Die Financial Times und die Digital-First-Strategie

Geschrieben am 22. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 22. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, O. Zukunft der Zeitung, Online-Journalismus.

Nach einem Besuch im Silicon Valley schrieb Lionel Barber, der Herausgeber der britischen Financial Times, an seine Mitarbeiter: Wir müssen weniger Geld für die Zeitung ausgeben und mehr für Online – „auch wenn Print immer noch eine wichtige Quelle für die Werbe-Einnahmen ist“.

Er wirbt für seine „Digital-First-Strategie“, die also vorrangig auf digitale Angebote setzt, und kündigt an, die Mitarbeiter effizienter einzusetzen, also: auf 25 Redakteure in der Zeitung verzichten und 10 fürs digitale Geschäft einstellen zu wollen. Und welche Regeln gelten Online?

Natürlich müssen wir uns an die bewährten Methoden eines guten Journalismus halten: gründliche, ursprüngliche Berichterstattung auf der Grundlage mehrerer Quellen und ein waches Auge für die Exklusivmeldung.

Neben Veränderungen, die nur die FTD betreffen wie Zusammenlegen von Ausgaben, gibt es zwei Vorgaben, die für alle Redaktionen gelten sollten:

  • Ein Ende der „vielarmigen Auftragsvergabe“ – wir brauchen weniger Auftragsvergabekanäle.
  • Wir bedienen zuerst eine digitale Plattform und an zweiter Stelle eine Zeitung.

Am gemeinsamen  Newsdesks arbeiten nicht mehr  Seitenredakteure, sondern  Content-Redakteure:

Wir müssen  nachdenken, wie, wann und in welcher Form wir unseren Content veröffentlichen, ob konventionelle Nachrichten, Blogs, Video oder Social Media.

Wir brauchen  Reporter, die bereit sind, ihre Talente für die Bearbeitung der großen FT-Artikel einzubringen, und nicht Gefahr laufen, in ein Silodenken zu verfallen.

 


Die E-Mail im Wortlaut (übersetzt von  Thomas Bertz, TBM Marketing GmbH)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in meiner Neujahrsbotschaft habe ich erklärt, dass das Jahr 2013 zum Testlauf für unsere Entschlossenheit werden würde, weitergehende Schritte rascher zu gehen, um Journalismus der Spitzenqualität in einer im rasanten Wandel befindlichen Medienlandschaft zu unterstützen.

Ich möchte jetzt im Detail darstellen, welche Vorschläge wir für den Umbau der FT für das digitale Zeitalter machen möchten. Wir müssen in einigen Bereichen weniger und in anderen mehr tun. Wir müssen sehr viel wendiger sein und wir müssen unsere Teams umgestalten.

Heute haben wir Beratungen mit der britischen Journalistengewerkschaft National Union of Journalists (NUJ) aufgenommen, um eine erste Regelung zum freiwilligen Personalabbau auf den Weg zu bringen. Ziel ist es, die Produktionskosten der Zeitung zu senken und uns die Flexibilität zu geben, mehr in die Online-Sparte zu investieren.

Es ist unsere gemeinsame Sache, die Zukunft der FT in einem zunehmend von Wettbewerb geprägten Markt zu sichern, auf dem die alten Titel regelmäßig Erschütterungen durch neue Anbieter wie Google und LinkedIn und Twitter ausgesetzt sind. Die Marke FT, die für präzisen, zuverlässigen Journalismus steht, kann prosperieren, aber nur, wenn sie sich an die Anforderungen unserer Leser im Digital- und im Printbereich anpasst, der noch eine äußerst wichtige Quelle für Werbeeinnahmen ist.

Mein Besuch in Silicon Valley im letzten September hat mir das Tempo der Veränderung bestätigt. Unsere Wettbewerber nutzen Technologie, um das Nachrichtengeschäft durch Aggregation, Personalisierung und Social Media zu revolutionieren. Mobil allein macht jetzt z. B. 25 Prozent des gesamten digitalen Traffic der FT aus. Stillstand würde bedeuten, dass wir uns grob fahrlässig verhielten.

