Gänsefüßchen in der Sprache der Nazis (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 13. August 2012 von Paul-Josef Raue.

Wer ein Wort ironisch gedeutet haben will, setzt es in „Gänsefüßchen“; so will er Distanz oder Ironie ausdrücken. Die Nationalsozialisten haben sie oft genutzt, vielleicht sogar erfunden.

Victor Klemperer, Romanistik-Professor in Dresden, schrieb in seinem Wörterbuch des Dritten Reichs:

Chamberlain und Churchill und Roosevelt sind immer nur „Staatsmänner“ in ironischen Anführungszeichen, Einstein ist ein „Forscher“, Rathenau ein „Deutscher“ und Heine ein „deutscher Dichter.“

Die Nazis entzogen Klemperer den Lehrstuhl, da er Jude war; sein „Wörterbuch“ schrieb er abends, wenn er von der Zwangsarbeit zurückkehrte. Seinem Wörterbuch gab er den lateinischen Namen „LTI (Lingua Tertii Imperii), also: die Sprache des Dritten Reichs; so wollte er die Gestapo bei einer Hausdurchsuchung auf eine falsche Fährte locken.

Die Nazis, stellte Klemperer fest, haben keine neuen Wörter erfunden, sie verdrehten einfach den Sinn.

Nach dem Krieg listete der Journalist Dolf Sternberger gut zwei Dutzend dieser Wörter auf: Das „Wörterbuch des Unmenschen“.

Ein Beispiel: „Behandlung“. Das Wort taucht in Hunderten von SS-Dokumenten auf bis hin zur Wendung: Gefangene einer Sonderbehandlung zuführen – „das war ein Euphemismus für den Massenmord“.

„Behandlung“, immer noch ein alltägliches Wort, war für Sternberger ein Begriff der Selbstüberhebung:

„Wer Menschen behandeln will, Menschen schlechthin, wer sich in der Menschenbehandlung üben will, der setzt sich selber über die Menschen. Hier wird ein Über- oder Obermensch postuliert, der sich Untermenschen untertänig macht.“

Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Gänsefüßchen in der Sprache der Nazis (Friedhof der Wörter)"