Sprechen wir polnisch zur EM? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 8. Juni 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 8. Juni 2012 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Wo wohnen die deutschen Fußballer bei der Europameisterschaft? In Danzig? Oder in Gdansk?

Da Sprache verständlich sein muss, sprechen wir von Danzig. So verheddert sich unsere Zunge nicht: Wie spricht man Gdansk? So gebrauchen wir ein Wort, das schon die Großeltern kannten.

Da Sprache auch der Verständigung dient, schwingen in Wörtern bisweilen Bedeutungen mit, die an schwere Zeiten erinnern, an Krieg und Besetzung, Mord und Vertreibung.

Schwingt nicht der Anspruch mit, das schlesische Breslau müsse wieder deutsch werden – wenn wir etwa Breslau sagen statt Wroclaw? Ist das schon Revanchismus? Einige äußern den Verdacht.

In einem deutsch-polnischen Internet-Forum schreibt „Falk“:

„Ich finde ein gewisser Respekt gebietet, gerade bei der deutsch-polnischen Geschichte, dass versucht wird die landesübliche Benennung der polnischen Städtenamen zu benutzen, wenn auch ich finde, man sollte hier nicht päpstlicher als der Papst sein…Wenn der Engländer zum Oktoberfest nach Munich (München!) fährt, oder der Deutsche zum Mode kaufen nach Mailand (Milano) fliegt, dann fehlt halt die historische Brisanz.“

„Tommy“ schreibt dagegen: Wenn man deutsch spricht sollte man auch den deutschen Namen für eine Stadt benutzen; wenn man polnisch spricht dann eben den polnischen Namen. Leipzig heisst auch Lipsk auf Polnisch, da sagt ja auch keiner „jestem z Leipzig“ oder “ jestem z münchen“.“

Also – sprechen und schreiben wir deutsch, wenn der Ball rollt. Und sprechen wir– aus Respekt – polnisch, wenn ein polnischer Freund diese Rücksicht verlangt.

7 Kommentare

  • Es gibt zur Zeit ja ein etwas spannenderes Thema:

    http://www.thueringerblogzentrale.de/2012/06/08/brief-der-redaktion-der-thuringer-allgemeinen-an-ihren-chefredakteur-paul-josef-raue/

    Was sagen Sie grundsätzlich dazu?

    Wie geht es Ihnen persönlich mit dieser Rückmeldung der Redaktion, die offenbar auf ein vollkommen zerrüttetes Vertrauensverhältnis hindeutet?

    Wie finden Sie Reaktion der politischen Öffentlichkeit, die offenbar erleichtert reagiert?

  • Dass Sie den Kommentar veröffentlicht haben und darauf geantwortet haben ist nicht selbstverständlich, das ist respektabel.

    Weniger erfreulich ist die subtile Unterstellung wir würden nicht recherchieren.

    Eben gerade der ausgewogenen Berichterstattung dienten die obigen Fragen.

    Die sind hart. Klar.

    Aber sind Sie nicht stark genug, sich ihnen zu stellen?

    • Warum reagieren manche Blogger so schnell beleidigt? Liegt es daran, dass sie so schnell reagieren? Ich mag das Nachdenken, und das Nachdenken braucht Zeit.

      Also: Da gibt es keine Unterstellung von mir, erst recht keine subtile. Ich kann gar nicht subtil sein.

      Wenn ich mich mißverständlich ausgedrückt habe, bitte ich um Nachsicht. Was ich schreiben wollte: Die Journalisten bei Meedia haben recherchiert, haben mich gefragt und meine Antworten veröffentlicht. Da Fragen von Meedia und der „Bloggesellschaft“ ähnlich sind, habe ich auf meine Antworten bei Meedia.de hingewiesen und den Link gleich mitgeschickt.

  • Lieber Herr Raue. Es ist nicht schwer, Gdansk zu sagen. Auch Wroclaw geht recht gut über die Lippen. Man muss nur ein wenig üben. Nachrichtensprecher bemühen sich sichtlich, Namen ausländischer Orte gut in der Landessprache zu nennen. Mag sein, ich bin da überempfindlich, aber ich – die Tochter einer aus Schlesien Vertriebenen – habe ein ungutes Gefühl beim Benutzen der deutschen Namen polnischer Orte zur EM. Da schwingt immer noch etwas mit. Vielleicht sollte man mal einen polnischen Staatsbürger fragen, wie das in seinen Ohren klingt?

    • „Wie soll ich den Namen meiner Heimatstadt schreiben?“, fragt Natalka Snjadanko, Schriftstellerin aus der Ukraine, und geht die Namen durch: Lwiw (ukrainisch)? Lwow (russisch)? Lemberg (deutsch)?
      Leopolis will sie ihre Heimatstadt nennen, zurückgreifend auf den ältesten, den lateinischen Namen. Das sei politisch neutral, schreibt sie, entrücke den Streit in eine mythische Vergangenheit.
      So spielt die Dichterin mit dem Namen, sie ist aber kein Trost im Streit um den rechten Umgang mit der Vergangenheit. Sie macht aber klar: Es sind nicht einfach nur Namen, die wir gebrauchen, nicht einfach nur Worte. Immer schwingt die Geschiche mit, wenn wir die Worte sprechen.
      Das Zitat von Natalka Snjadanko ist entnommen dem gerade erschienenen Sammelband „Totalniy Futbol – eine polnisch-ukrainische Fußballreise“.

  • Kurze Replik auf die Diskussion:

    Wer war schon mal in Litzmannstadt?

    Sagt irgendjemand den Menschen, die die polnischen Orte gerne in polnisch aussprechen, dass sie das nicht dürfen oder nicht sollten?

    Spricht irgendjemand der Menschen, die lieber Wroclaw statt Breslau sagen, auch von Warszawa, Moskwa, Lwiw oder Vilnius?
    Nein, die meisten „Sprachkritiker“ sprechen von Warschau, Moskau, Lemberg und Wilna.

    „Wrocklaw, Vrotzlaff, Wrotzlau“, alles schon gehört von unseren Sprachpolizisten. Die wenigsten wissen, dass das l in der Wortmitte von Wroclaw mit weichem „u“ gesprochen wird.

    Ich fühle mich auch nicht unwohl, wenn ein Pole von Monachium statt München oder von Monastir statt Münster spricht. Soll er diese deutschen Städte doch so bezeichnen wie er mag. Ich spreche so wie ich es mag.
    Seit 2 Jahrzehnten bereise ich regelmässig Mittelost- und Südosteuropa bis hinunter in die Bukowina, nach Bukarest und Sofia. Nirgendwo störte es meine Gesprächspartner/innen, wenn ich die Orte mit der deutschen Bezeichnung aussprach.
    Ausgerechnet in Deutschland gibt es diese Diskussion. Das sagt mehr aus über uns als manchem lieb ist.

    Wer war außer Theo schon mal in Lodz? Dort erfährt man viel über Litzmannstadt.

    Worin besteht nochmal das Problem?

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