Politiker wollen nicht verstanden werden (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 7. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

Ob die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag wirklich lesen, bevor sie abstimmen? Und ob sie ihn auch verstehen?

Wahrscheinlich versteht ihn nur eine Minderheit, die eine Freude daran hat, Ungetüme wie „Thesaurierungsregelegungen“ oder „Schnellreaktionsmechanismus“ genüsslich zu zerlegen und einen Sinn zu finden.

Sprachforscher der Universität Hohenheim haben den Vertrag analysiert, nein: Sie haben ihn buchstäblich auseinandergenommen – und sind entsetzt. Sprach-Professor Frank Brettschneider:

Die mangelnde Verständlichkeit des Koalitionsvertrags ist enttäuschend. Alle Parteien haben sich Transparenz und Bürgernähe auf ihre Frage geschrieben. Damit die Bürger eine begründete Bewertung vornehmen können, sollten die Koalitionspartner ihre Absichten klar und verständlich darstellen.

Und das tun sie nicht.

Selbst die für den Normalbürger kaum lesbare Doktor-Arbeit eines Politikwissenschaftlers ist im Durchschnitt verständlicher als der Vertrag. Warum? Wir lesen Schachtelsätze mit Fachchinesisch, Fremd- und Fachwörtern, meist ohne Erklärung sowie Wortungetüme und viel zu lange Sätze.

Wollen die Politiker wirklich verstanden werden? Die Wissenschaftler haben Zweifel: „Sie nutzen abstraktes Verwaltungsdeutsch, um unklare oder unpopuläre Positionen absichtlich zu verschleiern.“ „Taktische Unverständlichkeit“ nennt dies der Sprach-Professor.

Einige Beispiele gefällig: „Flächenneuinanspruchnahme“, „Interoperalibiliät“ – und der „Landesbasisfallwert“.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 9. Dezember 2013

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