Wann ist der „Scheißtag“? Ein Besuch in der Sprache von Schlampatatsch und Karfiol (Der Friedhof der Wörter)
„Sie sprechen ja ein verrostetes Deutsch!“ So schüttelten die Lehrlinge den Kopf, als Eduard Seifert vor sechzig Jahren seine Berufsausbildung in Tschechien begann. Dabei war er Klassenbester in Deutsch gewesen.
Wenn die Herrschaft wechselt, wechselt auch die Sprache – aber nie so vollkommen wie das Personal auf den Polsterstühlen der Mächtigen. In Reichenberg wuchs Eduard Seifert auf: Seine Eltern waren kaiserlich und königlich erzogen. Im großen Reich der Wiener Monarchie sprachen sie deutsch mit österreichischem Einschlag.
Eduard Seiferts Geburtsurkunde ist zweisprachig, denn in der neu gegründeten Tschechoslowakei achtete man zwei Sprachen. Auch als Nazi-Deutschland 1938 für knapp sieben Jahren das Land eroberte, blieb die gemischte Sprache: Deutsch mit tschechischen und österreichischen Einsprengsel.
„Den Klang dieser Sprache habe ich ein ganzes Leben im Ohr,“ sagt Eduard Seifert, der nach seiner Vertreibung in Mecklenburg wohnte und seit sechzig Jahre in Großlohra, im Norden Thüringens. Er hatte bisweilen das Europaparlament in Straßburg und Brüssel besucht, wenn es um die Landwirtschaft ging: Dann hatte er stets die österreichische und nicht die deutsche Übersetzung auf den Kopfhörer geschaltet.
Er freute sich, wenn er die Wörter seiner Jugend hörte: „Karfiol macht doch den Blumenkohl viel schmackhafter und Ribisln schmecken sprachlich viel besser als Johannisbeeren.“ 91 Seiten stark ist das „Österreichisch – Deutsche Wörterbuch“, das er vor kurzem gekauft hat.
Darin blätterte er, als er in der Kolumne der vergangenen Woche von der „Schlampenschleuder“ las; das Wort fehlt im Wörterbuch. „Ich müsste es hinter „Schlampatatsch“ einordnen. Das ist ein für deutsche Zunge etwas schwer auszusprechendes Wort und wird deshalb von meiner Frau mir gegenüber auch nur seltener als nötig gebraucht.“
Ein „Schlampatatsch“ ist ein „Mensch mit mäßig ausgeprägtem Ordnungssinn“. Und noch ein Wort fällt Eduart Seifert ein, das ich nicht mehr auf dem Friedhof beerdigen möchte – weil ich jetzt die österreichische Bedeutung kenne:
Der Scheißtag ist der 29. Dezember: An diesem Tag mussten die Dienstboten das nacharbeiten, was sie während des Jahres an Zeit durch Verrichten der Notdurft versäumt hatten. „Glückliches Österreich!“, kommentiert Eduard Seifert.
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