Grass und das „Wörterbuch des Unmenschen“

Geschrieben am 7. April 2012 von Paul-Josef Raue.

Günter Grass ist nicht der erste, der den von den Nationalsozialisten geprägten Begriff der „Gleichschaltung“ nutzt, wenn er von der Presse in einem demokratischen Staat spricht. Vor fünf Jahren sprach Eva Herman schon von der „gleichgeschalteten Presse“. Stefan Niggemeier kommentierte nach Hermanns Auftritt und Rauswurf bei „Kerner“ in seinem Blog:

„Das eigentlich Erschreckende ist, wie dumm jemand sein kann, wie ahnungslos, wie dilettantisch und laienhaft in einer Medienwelt, in der sie sich seit vielen Jahren professionell bewegt.“

Dumm ist Grass sicher nicht, aber auch er hat sich in seiner Opferrolle eingekuschelt (wie es Niggemeier 2007 über Eva Hermann geschrieben hatte).

Nobelpreisträger für  Literatur haben bisweilen groben politischen Unsinn verbreitet, mit der Sprache sollten sie schon schonend umgehen können. Wenn Grass von „Gleichschaltung“ spricht, nutzt er einen Begriff der Nationalsozialisten; Gleichschaltung der Presse war das Diktat des Führers und des Propaganda-Ministers, damit alle derselben Ideologie folgen bis in die Wahl der Wörter hinein.

In einem Interview mit Heribert Prantl, heute in der “ Süddeutschen“ veröffentlicht (7. April 2012), sagt Grass:

„Ich rede nicht von der Gleichschaltung wie in einem totalitären Staat. Wenn in einer Demokratie der Eindruck von Gleichschaltung entsteht, ist das ja noch schlimmer.“

 Dolf Sternberger schrieb mit anderen nach dem Krieg das „Wörterbuch des Unmenschen“,  in das er die Phrasen der Unmenschlichkeit notierte. Auch wenn „Gleichschaltung“ nicht in Sternbergers Sammlung steht, so gehört das Wort zu denen, die typisch sind für die Ideologie der Nazis.

Was treibt den Nobelpreisträger an, die freie Presse in unserem demokratischen Staat mit der Presse im Nationalsozialismus nicht nur gleichzustellen, sondern als „noch schlimmer“ zu verhöhnen?

„Der Verderb der Sprache ist der Verderb der Menschen.“ (Aus dem Wörterbuch des Unmenschen)

1 Kommentar

  • Irgendwie verstehe ich diese Sprachverknappung nicht ganz, jedenfalls nicht, wenn sie total vertreten wird. Total, auch so ein Wort, was mir meine ehemalige Geschichtslehrerin mit eben diesem Verweis auf die Nazis verbieten wollte. Macht es Sinn, Sprache zu verknappen, weil die zu verknappenden Ressourcen mal von gefährlichen Vollidioten benutzt wurden? Ist nicht genau diese Methode der Verknappung entschieden totalitärer oder faschistischer?

    Keine Macht über Sprache für Vollspaten!

    Oder anders gefragt, sollten wir nicht lieber darüber reden, was Grass gesagt hat und dass man von einem Literaturnobelpreisträger erwarten könnte, dass er ein „Gedicht“ schreiben könnte, dass er nicht hinterher in zahlreichen Interviews erklären und relativieren muss, weil es langweiliger und undifferenzierter Mistmüll ist, den man aus diversen Ecken schon hundert mal gehört hat und zu Recht eher ignoriert hat, weil eine solche Betrachtung wenig bis gar nichts zu Debatte beiträgt?

    Es mag Sinn machen, Worte wie Gleichschaltung und Metaphern mit diesen immer zu erklären und sie nicht einfach so stehen zu lassen, von Journalisten ist so etwas sogar zu erwarten, aber diese zu verbannen macht keinen Sinn. Man muss das nämlich nur weiter denken: Erstens gibt es den Nazis, Islamhassern und vor allem den sich hinter feuilletonistischen Geschwurbel versteckenden Hassmenschen eine gute Basis über „Meinungsfreiheit“ reden zu können, obwohl sie das Gegenteil meinen. Zweitens hat es schon so viele Regime mit so vielen perfiden Methoden und Sprachverbundenheit gegeben, dass da nicht mehr viel übrig bleibt an Vergleichen. Denn Vergleiche hinken immer, aber Erklärungen ohne Vergleich können nicht mal laufen. Drittens gibt man so jedem die Möglichkeit sich als Demokrat darzustellen, nur weil er keines der „verbannten“ Wörter gebraucht hat. Der Sinn eines Textes ist mehr als die Summe seiner Wörter.

    Grass‘ Text ist nicht Antisemitisch, er ist nur schlecht und undifferenziert. Und er würde auch nicht besser, wenn Gleichschaltung fehlen würde und er „die Regierung Netanjahus“ statt „Israel“ geschrieben hätte. Und der Vorwurf der Gleichschaltung ist ebenso sinnbefreit, wenn das Wort Gleichschaltung durch ein anderes ersetzt worden wäre. Oder?

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