Kolumnisten: Die Unantastbaren im Meinungskorridor der Redaktion

Geschrieben am 20. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.

Mit Kolumnisten, noch dazu außerordentlichen, legt man sich nicht ohne Grund an.

So schreibt Hermann Unterstöger, selbst ein außerordentlicher Kolumnist,  in seiner SZ-Kolumne „Sprachlabor“.  Willkommen beim Wochenende der Kolumnisten auf dem Glatteis: Auch Bülend Ürük in Kress-Online hadert mit einer Kolumnistin bei der SZ, diesmal der SZ aus Stuttgart. Da hat ein Muslime-Nazi-Vergleich der Kolumnistin offenbar Leser so  verärgert, dass eine Sprecherin der Zeitung (!) auch meint, herausheben zu müssen,  dass man sich mit Kolumnisten nicht anlegen will:

Generell gilt in der Stuttgarter Zeitung die redaktionelle Linie, dass wir den Kolumnisten – zu denen auch Frau Krause-Burger gehört – einen weiten bis sehr weiten Meinungskorridor einräumen.

Der Kolumnisten-Kritiker Unterstöger aus München bleibt in seiner Kolumne charmant und nennt weder die Kolumne noch den Namen der Kolumnistin, er pflegt also einen inner-redaktionellen Datenschutz . Zudem wartete er fast einen Monat, ehe er die Kolumnistin tadelte – weil sie recht umgangssprachlich „mit was“ und „zu was“ formulierte statt die Adverbien „womit“ und „wozu“ zu nutzen. Da mag der Unterstöger wieder gedacht haben: Besser gut gemeint als gut geschrieben, das reicht den Kolumnisten, die unentwegt die Welt retten.

Unterstöger rettet nur die deutsche Sprache.

Sibylle Krause-Burger will mehr retten und richtet über den „Fremdenfrust“ der Ostdeutschen. Bülend Ürük und  einigen Lesern der Stuttgarter Zeitung stieß dieser Satz der Kolumnistin auf, der offenbar nicht nur sprachlich mißlungen ist:

Und so begeistert, wie die Väter und Großväter einst den Mordaufrufen der Nazis folgten und für ihren Vernichtungswillen die gerade mal 500 000 völlig integrierten deutschen Juden ins Feld führten, so begeistert gehört es sich 70 Jahre später, Hunderttausenden von geflüchteten Muslimen ein freundliches Gesicht zu zeigen.

Sibylle Krause-Burger greift zu einem Nazi-Vergleich, und  kress-online zitiert mich dazu:

Paul-Josef Raue warnt Journalisten davor, Nazi-Vergleiche zu ziehen: „Sie werden eigentlich meist falsch verstanden“, so der erfahrene Journalist. „Wer Nazi-Vergleiche bemüht, nutzt die schärfste moralische Waffe, die wir in Deutschland haben; wer solche Nazi-Hiebe austeilt, will Debatten verhindern, will Recht behalten, will als guter Mensch strahlen und verehrt werden“.

Noch ärgerlicher ist allerdings die Respektlosigkeit der Kolumnistin gegenüber den Ostdeutschen, den Deutschen „drüben“, übrigens ein Begriff aus dem Kalten Krieg: „Hier Willkommenslust, drüben Fremdenfrust“. Diese Respektlosigkeit verärgert die Menschen im Osten, diese Respektlosigkeit ist einer der Gründe, warum Pegida nicht implodiert.

Offenbar wächst mit dem Abstand zur ehemaligen innerdeutschen Grenze die Bereitschaft, den Osten zu stigmatisieren und ihn nicht verstehen zu wollen  (oder nur nach eigenen Massstäben). Da baut man lieber wieder eine Mauer auf, nennt die Landsleute im Westen die „lieben Landsleute“ und die im Osten „Landsleute aus der ehemaligen Zone“. Sybille Krause-Burger versteht die Menschen im Osten nicht, dabei stehen mittlerweile, so fand sie heraus,  „in ihren Wohnungen Trockner, Wasch- und Spülmaschinen“.

Gab es in der DDR keine Waschmaschine? Haben die Frauen in Dresden und Erfurt vor der Revolution noch am Waschbrett gestanden, geschrubbt  und dabei Arbeiter-Lieder gesungen? Wahr ist: Die Waschmaschinen in der DDR  waren nicht so gut wie die im Westen, weil die guten ostdeutschen Waschmaschinen in den Westen verkauft wurden.

Wer die Menschen im Osten verstehen will und respektieren, der sollte auf Küchenpsychologie verzichten nach dem Muster: Schwere Kindheit, Schattenseite des Lebens und nun auch noch Arbeitslosigkeit. Zu den Fakten: Die Arbeitslosigkeit in Thüringen und Sachsen ist mittlerweile niedriger als in Nordrhein-Westfalen oder Bremen. Und die Revolution war eine der Ostdeutschen, nicht der „lieben Landsleute im Westen“ auf der Sonnenseite.

 

1 Kommentar

  • Nach wie vor teile ich nicht Ihre Meinung, die „Ostdeutschen“ hätten „revolutioniert“. Das korrupte und niemals überlebensfähige DDR-System als Gegenentwurf zum kapitalistischen Westdeutschland ist mit Zustimmung aus Moskau implodiert. Ich zB. wäre ein kompletter Idiot gewesen, hätte ich zur und nach der Wendezeit als Mantelredakteur fränkischer und südthüringischer Blätter jemals die Mitmenschen “ hinter dem Zaun“ stigmatisiert. Jetzt kann man ja mal darüber reden, dass „Fremdenfeindlichkeit“ an „Runden Tischen“ auch ein virulentes Thema war. In den einstigen „sozialistischen Bruderländern“ hat man den DDR-Bürgern nie vergessen, dass sie 1968 mit nach Prag einmarschiert sind und auch aus Sicht der Ungarn und anderer Länder aus vielerlei Gründen als die Moskau treuestern Hardliner galten. Mit Entsetzen haben ich erlebt, wie miese die DDR-Bürger mit ihrem eigentlich wertlosen Geld in Restaurants in Prag und Budapest ignoriert wurden. – – Ich habe vermisst, dass Sie im gegebenem Zusammenhang den Unterschied zwischen Kolumne und Kommentar exakt difinieren. Die Wortprägung „Meinungskorridor“ werden Sie auch als Adverbien-Sprachpurist hoffentlich alsbald auf dem „Friedhof der Wörter“ beerdigt haben. Hatte neulich bei einer Reise durch Georgien mit Menschen aus der Dresdner Ecke zu tun. Deren Dialekt, wie mein niederrheinischer oder der schwäbische ähnlich verpönt, habe ich in lustigen Diskussionen immer wieder verteidigt. Wer erinnert sich noch daran, mit welcher Dialektfärbung Goethe, Schiller, Nietzsche, Schopenhauer, Kant, die Grimmes, die Humboldts und Wilhelm Busch alltagtäglich gesprochen haben? Diese aus der Dresdner Gegend jedenfalls fühlten sich durch die Ankunft von Flüchtlingen bedroht. So ist nun auch meine Kommentierung ähnlich wie Ihre Vorlage vielen Spuren gefolgt. Dass Kolummnen gleichsam sakrosankt sein sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Man muss ja als Redakteur nicht jeden Unsinn drucken lassen und hätte dazu auch einiges anmerken können, ohne Meinungsfreiheit zu verletzen. Sie werden nicht vergessen haben, was in einer Redaktion letztlich die „Unantastbaren“ sind. Die Auflage,

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