Heute um 20.45 Uhr: Fussball in Leopolis (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 17. Juni 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 17. Juni 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Noch einmal: Lemberg; noch einmal die Stadt in der Ukraine, in der die deutschen Fußballer am Sonntag spielen und auf einen Sieg hoffen. Noch einmal: Der Name der Stadt, der zeigt, dass Worte nicht nur Worte sind, sondern aufgeladen mit Geschichte und Geschichten. Die Namen der Städte raunen uns zu aus längst vergessenen Epochen, künden von Träumen und noch öfter von Albträumen.

Und wir wissen es oft nicht mehr. Wir nutzen die Wörter im Alltag wie andere nützliche Gegenstände, wie ein Stück Seife oder eine Scheibe Brot. Sie sind Lebensmittel; also Mittel, um zu leben, um sich zu verstehen und zu verständigen.

Lemberg ist für die meisten Fernseh-Zuschauer einfach der Name einer ukrainische Stadt, in der deutsche Fußballer spielen. Dürfen Deutsche so unbekümmert mit den Namen umgehen? Mit der Geschichte?

Nein, schreibt empört ein Leser und verweigert sogar am Ende seines Briefs den freundlichen Gruß. Wer Lemberg schreibt statt Lwow, der schreibe „im Stil großdeutscher Denkweise“. Unser Leser blickt in die Geschichte: Lediglich von 1772 bis nach dem Ersten Weltkrieg hatte Lwow einen deutschen Namen. Er fährt fort:

„Was sollen also derartige Bezeichnungen in einer deutschen Zeitung? Oder sind Sie möglicherweise ein zu spät geborener Vertreter der Ideologie, die diese Gebiete nach wie vor als zu Deutschland gehörig ansehen?“

Wie denkt eine Schriftstellerin aus der Ukraine über den Namensstreit? „Wie soll ich den Namen meiner Heimatstadt schreiben?“, fragt Natalka Snjadanko und geht die Namen durch: Lwiw (ukrainisch)? Lwow (russisch)? Lemberg (deutsch)?

Leopolis will sie ihre Heimatstadt nennen, zurückgreifend auf den ältesten, den lateinischen Namen. Das sei politisch neutral, schreibt sie, entrücke den Streit in eine mythische Vergangenheit.

So ist auch die Dichterin kein Trost im Streit um Lemberg, den Namen und den rechten Umgang mit der Vergangenheit. Sie macht aber klar: Es sind nicht einfach nur Namen, die wir gebrauchen, nicht einfach nur Worte.

 

Der Text von Natalka Snjadanko steht in dem gerade erschienenen Sammelband „Totalniy Futbol – eine polnisch-ukrainische Fußballreise“ (Suhrkamp-Verlag, 18 Euro)

 

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