu lösen sind ihrer Analyse nach die  inhärenten Widersprüche des Mediensystems nicht mehr von großen gewinnorientierten Unternehmen, die von Menschen  mit tiefen Taschen kontrolliert werden. Ihre Lösung ist ein neues Unternehmens-Modell, die Non-Profit-Medien, ausgehend  von der Prämisse: Nachrichten, wie Bildung, sind ein öffentliches Gut; Vorbild sind  Universitäten, die kommerzielle und Nonprofit-Aktivität verbinden.

Cagé plädiert dafür, zumindest in Frankreich und den USA, Stiftungen rechtlich besser zu stellen, damit sie dauerhaft eine stabile Kapitalausstattung bekommen: Geschenke an Stiftungen sind unwiderruflich und sichern auf lange Sicht die Unabhängigkeit eines Medien-Unternehmens. Stiftungen wären eine Möglichkeit, Medienpluralismus  zur  öffentlichen Aufgabe zu erklären. Jedenfalls ist es für Cagé extrem wichtig, die Medien als Teil eines viel größeren Ökosystems zu denken, als Wissen produzierender Sektor der Wirtschaft.

Sie kritisiert die meisten bestehenden Stiftungen, weil sie versäumt haben, die Leser in ihrer Finanzierung zu beteiligen: Stiftungen bevorzugen große Spenden von vermögenden Privatpersonen, Firmen oder anderen Stiftungen. Dies führt zu zwei Problemen:

  1. Sie sind dem Einfluss weniger Spender ausgeliefert, die das Geld geben. Dadurch entsteht eine Gefahr für die Demokratie.

  2. Sie sind anfällig für wirtschaftliche Abschwünge und somit finanziell instabil.

Für Non-Profit-Medien schlägt Cagé ein Hybrid-Modell vor, eine Mischung aus Stiftung und Aktiengesellschaft:

  • Solche Unternehmen genießen die Vorteile einer Stiftung (Stabilität der Finanzierung; unbegrenzte Annahme von Spenden, die für den Spender steuerlich absetzbar sind und ihm Stimmrechte bringen können; Konzentration auf Informationen als öffentliches Gut statt Gewinnmaximierung auf Kosten der Qualität)

  • und die einer Aktiengesellschaft (diversifizierter Besitz, Neubesetzung der Führungsriege, demokratische Entscheidungs-Prozesse, Begrenzung des Einflusses der größten Aktionäre).

In den USA könnte das Non-Profit-Medien-Modell auch der Regierung  Möglichkeiten bieten, zum Wohlergehen der Medien beizutragen durch eine demokratisierte Steuerung (Governance): Kleinaktionäre und große Investoren, die  einen Teil ihrer Entscheidungsbefugnis aufgeben, dafür Millionen verdienen mit Steuererleichterungen.

Cagé fragt: Wie viele Entlassungen von Journalisten könnten vermieden werden, wenn ihre Arbeitgeber Non-Profit-Medien wären? Wie viele Zeitungen könnten aufgekauft wurden, anstatt zu schließen?

Das Non-Profit-Medien-Modell könnte auch die Gründung von Online-Zeitungen  fördern. Diese würden einfacher  Geld von ihren Lesern bekommen sowie von Investitioren und Großspendern, ohne dass diese entscheidenden Einfluss erhalten. „Das Internet hat den Weg zu einer Demokratisierung des Kapitalismus geöffnet, von denen Crowdfunding ein Beispiel ist. Der Kapitalismus, Crowdfunding, Demokratie: Das sind Losungen für die Zukunft.“

Der US-Blogger Michael Marinaccio greift in einem Blog Cagés Modell auf: „Der Himmel fällt auf die gedruckten Zeitungen schneller, als man denkt“, während Verlage viele Redakteure entlassen und ihre Teams unentwegt auffordern, kreativer zu werden. Um weiter mit Journalismus Geld zu verdienen reagierten die Verleger im Internet mit einem Labyrinth von Pop-ups, Anzeigen und Firewalls, die es immer mühsamer machen, den Inhalt aufzunehmen. Marinaccio  spricht vom „Profit-Journalismus“, der es  versäumt hat, Nachrichten als öffentliches Gut zu wahren, und verweist auf Julia Cagés Buch „Rettet die Medien“.

