Alle Artikel mit dem Schlagwort " Qualität"

Die „Süddeutsche“ verarscht

Geschrieben am 1. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

Wieviel Umgangssprache verträgt die Zeitung? Die Süddeutsche wird großzügiger. Nico Fried schreibt im Silvester-Leitartikel:

Gleichwohl fühlen sich auch hierzulande viele Bürger schnell und oft von der Politik verarscht.

Damit die Leser merken, dass „verarschen“ kein Ausrutscher war, schreibt Fried wenige Zeiten weiter über das Vertrauen in Politiker:

Oder auch beim Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, zumindest bis herauskam, dass der die Leute schon verarscht hatte, bevor er ein richtiger Politiker geworden war.

Fordern die Leser einer seriösen Zeitung die Umgangssprache, ja Gossensprache? Wer sich in Leserkonferenzen setzt, hört das Gegenteil: Die Sprache ist für viele ein Maßstab für Seriosität; Umgangssprache gilt als Beleg für den Boulevard.

Es kommen schon Leserproteste, wenn ein Redakteur „klaut“ in die Überschrift schreibt statt „stiehlt“ – weil es besser passt. Es ist nutzlose Anbiederung, wenn wir schreiben, wie die Leute sprechen (aber nicht schreiben!).

Wir müssen den Leuten aufs Maul schauen, um zu erfahren, über was sie sprechen und sprechen wollen. Aber wir müssen nicht so derb reden, wie die Leute gerne reden – weil Vertrauen nichts mit „verarschen“ gemein hat.

(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen)

Facebook-Reaktion von Alexander Marinos (Generalanzeiger, Bonn) am 1. Januar 2013:

Naja, es ist gewissermaßen ein indirektes Zitat. Er benutzt die Sprache Peter Strucks. Da die Anführungszeichen wegfallen, fehlt allerdings das unmittelbare Distanzierungssignal. Das ist grenzwertig.

Paul-Josef Raue: Ich kenne die indirekte Rede. Aber ein indirektes Zitat? Mir ist jedenfalls nicht klar geworden, dass der Kommentator zitiert. Und warum zitiert er ausgerechnet „verarschen“?

Alexander Marinos

Er zitiert zu Beginn des Kommentars Struck wörtlich und greift das hier in direkter Rede zitierte böse Wort später wieder auf. Ich verstehe das so, dass er sich einen zunächst fremden Duktus später zu eigen macht, weil ihm die unverblümte Art Strucks zu reden offenbar gefällt. Ihnen gefällt das nicht, mir auch nicht – da sind wir einer Meinung.

Joachim Braun: Ein junger Wilder wird Chefredakteur des Jahres

Geschrieben am 27. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.

Joachim Braun ist ein ungewöhnlicher Chefredakteur: Kein Manager, dem Zahlen wichtiger sind als Recherchen; kein Presseclub-Dauergast, der die Welt erklärt; kein Liebling der Mächtigen in der Provinz, auch wenn sie ihn umarmen wollen. Joachim Braun ist Chefredakteur des Nordbayrischen Kurier in Bayreuth, ist Regional-Chefredakteur des Jahres – und feiert heute Geburtstag (27. Dezember).

Braun plädiert für eine strikt journalistische Haltung

Das alte Sowohl-als-auch, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, zählt nicht mehr. Journalisten müssen sich bekennen, müssen Orientierung geben, Hintergründe aufarbeiten, darstellen und vor allem: Sie müssen Klartext schreiben. Nur so bekommen sie Relevanz und erreichen ihre Leser auch emotional.

So steht es in seinem Blog „An(ge)kommen in Bayreuth“, eine ebenfalls ungewöhnliche Chronik eines Chefredakteurs, der vom ersten Tag an notierte und öffentlich machte, was ihm in der Redaktion und in der Stadt auffällt und missfällt.