Natürlich müssen wir uns an die bewährten Methoden eines guten Journalismus halten: gründliche, ursprüngliche Berichterstattung auf der Grundlage mehrerer Quellen und ein waches Auge für die Exklusivmeldung. Wir müssen aber auch anerkennen, dass das Internet neue Wege und Plattformen für die umfassendere Vermittlung und Übertragung von Informationen bietet. Wir sind auf dem Weg von einem Nachrichtengeschäft zu einem vernetzten Geschäft.

Um die Beziehung zu unseren Lesern zu intensivieren, müssen wir unsere Investitionen und unsere Mitarbeiter intelligenter, ausgewogener und effizienter einsetzen. Deshalb schlagen wir vor, einige unserer Ressourcen von Nacht- auf Tagarbeit und von Print auf digital zu verlagern. Dies erfordert eine FT-weite Initiative, um unsere Journalisten so zu schulen, dass sie ihre Fähigkeiten bestmöglich nutzen. Und es erfordert entschiedene Führung.

Ich bin fest entschlossen, dass wir unser Allermöglichstes tun, um die Zukunft der FT als finanziell tragfähige Nachrichtenorganisation auf Weltniveau zu sichern. Unsere früheren Entscheidungen, Preise zu erhöhen, Gebühren für Content zu erheben und ein Abonnementsgeschäft aufzubauen, haben sich als klug und mutig erwiesen. Während viele unserer Rivalen sich abgemüht haben, ein profitables Geschäftsmodell zu finden, und deshalb schwere Arbeitsplatzverluste angekündigt haben, waren wir Industriepioniere. Dies ist nicht der Augenblick für zögerliches Handeln.

Natürlich ist Veränderung schmerzlich. Ich möchte Ihnen deshalb versichern, dass die folgenden Vorschläge genauestens überlegt und intensiv beraten wurden und dies auch weiterhin der Fall sein wird. Das gilt ebenfalls für unseren Wunsch, fair, ehrlich und transparent zu sein. Und wir treten jetzt in eine Beratung mit der National Union of Journalists und Mitarbeitern ein, um über die Zukunft der Financial Times und diese Vorschläge zu beraten, so dass wir im fairen und offenen Dialog den richtigen Weg nach vorn einschlagen können.

Zu Beginn möchte ich einige Punkte klarstellen.

Ich möchte unsere Auftragsvergabe verbessern, um selektiveren, relevanten, qualitativ hochwertigen Content zu produzieren.

Ich möchte Maßnahmen umsetzen, mit denen es der Zeitung erleichtert wird, die Arbeitsbelastung zu verringern und die für die Printausgabe aufgewendeten Ressourcen zu reduzieren. Diese umfassen:

1. Gemeinsame Anzeigenformen in allen Ausgaben – was unnütze Optimierung und Bearbeitung zwischen den einzelnen Ausgaben reduziert.

2. Eine stärker von Gemeinsamkeit geprägte internationale Ausgabe mit gemeinsamen Titelseiten und zweiten Titelseiten.

3. Mögliche Umstellung auf eine gemeinsame laufende Reihenfolge zwischen britischen und internationalen Ausgaben mit Weltnachrichten auf der Titelseite

4. Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl der Veränderungen, die für die zweite US-Ausgabe verlangt werden.

5. Kürzung der dritten britischen Ausgabe.

6. Weitaus diszipliniertere Einhaltung der Lieferzeiten des Anzeigenmaterials und verbessere Vorausplanung

7. Ein Ende der „vielarmigen Auftragsvergabe“ – wir brauchen weniger Auftragsvergabekanäle. Ebenso müssen Nachrichtenredakteure Berichte, die Priorität haben, eindeutig kennzeichnen.