Bei allen Unterschieden zu Frankreich und den USA – die Debatte ist auch in Deutschland notwendig und überfällig:

  • Wie halten wir einen Journalismus lebendig, den die Demokratie braucht, der die meisten Bürger erreicht und von ihnen akzeptiert wird?

  • Wer kümmert sich um diesen Journalismus, wenn den Verlagen das Geld ausgeht? Was ist die Alternative, wie ihn einige Verleger sehen, zu Billig-Journalismus im Netz nach dem Vorbild der Anzeigenblätter und parallel Qualität für die Wohlhabenden in den gedruckten Zeitungen? Wie kann man die daraus resultierende Spaltung der Gesellschaft vermeiden?

  • Wer ermöglicht und finanziert in Deutschland den Non-Profit-Journalismus? Und wer erhält ihm die Unabhängigkeit, die notwendig ist, um von vielen akzeptiert zu werden? Was tut der Staat?

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Quellen:

 

 

 

 

 

Was ist Qualität? Auch im digitalen Zeitalter gelten die journalistischen Grundprinzipien

Geschrieben am 12. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Wolf Schneiders Lieblingsspruch hängt in der Henri-Nannen-Journalistenschule, in Stein gemeißelt: Qualität kommt von Qual.

Wolf Schneiders Lieblingsspruch hängt in der Henri-Nannen-Journalistenschule, in Stein gemeißelt: Qualität kommt von Qual.

Über Qualität können sich Journalisten stundenlang erbittert streiten. Gibt es einen eigenen Qualitäts-Journalismus? Oder ist eine Qualitätszeitung nur ein Marketing-Gag? Geht vielleicht sogar ein Riss quer durch den Journalismus: Im Olymp die Edlen, in der Provinz der Rest?

In den abschließenden Kapiteln der Kress-Serie „Journalismus der Zukunft“ geht es um die Qualität, genauer: um die journalistischen Grundprinzipien oder die acht Pfeiler, auf denen der Journalismus ruht. Aber verändern sich die nicht im digitalen Zeitalter?

Nein, sagt auch Google-Chef Chinnappa :

Zwar stehen uns so viele Informationen wie noch nie zur Verfügung, aber dadurch wird es umso wichtiger, an den journalistischen Grundprinzipien festzuhalten.

Nachrichten bleiben Nachrichten, ob auf Twitter oder Facebook, in der Zeitung oder Online; nur die Präsentation ändert sich – ebenso wie die Technik, Nachrichten zu verbreiten.

Am Rande geht es auch um die beliebte Ausrede, man könne ja bessere Zeitungen oder Online-Auftritte schaffen, wenn man nur bessere Redakteure hätte. Nein, sagt Rainer Wagner, Psychologe und einer der Top-Berater für Verlage und Redaktionen:

Verändere die Umstände, nicht die Menschen. Management als ein Reparaturdienst des Verhaltens von Mitarbeitern und Führungskräften ist vergebliche Mühe.

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Quelle: http://kress.de/mail/news/detail/beitrag/134569-journalismus-der-zukunft-teil-10-was-ist-qualitaet.html

All Journalism is local – nur welchen Lokaljournalismus brauchen die Leser? (Serie: Zukunft des Journalismus 2))

Geschrieben am 16. Februar 2016 von Paul-Josef Raue.

Was ist das Lokale? Es ist das Herz des Journalismus: Wer hier wirkt, kennt die Straßen, Schleichwege, Gassen und Holzwege. Wer hier wirkt, ist der Navigator der Bürger, dem sie vertrauen können; wer hier wirkt, hat alles, was er weiß, selbst erkundet, geprüft und für tauglich erklärt; wer hier wirkt, versteht die Menschen, die Orte, die Stimmungen, die Dinge, die ihn umgeben; wer hier wirkt, spürt jede Veränderung: Er wird zum Seismographen der Gesellschaft; wer hier wirkt, beschreibt längst vor den großen Erschütterungen schon die kleinen: Er wird zum Mahner und Warner. So beginnt die zweite Folge meiner Serie „Die Zukunft des Journalismus“ bei kress.de.