So machte er sich nicht überall beliebt – auch nicht bei allen in seiner Redaktion, vor allem nicht bei jenen, die – so steht es in seinem Blog – „immer noch glauben, sie hätten in den vergangenen 25 Jahren alles richtig gemacht,

  • weil ihnen die Abonnenten nicht davon gelaufen sind,
  • die soziale Netzwerke standhaft ablehnen, weil sie glauben, sie verrieten dort ihre Ideale,
  • die eine Schulverbandsversammlung 60 Zeilen lang ins Blatt hieven, obwohl sie der Text nicht interessiert,
  • denn: Das haben wir schon immer so gemacht.

Dazu passt eines der Lieblings-Zitate von Braun, das er in einem Interview mit Jürgen Klopp, dem Meistertrainer von Borussia Dortmund, gelesen hat:

Sollten wir einen finden, den ich nicht mehr motivieren kann – der wäre hier auch nicht mehr so glücklich.

Der regionale Chefredakteur des Jahres, den eine Jury des Medium Magazin  wählt, kommt am Ende einer langen Liste von Journalisten, die unsere eitle Zunft als die wahren Journalisten preist: Dreimal FAZ, einmal Spiegel, Welt und dpa, je einmal WDR und ZDF.  Mit der Provinz will man sich nur am Rand ein wenig schmücken, wenn man sich feiert „unterstützt von der Metro group und otto group“.

Die Jury- Begründung für Joachim Braun ist jedoch vorzeigbar:

Er steht für einen unerschrockenen Journalismus, wie man sich ihn nur wünschen kann in einer Region: Gradlinig und kantig scheut er keine Konfrontation mit der Obrigkeit (was u.a. 2012 dazu führte, dass der Bayreuther Oberbürgermeister nicht wiedergewählt wurde). Ebenso wenig scheut er sich davor, alte redaktionelle Zöpfe abzuschneiden (z.B.Vereins- und Honoratioren-Berichterstattung). Er selbst geht mit gutem Beispiel voran und gibt mit seinem kritischen Blog „An(ge)kommen in Bayreuth“ täglich die journalistische Haltung vor, die er auch von seiner Redaktion erwartet.

Da ist allerdings noch ein Rest von Verachtung der Provinz zu lesen: Vereinsberichterstattung als alter Zopf, der abzuschneiden ist – als ob der Bürger, der sich engagiert und selbst organisiert, unserer Gesellschaft schadet. Da wird Lokalberichterstattung gerühmt, nur wenn sie Skandale entdeckt und Bürgermeister absägt – als Provinz-Spiegel sozusagen.

Diese Kopf-ab-Mentalität ist nicht Brauns Sache. Er mag seine Leser, er mag den  Stolz der Menschen auf ihre Heimat, er mag die Provinz, aber nicht das Provinzielle. In seinem Blog ist zu lesen:

Um’s klar zu stellen: Der Nordbayerische Kurier ist weder CSU noch SPD, weder rechts noch links, weder für noch gegen Festspielhaus. Er ist ausschließlich der Wahrhaftigkeit verpflichtet und damit seinen Lesern.

Bei allem Übermut, der Joachim Braun bisweilen überfällt, ist das die rechte Haltung. Glückwunsch,  lieber Joachim Braun!

(zu: Handbuch-Kapitel 2-4 Die Journalisten + 55 Der neue Lokaljournalismus)

 

Was ist guter Journalismus? (Golombek-Interview 4)

Geschrieben am 26. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 26. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Recherche.

Und was ist guter Journalismus?

Dieter Golombek: „Schreiben was ist!“ Auf diesen drei Worten des rasenden Reportes Egon Erwin Kisch gründet der journalistische Urauftrag. Aber was ist „Was“? Jeden Tag trifft jede Redaktion Entscheidungen, was sie ihren Lesern bieten will, das „Was“ betrifft aber auch die grundsätzliche Frage, wie sich die Zeitung im Zeitalter von Internet, Radio und Fernsehen versteht, was ihr Kerngeschäft sein soll und sein kann.

Sie muss immer wieder neu bestimmen, was für ihre Nutzer wichtig ist und interessant, und was man getrost anderen Medien überlassen kann.

