Wenn der Neger nickt (Friedhof der Wörter)
In der Eisenacher Georgenkirche feiert der Bachchor am ersten Advent ein Jubiläum: Der 200. Kantaten-Gottesdienst – mit Georg-Philipp Telemanns: „Nun komm, der Heiden Heiland“. Auch Johann-Sebastian Bach hat eine Kantate mit diesem Titel geschrieben.
Wer die Melodie hört, summt sie mit – sie ist in unseren Köpfen; den Text beachten wir nicht, wie so oft in den Kantaten aus den fernen Jahrhunderten. Die Musik bleibt, die Worte fliegen davon.
Die „Heiden“ stören, das Wort ist aus unserem Wortschatz gewichen, es passt nicht in unsere multi-kulturelle Gesellschaft, die eine multi-religiöse und gottferne geworden ist. Wir kommen uns schäbig, gar fremdenfeindlich vor, etwa die Besucher einer Moschee „Heiden“ zu nennen – auch wenn Muslime uns „Andersgläubige“ nennen; dabei schwingt noch die Bedeutung mit, die Bach mit den „Heiden“ verknüpfte.
Wir verbannen Wörter aus unserer Sprache, weil sie grausame Bilder aus der Geschichte mitschleppen, die der Kreuzzüge gegen die Heiden, das Morden und Zerstören in Gottes Namen. Oder aus unserer Erinnerung tauchen peinliche Bilder auf. In katholischen Kirchen standen vor nicht allzu langer Zeit noch Neger-Figuren, die – politisch inkorrekt – so genannt wurden. Sie standen in der Kirche und nickte mit dem Kopf, wenn man einen Groschen einwarf.
Von einigen Esoterikern abgesehen, die sich als neue Heiden verstehen, haben wir den „Heiden“ begraben. Nur am 1. Advent werden wir ihn nicht los, wenn wir Bachs und Telemanns Musik hören. Musik ist stärker.
Thüringer Allgemeine 3. Dezember 2012
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