Aber im Gegensatz dazu steht die Realität:

Zu oft ist der Lokaljournalismus aber auch der letzte Hort des Terminjournalismus und unkritischer Begleiter einer Gesellschaft, die vermeintlich Ruhe als Bürgerpflicht schätzt. Zudem verkaufen sich Lokalteile, zugepflastert mit Vereinsberichten,  immer noch gut – in wohlhabenden Regionen auf dem Land, wo die Welt in Ordnung ist. Was begründet den Erfolg? Dieser Lokaljournalismus tut das, was Lokaljournalismus ausmacht: Er bedient ein Lebens-, ein Weltgefühl.

Weder das, was wir Qualitätsjournalismus nennen, ist richtig, noch ist der Terminjournalismus falsch. Ich komme zu dem Schluss:

Wir leben in einer Zeit des Übergangs: Ein Teil der Leser ist mit dem sanften, wenn nicht gar spießigen Lokaljournalismus zufrieden, ein anderer möchte einen recherchierenden Journalismus, der die Bürger zum Mitdenken, Mitreden und Engagement einlädt; wieder andere wollen beides in unterschiedlichen Dosierungen.

Also sollten Lokalredaktionen experimentieren! Wer experimentiert, wird Herr über alle Veränderungen bleiben. Denken wir uns einen Regionalverlag als Garagenfirma!

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Der komplette Artikel:

http://kress.de/mail/news/detail/beitrag/134095-kressde-serie-zukunft-des-journalismus-all-journalism-is-local-nur-welchen-lokaljournalismus-brauchen-die-leser.html

 

 

Verleger, besinnt Euch auf Eure Kernkompetenz: Journalismus!

Geschrieben am 15. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Die Zukunft der Medien? Es gibt keinen Kongress, der dieses Thema nicht aufgreift – und mit einem neuen Modewort umreißt: „Disruption“, das ist eine Technik, die ein Medium oder eine Dienstleistung komplett verdrängt und zerstört. Sind also die bekannten Medien vom Untergang bedroht – oder sinken gar schon? Nein, keine Panik, es dauert noch – so Horizont zum Auftakt einer Disruptions-Serie:

Dass der Wirbelsturm unaufhaltsam ist und alte Geschäftsmodelle nicht mehr richtig funktionieren, spüren zwar auch die deutschen Medienmanager… Der Wandel kommt eher schleichend.

Katrin Lang untersucht die einzelnen Medien, prüft die Zeitungen und stellt Bekanntes fest: Zeitungen sind in den Grundfesten erschüttert, verloren in zehn Jahren rund ein Drittel der Auflage – weil es das Internet gibt, die Menschen ihren Tagesablauf verändert, die Verlage Online-Nachrichten verschenkt haben und die Werbe-Einnahmen samt Rubriken-Geschäft eingebrochen sind. Die Aussicht ist  verhalten optimistisch: Der Wandel zwingt die Verlage dazu, sich auf ihre Kernkompetenz zu besinnen: Dem Verkauf journalistischer Texte.

Die Zeiten, in denen das Zeitungsgeschäft einer Lizenz zum Gelddrucken glich, sind vorbei. Die Lizenz für gewissenhafte Recherche, vorbildlichen Journalismus und kluge Konzepte besitzen die Verleger aber noch  immer.

Wir oben, ihr unten: Häme der „Qualitätszeitungen“ über die in der Provinz

Geschrieben am 7. August 2015 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 7. August 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Zeitung-Bashing – gibt es dafür  ein ansprechendes deutsches Wort? Zeitungs-Häme vielleicht? Die schütten überregionale Zeitungen gerne über Regionalzeitungen aus, die aus der Provinz.

In einem Nebensatz wird in der Süddeutschen Zeitung –  kurz, kräftig und böse – die Leipziger Volkszeitung in die Ecke gestellt: „eher traurig-monopolistisch“, lautet das Urteil. Wann hat sich einer der „Qualitäts“-Redakteure schon einmal intensiv mit den Regionalzeitungen auseinandergesetzt? Mit den 313 lokalen und regionalen Zeitungen, die täglich rund 13 Millionen Exemplare verkaufen (im Vergleich zu den Qualitätszeitungen: 1,2 Millionen – wobei die an ihren Standorten auch Regional- und Lokalzeitungen sind, wenn auch meist als zweiter Sieger)?