(aus dem Interview der TA vom 13. Oktober mit Dieter Golombek)

(zu: Handbuch-Kapitel 1 Was dieses Buch will)

Zeitungen müssen ein Markenartikel der Demokratie bleiben

Geschrieben am 24. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 24. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

In einer Demokratie ist nichts wertvoller als der Journalismus  –  aber ein Journalismus, der recherchiert, was die Mächtigen planen und im Verborgenen tun; der die Bürger ernst nimmt, ihre Interessen und Bedürfnisse kennt und für sie Wichtiges vom Unwichtigen trennt; der viele Meinungen anbietet, auch Querdenkern das Wort gibt, der Debatten anstößt und  führt.

Qualität ist nur, wenn Zeitungen ein Markenartikel der Demokratie bleiben. Alle Freiheiten sind wenig wert ohne die Freiheit der Presse. Diese Freiheit ist allerdings kein Privileg für uns Journalisten, sondern Verpflichtung, den Bürgern die Kontrolle der Macht zu ermöglichen.

 

Je tiefer wir kontrollieren, je genauer wir informieren, je stärker wir die Bürger mitwirken lassen, umso mündiger werden sie. Das bedeutet auch: Wenn der Journalismus dies nicht leistet, wird der Bürger entmündigt. Aus der Schwäche des Journalismus folgt die Schwäche der Demokratie. Wenn wir über den Wert des Journalismus sprechen, dann sprechen wir über den Wert unserer Gesellschaft.

 

Oft wird die journalistische Qualität allein an professionellen Kriterien gemessen. Doch guter Stil, Verständlichkeit oder saubere Recherche sind  kein Selbstzweck. Wem nützt eine Überschrift, die ein neues Gesetz erläutert, wenn sie reizlos ist, wenn sie nicht einlädt zum Lesen?

 

Die Beherrschung des Handwerks und der klare Willen, dem Leser zu dienen, ist Voraussetzung für Qualität.  Daraus wächst die Aufgabe, die Freiheit der Bürger zu sichern.

 

So bestimmt nicht die Zahl der Auslands-Korrespondenten die Qualität, auch nicht die Eleganz der Edelfedern oder die Zitierung der Leitartikler. Das behaupten zwar die selbst ernannten Gralshüter der „Qualitäts-Medien“, doch Emil Dovifat hat schon 1955 zu Recht auch den Wert der Provinz erkannt:

 

„Jede Zeitung hat ihren Inhalt so zu gestalten, daß sie in ihrem Verbreitungsgebiet eine Lesergemeinde gründen und behaupten kann.“ Es komme darauf an, selbst in kleinen Blättern die Auswirkungen der großen Politik für den Alltag der Leser klar zu machen.

 

Der Journalist ist selbstbewusster Diener der Bürger. Als Leser ist der Bürger, um noch einmal Dovifat zu zitieren, ein „seltsamer, aber oft auch nützlicher“ Mitarbeiter. Wir umsorgen ihn nicht nur mit Informationen, wir sorgen auch dafür, dass er der Demokratie nicht abhanden kommt, dass er souveräner Bürger bleibt und sich nicht der Bevormundung durch den Staat ergibt.

 

Souveränität setzt Kenntnis voraus. So ist die tiefe Recherche der eigentliche Wert des Journalismus. Wir müssen zuerst die Nachrichten entdecken, ehe wir sie bewerten, einordnen und veredeln  können.

 

Unsere Freiheit ist kein Wert, der einmal erfolgreich errungen ist, sondern ein Wert, um den wir stets kämpfen müssen. Jede Macht, auch in der Demokratie, neigt dazu, Obrigkeit zu werden. Sie versteckt sich hinter Daten- und Persönlichkeitsschutz, richtet Schattenhaushalte ein und pocht auf Geheimhaltung, um unbehelligt zu bleiben. Die Macht will nicht kontrolliert werden.

 

Das Verfassungsgericht hat im Spiegel-Urteil vor einem halben Jahrhundert den Wert des Journalismus formuliert als: „nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkt“. Diesen Wert müssen wir verteidigen.

