Ein Mord ist keine Hinrichtung – Der Kampf um Worte und der Terrorismus (Friedhof der Wörter)
„Mediendialog“ über Terrorismus und Journalismus in München: Juri Durkot, ein Journalist aus Lemberg in der Ukraine, erzählt von Manipulationen und Verschwörungs-Theorien; von Redakteuren, die auf Todeslisten stehen; von inszenierten Video-Morden oder wirklichen; von Reportern aus dem Westen des Landes, die nicht mehr im Osten arbeiten dürfen, und lokalen Reportern im Osten, die nur schreiben können, wenn sie sich der Propaganda unterwerfen.
Und er berichtet vom Kampf um Worte:
> Das russische Staatsfernsehen spricht von der „Bürgerwehr“, die den Donbass beherrscht, das Donez-Kohlebecken im Osten.
> Deutsche Zeitungen bevorzugen „Rebellen“: Ein romantischer Begriff, der zudem besser auf einen kleinen Kreis von Kämpfern passte statt für eine gerüstete Armee.
> Andere schreiben von „Separatisten“: Ein meist positiv besetzter Begriff, den wir auch für Katalanen und Schotten nehmen.
Wechseln wir den Schauplatz: Terroristen, beispielsweise in Arabien, kämpfen nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten. Wir fallen darauf rein, wenn wir eine Mörderbande wie „IS“ einen „Staat“ nennen, einen Mord eine „Hinrichtung“, einen Mörder einen „Henker“ und eine Serie von Morden „Kriegsverbrechen“, die vor den Internationalen Gerichtshof gehört.
Moderne Terroristen foltern und töten wie im Mittelalter, aber nutzen souverän das Internet samt sozialen Netzwerken für ihre Propaganda – und nicht selten Journalisten, die ihre Wörter übernehmen und kruden Botschaften verbreiten.
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Thüringer Allgemeine, 4. Mai 2015
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Die Wortbesetzungsstrategien haben auch in Deutschland eine lange Tradition. Vor 1870 kannte man den Begriff Antisemitismus kaum, danach gab es sogar frühe Sozialdemokraten, die eine sozialdemokratische Position zur Rassenfrage formulierten, Dann kam der Alldeutsche Verband und seine Ko-Klubs, bei denen sich schließlich die Nazis hemmungslos bedienten, die nicht nur Kunstwerke, sondern auch Begriffe stahlen, um ihren Gegnern die Sprache zu nehmen. „Es wird der Eindruck erweckt, als sei die NSDAP der stumme Gast am Tisch aller möglichen Ideologien gewesen, als habe er alles gestohlen, was beim Volk irgendwie gut ankommt und daraus eine Art ideologischen Eintopf gekocht. Nimmt man die gestohlenen Elemente weg, bleibt nichts zurück“ (frei nach Faye). Mit 45 wars aber nicht zu Ende mit dem Begriffe besetzen. Ohne heutige Parteien mit den Nazis vergleichen zu wollen: Aber hat nicht zum Beispiel die CDU 1973 auf Vorschlag von Kurt Biedenkopf eine Arbeitsgruppe Semantik gegründet, mit der Klage garniert, die SPD usurpiere Schlüsselbegriffe für sich? „Was sich heute in unserem Land vollzieht, ist eine Revolution neuer Art. Statt der Gebäude und der Regierungen werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regieren, die Begriffe, mit denen wir unsere staatlichen Institutiuonen beschreiben. Es werden von der SPD Begriffe besetzt, um der CDU den Zugang zu den Schlüsselbegriffen zu versperren., Indem sie politische Schlüsselbegriffe usurpiert, lässt sie den politischen Gegner nicht nur bar jeder Konzeption erscheinen, es macht ihn im wahrsten Sinne sprachlos. Er wird als politische Alternative nicht mehr wahrgenommen“. Nur: Ohne den Leser, ohne den Kontext funktioniert kein buzzword.
Vielleicht ist die Geschichte des Begriffebesetzens für Journalisten wichtiger als man denkt. Und noch was: Ein Mord ist keine Hinrichtung. Aber eine Hinrichtung ist ein Mord. Unlogisch?
Man muss schon meinen, dass Hinrichtungen keine Morde sind, um sagen zu können, dass die Morde des IS keine Hinrichtungen sind.