8. Straffere Kontrolle der Paginierung. Wir müssen sicherstellen, dass wir zuerst eine digitale Plattform und an zweiter Stelle eine Zeitung bedienen. Dies stellt eine große kulturelle Veränderung für die FT dar, die wahrscheinlich nur mit einer weiteren strukturellen Veränderung erreicht werden kann.

Wir müssen einen Weg finden, die Produktionsressourcen während der Nacht zu reduzieren und sie am Tag zu vergrößern; dieselben Ressourcen müssen auch zunehmend für das Web und weniger für die Zeitung aufgewendet werden.

Auf vereinigten Newsdesks müssen wir von Seitenredakteuren zu Content-Redakteuren werden. Wir müssen neu darüber nachdenken, wie, wann und in welcher Form wir unseren Content veröffentlichen, ob konventionelle Nachrichten, Blogs, Video oder Social Media.

In unserem britischen und internationalen Reporternetz müssen wir bestrebt sein, Menschen an der richtigen Stelle zu haben, die bereit sind, ihre Talente für die Bearbeitung der großen FT-Artikel einzubringen, und nicht Gefahr laufen, in ein Silodenken zu verfallen oder in bestimmten geografischen Regionen isoliert zu werden.

Pearson, die Muttergesellschaft der FT, steht fest hinter unserer Strategie und unserer geplanten Umwandlung und leistet finanzielle Unterstützung für die Umstrukturierung, die wir für das erste Quartal dieses Jahres planen.

Das geplante Programm für einen freiwilligen Stellenabbau wird uns helfen, unsere Strukturen neu zu gestalten und unsere Kosten im laufenden Jahr um 1,6 Mio. GBP zu senken. Nach unseren Schätzungen könnte dies in einer Nettoreduzierung der Mitarbeiterzahl um ca. 25 nach Einführung von 10 weiteren digitalen Jobs zum Ausdruck kommen, von denen wir einige bereits bewerben.

Mitarbeiter, die die Zeitung verlassen möchten, ermutigen wir zu diesem Schritt. Wir werden uns außerdem mit der NUJ über die weiteren Schritte beraten, die wir möglicherweise vorschlagen müssen, wenn das geplante Programm zum Stellenabbau nicht im erforderlichen Maße angenommen wird.

Schließlich werden wir 2013 online neue Produkte und Dienstleistungen einführen. Starten werden wir mit unseren „Fast FT“-Märkten und einer neuen App „Weekend FT“.

Dies wird uns allen Gelegenheit geben, intensiver über eine dynamischere und interaktivere Form des FT-Journalismus nachzudenken, die über das gedruckte Wort hinausgeht. Dies ist entscheidend, um die Beziehung zu unseren Lesern zu intensivieren und unser Abonnementsgeschäft aufzubauen.

Ich werde an Sitzungen mit Teamleitern teilnehmen, um diese Veränderungen zu erklären, mir Ihre Ideen anzuhören und Fragen zu beantworten. Inzwischen wird Redaktionsleiter James Lamont die Details des Programms zum freiwilligen Stellenabbau unterbreiten und sich umfassend mit Ihnen beraten.

Redaktionsassistenten und Teamleiter werden in groben Zügen über die Vorschläge informiert. Sie werden ihr Bestes tun, um Ihre Fragen zu beantworten und Ihnen ihre Unterstützung anzubieten. Während der gesamten Geschichte der FT haben wir großartige Fortschritte in einer im Wandel begriffenen Industrie erzielt. Sie haben eindrucksvolle Schritte unternommen, um die FT zu modernisieren, und ich bin zutiefst dankbar für Ihre Bereitschaft, sich Veränderungen anzupassen. Dies ist keine einfache Umstellung, aber wir sind gezwungen, die schwierigen Maßnahmen zu treffen, um die Zukunft der FT als eine der großartigsten Nachrichtenorganisationen der Welt zu sichern.

Und mit Ihrer Unterstützung in diesem 125. Jubiläumsjahr können wir dies erreichen und weiterhin das tun, was wir am besten machen: das Geschäft eines qualitativ hochwertigen Journalismus.

 

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