 

 

 

Ein Beitrag für die Serie „Zukunft des Qualitätsjournalismus: Was ist uns Journalismus wert?“ von dapd, erschienen unter anderem im Echo (Darmstadt) und http://www.nibelungen-kurier.de/?t=news&s=Aus%20(Worms)

(zu: Handbuch-Kapitel 57 Wie können Zeitungen überleben + 48-49 Wie Journalisten entscheiden (sollten) + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)

Tyrocks Dankrede: Was ist Qualität im Journalismus?

Geschrieben am 2. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 2. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Online-Journalismus.

Qualität heißt: Sauberes Handwerk, saubere Recherche, relevante Themen, interessante Aufbereitung: informativ, spannend, abwechslungsreich, unterhaltend  – und, immer wieder: nahe bei den Menschen, für die wir da sind.

So dankte Andreas Tyrock, Chefredakteur des Bonner Generalanzeigers, nach der Verleihung des Deutschen Lokaljournalistenpreises im alten Plenarsaal des Bundestags – vor über tausend Besuchern, darunter viele Kinder und Jugendliche. Der GA bekam den Preis für das Konzept der Familienzeitung.

Tyrock weiter zur Qualität:

Qualität kostet auch Geld. Verlage sind wichtiger Bestandteil der Demokratie und sehr wichtig für das Leben vieler Menschen, sie sind aber keine sozialen Einrichtungen mit ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern. Verlage sind Wirtschaftsunternehmen. Sie müssen Geld verdienen, um weiterhin Qualität bieten zu können.

Das sollte sich jeder hin und wieder bewusst machen, wenn er eine Zeitung liest, wenn er im Internet surft. Die Arbeit besteht mehr denn je darin, Schneisen in das Dickicht der unzähligen Informationen zu schlagen, die täglich auf uns einprasseln. Und dies mit Kompetenz und Engagement.

Weitere Auszüge aus Tyrocks Dankrede:

Richtig ist, dass die Herausforderungen für die Zeitungsverlage im Umfeld von elektronischen Medien, vor allem aber vor dem Hintergrund der Internet-Entwicklung, stetig steigen.

Richtig ist aber vor allem, dass Zeitungen in Deutschland noch immer eine immense Bedeutung haben. Täglich lesen rund 47 Millionen Menschen über 14 Jahren eine gedruckte Zeitung.

Davon werden 37 Millionen Regionalzeitungen gelesen – mit ihren Online-Ausgaben erreichen die Verlage übrigens 27 Millionen User. Ebenfalls eine beeindruckende Zahl.

Eine Studie möchte ich noch erwähnen: nämlich zur Glaubwürdigkeit der Zeitungen bei jungen Menschen. Wenn in verschiedenen Medien über ein Thema unterschiedlich berichtet wird, dann glauben 40 Prozent der 12- bis 19-Jährigen der Tageszeitung, auf Platz 2 folgt das Fernsehen mit 29 Prozent. Das sind meiner Meinung nach sehr gute Ergebnisse für die Verlage in Deutschland.

Der Tag der Preisverleihung  ist stets ein Beleg für die Leistungsfähigkeit deutscher Lokal- und Regionalzeitungen.
Sie sind das Herzstück deutscher Medien, denn sie sind am nächsten dran an den Menschen.

Sie berichten aus dem Alltag der Menschen in diesem Land, sie informieren, kommentieren, sie unterhalten, sie tragen zur Meinungsbildung bei, erfüllen damit die originären Aufgaben des Journalismus und sind deshalb auch wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie.

Die Erfüllung dieser Aufgaben sichert im Übrigen auch die Zukunft deutscher Lokal- und Regionalzeitungen:

  • Worüber reden unsere Leser? 
  • Was beschäftigt sie? 
  • Wie leben sie? 
  • Wo arbeiten sie? 
  • Wo kaufen sie ein?  
  • Wo und wie verbringen sie ihre Freizeit? In den Vereinen, bei der Freiwilligen Feuerwehr, in der Kommunalpolitik. 
  • Wo gehen die Kinder zur Schule? 
  • Wo machen die Jugendlichen ihre Ausbildung? Wo studieren sie?