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Quelle: Süddeutsche Zeitung, 5. August 2015, „Nachwuchssorgen“ von Cornelius Pollmer

Wie wird man 90? Wolf Schneider: „Ein tägliches Quantum Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude“

Geschrieben am 6. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

„Es lag an mir, ob ich diesen Tag überleben wollte.“ Mit solch einem „Erdbeben“ beginnt Wolf Schneider seine Memoiren. „Erdbeben“ kommt in seinem Lieblingszitat vor, das jeder seiner Schüler dutzendmal gehört hat, das ihm in den Ohren klingt, wenn er zu schreiben beginnt, das er jedem weitergibt, der ein guter Journalist werden will: „Mit einem Erdbeben anfangen und dann ganz langsam steigern“, Samuel Goldwyns Forderung an seine Drehbuch-Schreiber.

Also fängt Wolf Schneider nicht mit seiner Geburt an: Die hat keiner erlebt und die ist meistens langweilig; dass man sie überlebt hat, versteht sich, denn ein Toter schreibt in der Regel keine Memoiren. Die Geburt folgt in Kapitel 32.

Der Tag des verhinderten Selbstmords, beschrieben in Kapitel 1, war der Tag der Kapitulation: Ein romantischer Abend mit „Mondlicht an einem Teich bei der alten Villa“ – und ein grübelnder Unteroffizier, der gerade 20 geworden war, und sich fragt: „Sollst du dich erschießen?“

Wolf Schneider hat es nicht getan, wovon gut vierhundert Seiten zeugen, die auf „Leben oder Tod?“ folgen. Diese Seiten müssen alle Journalisten lesen, um zu staunen, was ihnen alles nicht gelungen ist, um zu lernen, was ihnen meist schwer fällt, um sich zu ärgern und aufzuregen, was ihnen meistens nicht schwer fällt. Schneiders „Hottentotten“ ist das erste Geschichtsbuch des Journalismus in Deutschland, in dem ohne Verklärung oder Verkleisterung zu lesen ist, wie es wirklich in den Redaktionen zugegangen ist.

Wen wundert’s, wie eitel das Journalisten-Volk war und ist, zumindest in den Führungskreisen? War Wolf Schneider arrogant? Er dürfte der einzige sein, der das bestreitet: „Ich hatte mein Leben lang niemals das Gefühl, arrogant zu sein.“ Als er mit 17 vernahm, er wirke so, war er erstaunt und ratlos. Der 90-jährige Memoiren-Schreiber fragt: „Was soll man da machen?“

War Wolf Schneider nett? Die Frage könnte man mit einer Gegenfrage beantworten: Gibt es überhaupt nette Chefredakteure? Ich kenne keinen, wenigstens keinen, der lange erfolgreich war und erfolgreich bleiben will.

Henri Nannen zum Beispiel. „Ein zu großer Mann, um auch noch ein angenehmer Mensch zu sein“, stellt Schneider fest und ergänzt: „Die ganz Großen sind das nie.“ Wahrscheinlich war Nannen ein Kotzbrocken; wer ihn erleben durfte, wird es kaum bestreiten. Schneider erzählt von einer Abkanzelung unter Zeugen: Ein Redakteur gibt Nannen ein zehnseitiges Manuskript, und Nannen gibt es nach einer Minute zurück, „Ihr Manuskript taugt nichts!“

Was folgt, ist widerlich und brutal in der Form, wie es Schneider nennt, aber lehrreich für den Schreiber und alle, die zuhören:

Der Autor, entgeistert: „Aber Sie können doch die zehn Seiten unmöglich schon gelesen haben!“
Nannen: „Nein, ich habe im dritten Absatz aufgehört“
Der Redakteur: „Aber ich musste doch im dritten Satz…“
Darauf Nannen mit Donnerstimme: „Das erzählen Sie mal unseren zehn Millionen Lesern, was Sie im dritten Absatz mussten! Gehen Sie raus.“

Solche Patriarchen ohne Manieren gibt es wohl nicht mehr, solche Redaktionen wie „ein Hochdruckkessel“, den Chefredakteure lustvoll beheizen, wohl auch nicht. Den Leser mag das Gefühl beschleichen, dass der Niedergang der Magazine und Zeitungen mit dem Niedergang der Patriarchen einherging, die Unlust der Leser und die Erlahmung der Redakteure ebenso.

