Udo Jürgens und die Angst vor dem leeren Blatt – oder weißem Bildschirm (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 23. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 23. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Wie kommen die Wörter zur Musik? Ist zuerst der Text, dann die Noten? Oder sind erst die Noten, für die Wörter gefunden werden?

Udo Jürgens ersann meist zuerst die Melodie – und suchte erst später die Texte, die zur Stimmung der Töne und zur Botschaft des Lieds passten. Das konnte Jahre dauern wie bei einem seinen größten Erfolge, der Gastarbeiter-Ballade „Griechischer Wein“.

Jürgens wollte keinen Urlaubs-Sonne-Strand-Text, er wollte ein Lied über Menschen, die aus dem warmen Licht des Mittelmeers in das kalte des Nordens kommen und sich als Fremde fühlen. Erst nach zwei Jahren fand sein Textdichter Michael Kunze die Verse zur Musik: Auf „Hügel, Meer und Wind“ reimten sich „junge Frauen, die alleine sind“ und das „Kind, das seinen Vater noch nie sah“.

Als Udo Jürgens seinen Freunden einmal am Klavier eine Melodie vorspielte und genervt rief: „Dazu fällt mir nichts ein“, fiel ihm einer ins Wort und in die Melodie: „Genau das ist der Text!“ So entstand „Was ich Dir sagen will“, das mit dem „Horror vacui“ beginnt, der Angst aller Dichter, Liedttexter und Journalisten vor dem leeren Blatt – oder leeren Bildschirm:

„Das Blatt Papier vor mir bleibt weiß und leer. / Ich find‘ die Worte nicht, doch glaube mir: /. Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier.“

Udo Jürgens suchte die rechten Wörter und Botschaften so ausdauernd und akribisch wie kein anderer der Musiker, die wir als U-Musiker gerne ins Abseits stellen. Er starb am Sonntag vor Weihnachten mit 80 Jahren.

**

Thüringer Allgemeine 29. Dezember 2014

Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Udo Jürgens und die Angst vor dem leeren Blatt – oder weißem Bildschirm (Friedhof der Wörter)"