Wir Journalisten müssen dabei sein, müssen informieren, müssen helfen, müssen auch kritisieren, müssen stets der Anwalt unserer Leser sein. Und natürlich auch der Anwalt unserer User.

Denn Verlage definieren sich längst nicht mehr nur über Zeitungen, auch wenn diese weiterhin das Fundament bilden. Die Verlage, die Redaktionen, die Journalisten arbeiten crossmedial, sie bieten ihre  Arbeit über verschiedene Kanäle an, über die Zeitung, über das Internet, über E-paper oder über Apps

Entscheidend ist: Jedem muss klar sein, dass das Bezahlen von Qualitätsjournalismus in Print oder digital ein Beitrag zur Aufrechterhaltung  dieser Qualität ist. Und damit ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der Demokratie in diesem Land. Oder, ein bisschen weniger staatstragend:

Qualitätsjournalismus sollte weiterhin ein Bestandteil des Lebens sein, weil er das Leben bereichert. Wir alle können einen Beitrag leisten. Jeder für sich.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 57 Wie können Zeitungen überleben + 53 Was die Leser wollen)

Untergang des Journalismus: Willkommen im Krisenzirkus!

Geschrieben am 13. August 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 13. August 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Online-Journalismus.

Der Qualitätsjournalismus ist am Ende, rufen die apokalyptischen Reiter, die gerade „APuZ “ erobert haben, eine Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung. Harald Staun schaut sich für die FAS im „Krisenzirkus“ um:

Im Licht sinkender Zeitungsauflagen und anhaltender Budgetkürzungen in den Redaktionen scheint es auf die Schlüssigkeit der Argumente nicht mehr anzukommen. Die These von der Krise des Qualitätsjournalismus ist längst too big to fail. Selbst Indizien, die ihr entgegenstehen, können da noch als Beleg durchgehen.

Am 25. Juli wunderten wir uns in diesem Blog über die Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“, in der neben dem Untergang des Qualitätsjournalismus auch das Elend des Lokaljournalismus beschrieben wird – just von der Bundeszentrale für politische Bildung, die so viel für die Qualität des Lokaljournalismus getan hat wie kaum jemand anders.

Am 29. Juli schrieb auch  Harald Staun in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über diese seltsame Juni-Beilage: „Das Beschwören des Untergang des Qualitätsjournalismus ist ein eigenes Berufsfeld geworden“; und: „sensationsgeile Blogger stehen zur Wachablösung bereit“.

Margreth Lünenborg, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin, läutet auch in APuZ die Todesglocke. Staun stellt fest:

Von ihren Auftritten als Diagnostiker dieser Krise können heute ganze medienwissenschaftliche Fakultäten leben, auch einige Medienjournalisten lesen ihren Kollegen hauptberuflich die Leviten…

Wöchentlich beten in irgendeinem deutschen Kongresszentrum besorgte Wanderprediger verunsicherten Zuhörern ihr Mantra vom Verfall journalistischer Standards vor. Nur leider lassen sich die neuen, mächtigen Akteure auf dem Spielfeld, Konzerne wie Google oder Apple, nicht davon einschüchtern, wenn alle nur laut genug herumappellieren und im Chor die gesellschaftliche Bedeutung des Journalismus betonen.

Der FAS-Artikel ist im Netz nicht frei verfügbar.

(zu: Handbuch-Kapitel „Welche Zukunft hat der Journalismus“)

Hingebung, Demut, Dienen (Noske-Interview 2)

Geschrieben am 15. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Organisation eines Klosters und einer Redaktion sowie Fehler und ihr Management: Das sind die Themen im zweiten Teil des Interviews, das Paul-Josef Raue mit Henning Noske  über dessen Buch „Journalismus“ führte.

Raue: Sie sind zum Schreiben des Buchs ins Kloster gegangen. Kann man nur ohne Handy und I-Pad noch konzentriert arbeiten?

Noske: Das Kloster war ein Fehlschlag, wie Sie ja lesen konnten. Ich habe nicht ansatzweise das Pensum geschafft, das ich mir vorgenommen hatte. Um mich herum hatte ich zwar keinerlei Medien, sogar das Massaker auf der Insel Utoya in Norwegen habe ich zunächst nicht mitbekommen. Ich erfuhr davon erst zwei Tage später um 6 Uhr früh in der Predigt. So muss es wohl früher gewesen sein.