Nannen war für Schneider wie ein Bruder: Brillantes Handwerk, berserkerhafte Entschlossenheit. Dies permanent von allen Redakteuren zu erzwingen, bewunderte Schneider und übernahm es zur Ertüchtigung seiner Journalistenschüler. Ein Lehrgang ließ in Stein meißeln: „Qualität kommt von Qual“.

Nannen war es auch, der Schneider im „Gruner+Jahr“-Vorstand empfohlen hatte als Leiter der Journalistenschule – mit den Worten: „Der Schneider ist zwar ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“ Der 90-jährige Schneider kommentiert dies in der ihm eigenen Bescheidenheit: „Mit solchen Komplimenten konnte ich leben.“

Wer weitere Beispiele sucht wie die Forderung an seine Schüler „Sie werden bitte nicht krank“, der wird auf nahezu jeder Seite fündig. Und wer sich über den Schinder entsetzen sollte, wird einräumen: Erzählen kann er jedoch, der Schneider, erzählen wie kein anderer.

So ist das Geschichtsbuch zuerst ein Geschichtenbuch über eine Karriere, wie sie so nur nach dem Krieg möglich war: Redakteur – ohne Volontariat oder Uni wohlgemerkt – zuerst bei den amerikanischen Besatzern, dann bei AP, der größten Agentur der Welt, und schließlich bei der Süddeutschen Zeitung, als Autor von 167 Streiflichtern und zum guten Ende als Korrespondent in Washington.

Es folgten Henri Nannen und der Stern, die Chefredaktion der „Welt“, die ersten Bücher und schließlich die Journalistenschule: 330 Schüler, nicht wenige von ihnen Chefredakteure, Star-Reporter oder –Kolumnisten. Kein Journalist in Deutschland hat den Journalismus und die Journalisten so geprägt wie Schneider, als Lehrer und als Autor der besten Stil-Lehren, ein Nachfahre Luthers, der in der Stadt gepredigt hatte, in der Schneider geboren wurde, Erfurt.

„Ungeduld war mein Lebenselexier“, schreibt er im letzten Kapitel „Abenddämmerung“. Und – ich bin im Alter nicht gelassen geworden. Das stimmt so wenig wie die Erinnerung, in der DDR habe man die Heizung per Ventil regulieren können. Nein, sie sperrten die Fenster auf, wenn’s zu warm wurde in der Stube, und sie machen es heute noch so in Erfurt und spotten jeder Energiewende.

Das dürfte auch sein einziger Fehler sein auf gut vierhundert Seiten, die faszinierend geschrieben sind, prall und lebenssatt. Und sein Rezept, 90 Jahre alt zu werden – und im Kopf wie 50? „Ein tägliches Quantum Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude hält mich bei vorzüglicher Gesundheit“, hatte er Peter Tamm zugerufen, dem Springer-Chef, nachdem der ihn gerade gefeuert hatte.

Nett und ein wenig gelassen geworden ist er übrigens auch, zumindest ist beides zu ahnen. Es gibt kein Leben, auch kein großes, ohne Energiewende. Heute wird Wolf Schneider 90, und alle, die ihn gelesen haben, die ihn erlebt haben, die ihn erlitten haben, die ihn noch verfluchen, werden ihn nicht vergessen. Einige knien nieder.
Wolf Schneider ist ein Erdbeben.

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kress.de zu Schneiders 90. Geburtstag am 7. Mai 2015
Seine Memoiren „Hottentotten Stottertrottel“ sind bei Rowohlt erschienen (448 Seiten, 19.95 Euro)

Cordt Schnibben: Die meisten Journalisten sind zu satt und zu zufrieden (Zitat der Woche)

Geschrieben am 3. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

Ich bin tief beunruhigt. Wir stecken in einer schweren Strukturkrise. Mich sorgt, dass die meisten meiner Kollegen noch zu satt und zu zufrieden sind. Und ich weiß, dass der entscheidende Punkt für alle ist – werden wir es schaffen, unsere tollen Inhalte so ins mobile Netz zu kriegen, dass wir dafür Geld bekommen. Wenn das nicht gelingt, wird es in zehn Jahren diese Form von Qualitätsjournalismus nicht mehr geben.

