Soll man „Ossi“ und „Wessi“ verbieten? Am Anfang stand die Schlagzeile: „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen“
„Ossi – das ist Blödsinn“, sagt ein Leser der Thüringer Allgemeine beim „Parlament der Einheit“ auf der Wartburg. „Das Wort müssen wir aus dem Wortschatz streichen!“
„Durch das Verbieten werden viele Probleme verdeckt“, sagt ein anderer. Und einer bemerkt: „Hinter den Worten stehen Gedanken.“
Ja, es sind die Gedanken hinter den Worten, die entscheiden, ob „Ossi“ freundlich gemeint ist oder verletzend, humoristisch oder verächtlich. Dabei entscheidet nicht nur der Sprecher, wie ein Wort trifft, sondern auch der Empfänger:
Wenn ich den „Ossi“ nicht mag, erst recht nicht den Westdeutschen, der mich so anredet, dann ist alle Liebenswürdigkeit vergebens – die eigentlich im Nettigkeits-„i“liegt am Ende eines Wortes. „Schatzi“ und „Mutti“ und „Tschüssi“ – das „i“ am Ende ist eine Verbeugung, eine kleine Liebeserklärung.
Beim „Wessi“ läuft es ähnlich: Wenn er zum Inbegriff allen Elends wird, das nach der Einheit über den Osten kam, dann nützt das Nettigkeits-i wenig. Legendär ist eine Schlagzeile der 30-Pfennig-Zeitung „Super“ im ersten Jahr der Einheit: „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen“.
In der Unterzeile werden die Attribute genannt, die sich mit dem „Wessi“ verbinden: „Er protzte mit seinem BMW herum, beschimpfte seine Mitarbeiter als doofe Ossis“.
Da rettet das „i“ am Ende nichts mehr, da hilft auch das Verbieten nichts, weder der Wörter noch der Gedanken. Wörter machen eben Leute. Oder machen die Leute die Wörter?
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Thüringer Allgemeine 6. Oktober 2014
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