Das Kloster und die gestrandeten Menschen dort – das war für mich alles viel zu spannend, um es für meine konzentrierte Arbeit an dem Buch, die ich mir eigentlich vorgenommen hatte, zu ignorieren. Ich bin am Mittagstisch sitzengeblieben, um mit den spannenden Leuten zu reden. Im Buch kann man nachlesen, warum das so wichtig ist. Ich habe es dann zuhause im Urlaub fertiggeschrieben, auf Kosten meiner Frau.

Raue: Sie nennen die Organisation eines Klosters ein zwei Jahrtausende altes Psycho-Programm. Wenn es sich so bewährt hat: Was können Redaktionen von den Mönchen lernen?

Noske: Konzentration auf das Wesentliche, Hingebung, Demut, Dienen. Natürlich kann man eine Redaktion nicht wie ein Kloster organisieren – und niemand hätte Verständnis dafür. Die Kunst ist es heute, die Hingabe an die eigene Profession mit dem Spaß und dem Erfolg zu verbinden. Insofern ist mir das Kloster schlicht zu weltabgewandt, in jeder Beziehung.

Die Redaktion ist im Idealfall ein Tummelplatz von gesprächigen Menschenfreunden, die aus sich herausgehen und nicht nach innen gekehrt sind. Mein Glaube ist, dass nichts gewiss ist. Das sehen die Mönche natürlich ein bisschen anders.

Raue: Was ist Ihr Lieblings-Kapitel im Buch? Ihr Lieblings-Zitat?

Noske: Das ist immer dort, wo ich mich mit Egon Erwin Kisch beschäftige. Und das ist gleich an etlichen Stellen der Fall, wenn es um Details und Erzählkunst geht. Das hat mir am meisten Spaß gemacht. Und mich aber leider auch wieder am meisten Zeit gekostet: Ich habe mich in meine Kisch-Gesamtausgabe aus dem Aufbau-Verlag, noch zu DDR-Zeiten mit Ostmark aus dem Zwangsumtausch erstanden, vergraben und immer wieder festgelesen. Dieser Mann schreibt uns auch heute noch alle an die Wand! Er hat so viel Spaß am Schreiben und Erzählen, er spielt mit Lust damit und mit seinem Leser, den er liebt, hofiert, umgarnt, fordert und fesselt – und man liest es! Ich hätte Lust, ein „Best of Kisch“ zu schreiben.

Und mein Lieblings-Zitat? Da beschäftige ich mich mit Wolf Schneider und seinem legendären Spruch: Qualität kommt von Qual. Ich sage dazu: Nein, verehrter Meister, hier irren Sie. „Qualität kommt von Spaß! Weil ich sage: Wer keinen Spaß hat, braucht sich auch nicht zu quälen. Er wird ohnehin niemals Erfolg haben.“ (Journalismus – Was man wissen und können muss, Seite 84).

Raue: Sie kommen aus dem Wissenschafts-Journalismus, haben dort viele Preise gewonnen und sind an der Braunschweiger Universität bekannter als der Präsident. Was haben Sie für den Journalismus von Wissenschaftlern gelernt, vor allem von Naturwissenschaftlern und anderen, die mit unserem Gewerbe nichts zu schaffen haben?

Noske: Natürlich bin ich dort nicht bekannter als der Präsident – und ich möchte es auch nicht sein. Aber von den Wissenschaftlern habe ich viel gelernt, übrigens gerade von den Naturwissenschaftlern. Sie forschen mit der Attitüde des selbstlosen Rechercheurs – ein Befund reicht ihnen nicht, ein zweiter meistens auch nicht. Sie sind übrigens auch dann zufrieden, wenn sie rauskriegen, dass sie nicht Recht haben. Das ist auch ein Treffer.