Cordt Schnibben, Spiegel-Reporter und Juror des Deutschen Reporterpreises – nach der Verleihung am Montag in einem Interview mit Christian Meier (meedia.de, 2. Dezember 2014)

Die erfolgreiche Titelseite: Lokal-Schau oder Tagesschau?

Geschrieben am 1. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

Wie sieht die ideale Titelseite aus? Tagesschau-Nachdreher? Regional und lokal? Ein Mix, also: Lokales Foto und Berliner Aufmacher? Marianne Schwarzer ist Redakteurin der Lippischen Landes-Zeitung in Detmold und gehört zu einer Arbeitsgruppe, die ein Konzept für die Lokalzeitung im Kreis Lippe diskutiert. Sie fragt nach den Erfahrungen der Thüringer Allgemeine, die seit drei Jahren eine strikt regionale Titelseite anbietet.

Das sind die Thüringer Erfahrungen:

Die Leser wollen eine regionale Titelseite, aber sie wollen eine regionale Titelseite mit Qualität: Die Themen müssen wichtig sein, gut recherchiert und gut geschrieben – und sie sollten, so oft wie möglich, die Leser auch überraschen.

Wir haben dies in einigen Leserbefragungen erkundet:

> Die Leser wollen auf der Titelseite keine Stoffe, die sie aus der Tagesschau, den Hörfunk-Nachrichten und dem Internet längst kennen. Wenn wir diese Themen doch bringen, dann müssen sie aus der Perspektive der Leser gesehen werden: Flüchtlinge aus Syrien – ja, aber gibt es noch Platz in unserer Region? Was sagen die Landräte usw. / Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada – ja, aber was sagen die IHK, die Unternehmer? Kostet es oder bringt es Arbeitsplätze in der Region usw.

> An den meisten Tagen bringen wir eigene Geschichten als Aufmacher, sehr viel aus der Wirtschaft und der regionalen Politik, aber auch Gesundheits- und Schul-Themen; eine Besonderheit im Osten sind historische Themen, die sich um die DDR drehen. Was in einer Region für die Leser interessant ist, bekommt eine Redaktion mit, wenn sie oft mit den Lesern spricht und dies am besten institutionalisiert.

> Qualität bekommt eine Redaktion allerdings nur, wenn sie gute Reporter hat, die ein aktuelles Thema auch schnell runterbrechen können (und nicht erst am Folgetag oder noch später). Wir nennen diesen Reporter „Ad-hoc-Reporter“, es gibt jeden Tag einen (und wenn er nichts zu recherchieren hat, dann arbeitet er an einer größeren Eigen-Recherche für die kommenden Tage).

> Einfach die erste Lokalseite auf die Titelseite bringen, dürfte schief gehen – nicht nur an einem Montag im Sommer, wenn die Hüpfburgen beschrieben werden. Die Leser müssen schon das Gefühl bekommen, dass sie für ihr gutes Geld Qualität bekommen und keine Ramsch-Ware.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob es in ländlichen Regionen doch gelingen könnte. Das kann man testen: Eine Null-Nummer produzieren und zu Leserkonferenzen einladen (aber nicht nur Oberstudienräte, die uns einen Bildungsauftrag aufschwatzen wollen).

> Wenn man ein komplettes Bundesland mit seinen Themen für die Seite 1 hat, ist es wahrscheinlich einfacher, als wenn man ein eher kleines Gebiet mit Nachrichten versorgt. Bei uns wollten die Leser Thüringen auf der Titelseite. Die Reaktionen geben uns recht: Seit mehr als zwei Jahren steigt der Einzelverkauf deutlich (gegen den bundesweiten Trend), und beim „Lesewert“ – eine Art Einschaltquote für die Zeitung – bekommt die Titelseite exzellente Werte, am meisten übrigens der Leitartikel auf der ersten Seite, der strikt regional ist und sich meist auf den Aufmacher oder Aufsetzer der Titelseite bezieht. Besonders gut läuft der Einzelverkauf, wenn der Teaser – ein sechsspaltiges Foto oben auf der Seite – emotional ist, einfach ein Hingucker ist, und wenn der Aufmacher eine leicht verständliche Überschrift hat und zum Gespräch anregt.

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