Vertriebene oder Umsiedler? (Friedhof der Wörter)
Vertriebene? Umsiedler? Zwangsmigranten? Wie bezeichnen wir die Menschen, die nach dem Krieg aus Schlesien nach Thüringen kamen?
Ein Ortschronist nannte sie in der Thüringer Allgemeine „Umsiedler“, als er darüber sprach, dass sich nach dem Krieg die Zahl der Einwohner verdoppelt hatte. Leser protestierten: Wir sind keine Umsiedler! Wir sind Vertriebene!
Wieder sprechen wir über Wörter, die Politik machen und über Wörter, die Menschen manipulieren sollen – sei es um einer Ideologie zu dienen, Interessen durchzusetzen und Macht zu bekommen oder zu festigen.
Sicher sind die Menschen in Schlesien und Ostpreußen vertrieben worden – gegen ihren Willen und mit Gewalt.
Doch die Regierung der DDR musste Rücksicht nehmen auf die Verbündeten im Osten. Diejenigen, die DDR-Bürger vertrieben hatten, waren politische Freunde geworden.
So erließ die Volkskammer ein „Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik“ und verschwieg damit nicht nur die Vertreibung, sondern sprach den Vertriebenen auch das Recht ab, darüber zu sprechen: Aus Vertriebenen wurden Umsiedler, aus Umsiedlern wurden Ehemalige.
Auch im Westen war das Wort „Vertreibung“ umstritten – nicht nur bei denen, die argwöhnten: wer von „Vertreibung“ spricht, will die Schuld der Deutschen am Weltkrieg leugnen. 1985 sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker, zum 40. Jahrestag des Weltkriegs-Ende – von der „erzwungenen Wanderschaft“.
„Umsiedlung“ nannte die DDR 1952 und 1961 auch die Vertreibung der Menschen, die im Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze lebten, als politisch unsicher bewertet wurden und ins Innere der DDR gefahren wurden: Aktion Kornblume und Aktion Ungeziefer waren die Namen für die Vertreibung.
Der thüringische Innenminister Willy Gebhardt, verantwortlich für die „Aktion Ungeziefer“ in Thüringen, schrieb mit der Hand an den SED-Landessekretär Otto Funke: „Otto, diese Zahlen hat mir eben Gen. König durchgegeben. Das wäre das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“
Worte zeichnen ein Bild vom Menschen – und auch von der Verachtung des Menschen.
geplant für Thüringer Allgemeine 2. April 2013