Hier sehe ich die Grenze: Journalisten recherchieren, um ihre Geschichte rund- und nicht totzumachen. Wir kommen schneller auf den Punkt, übersetzen, schlussfolgern, schätzen, kommentieren. Damit tun sich die Forscher schwer. Mein Programm ist es, Teams mit ihnen zu bilden. Sie erklären mir die Wissenschaft, beispielsweise, wie die Naturstoffe von Bakterien entschlüsselt und zu Medikamenten umgebaut werden. Und ich zeige ihnen den Weg zu unserem Leser, für den er bislang immer nur chinesisch geredet hat.

Raue: Journalisten geben ungern Fehler zu. Sie schreiben 25 Seiten über das „Fehlermanagement“, sogar drei Kapitel über „Rechtschreib-Hauptfehler“ und bemühen die Hirnforschung. Warum so viele Mühe um unsere Fehler?

Noske: Weil wir zwar ungern Fehler zugeben, aber zu viele machen. Der Fehler ist ein alltägliches Phänomen, nicht nur beim Zeitungmachen. Die Technik, die wir lernen müssen, ist es, bei Qualitätsarbeit im Fehlervermeidungsmodus zu arbeiten. Wir arbeiten jedoch allzu oft in einer Art Fehlermodus: Er suggeriert uns, da würde immer noch einer kommen, der den Fehler schon noch findet und ihn eliminiert. Bloß, dass diese Heinzelmännchen ausgestorben sind.

Was bleibt, sind allzu viele Fehler – und ein Leser, der unsere Zuverlässigkeit liebt und an unseren Fehlern verzweifelt. Es gibt noch einen anderen wichtigen Punkt in diesem Zusammenhang: Fehler zermürben uns, sie durchlöchern unser Selbstbewusstsein. Fehler machen fertig, sind Sargsprossen zum Burnout. Das Verbergen von Fehlern und Defiziten, nicht das Korrigieren, frisst unglaublich Zeit und Energie, lähmt. Bei all dem sage ich: Mit offenem Visier gegen unsere Fehler, auch gemeinsam mit dem Leser, der gerade unsere Ehrlichkeit immer besonders schätzt und gern liest. Der Forscher würde sagen: Jeder Fehler bringt mich weiter.

Raue:  Bleiben wir bei den Fehlern. Das Foto auf dem Buchumschlag zeigt Ihre Zeitung mit einer Schlagzeile, die ein Fall fürs Fehlermanagement wäre: „Hebel aus der Krise“ ist ein schiefes Bild, eher geeignet für den „Hohlspiegel“, den Sie in Ihrer Literaturliste empfehlen. Ist das Titelbild ein Wink in die Redaktion, gefälligst Ihr Buch zu lesen?

Noske: Nein, ich habe das Bild in der Bahnhofsbuchhandlung selbst geschossen – aber auf die Schlagzeile dieses Tages nicht geachtet. Darauf machen Sie mich erst aufmerksam. Ich bewundere Ihren Instinkt, mit dem Sie bei den abgebildeten 45 nationalen und internationalen Blättern im Miniformat untrüglich die Schlagzeile Ihrer Lieblingszeitung entziffern können und sich offenbar immer noch auf eine kleine Rauferei in der Konferenz freuen.

Ich nehme mal die Lupe und lese die ganze Schlagzeile: „Merkel und Sarkozy suchen den Hebel aus der Krise.“ Der Hebel ist im Zusammenhang mit den Euro-Rettungsfonds ist ein blindes Bild, das keiner bislang so richtig begriffen hat. Wir werden die Schlagzeile aber vermutlich nicht im Hohlspiegel finden. Trotzdem sollten alle gefälligst mein Buch lesen. Das hebelt richtig.

*

Der dritte und abschließende Teil des Interviews folgt. Teil 1 – Teil 3.

Eine ausführliche Besprechung des Noske-Buchs hat Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, geschrieben: „Wie man guten Journalismus macht“ (BZ, 22. Dezember 2012)

Das Buch: Henning Noske, Journalismus – Was man wissen und können muss. Ein Lese- und Lernbuch. Klartext-Verlag, Essen, 234 Seiten, 17.95 Euro

Seiten:«1234

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