Wie provinziell ist der Lokaljournalismus? (Golombek-Interview 3)

Geschrieben am 25. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 25. Oktober 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus.

Im dritten Teil des Interviews sprach Paul-Josef Raue mit Dieter Golombek über die Zukunft des Lokaljournalismus im Internet-Zeitalter:

Ist der Lokaljournalismus nicht in Gefahr, mit seinen Nachrichten aus der Nachbarschaft provinziell zu sein?

Golombek: Er ist in der Gefahr und er muss ihr begegnen, die ganze Zeitung muss es tun. Die Chefredakteure müssen ihre Redaktionen neu aufstellen, um auf die Herausforderungen und Chancen richtig zu reagieren, die diese Medienwelt hergibt. Sie muss sich auf ihre Kernkompetenz besinnen und den Brückenschlag schaffen zwischen den Interessen ihrer Leser und der Fülle möglicher Informationen, den Brückenschlag zwischen den lokalen Welten und der einen Welt.

Eine gewaltige Aufgabe . . .

Aber sie ist nun mal da, und es ist die Marktlücke für die Tageszeitung. Viele Themen spielen ins Lokale hinein, aus Brüssel, aus Berlin, aus Erfurt, aus der ganzen Welt. Der Leser will begreifen, will nachvollziehen, was das Ganze für ihn, in seinem Dorf, in seiner Stadt bedeutet: Ozonloch, Eurokrise, terroristische Bedrohung, demografischer Wandel, die neue Schulvergleichsstudie.

Alle diese Informationen finde ich doch auch im Netz?

Aber sie verwirren mehr als sie orientieren. Eine schier unendliche Fülle von höchst widersprüchlichen Informationen überfällt mich, die Bezüge zu meiner Region fehlen.
Und hier kommt die Zeitung ins Spiel. Bei ihr arbeiten Redakteure, die diese unendlich komplizierte und vielschichtige Wirklichkeit sichten und in nachvollziehbare Nachrichten umsetzen und so die Welt verstehbar machen können. Nachrichten aus Politik und Wirtschaft, überregionale Themen brechen sie auf das Lokale herunter. So wird Welt verstehbar, so macht sich Zeitung unverzichtbar – wenn sie gut ist.

Ein hoher Anspruch . . .

Zeitungen wollen überleben, und sie sollen überleben – im Interesse der Demokratie, im Interesse des wohlinformierten Bürgers, den diese Demokratie braucht. Zeitungen überleben, wenn sie das Lokale als Auftrag ernst nehmen, nicht kleinkariert und provinziell, sondern mit dem Anspruch, die großen Themen der Zeit für die Region und in der Region zu übersetzen. Tageszeitungen und Journalisten, die diesem Auftrag gerecht werden, verdienen hohen Respekt.

Sie organisieren seit über drei Jahrzehnten den Deutschen Lokaljournalistenpreis, haben Tausende von Konzepten, Serien, Aktionen und Reportagen gelesen. Was hat sich verändert?

Die Qualität im Lokalen ist deutlich gestiegen, sie ist höher als vor zehn oder zwanzig Jahren. Der Anteil der guten und sehr guten Einsendungen zum Preis ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Immer mehr Redaktionen befreien sich von Routinen, geben nicht nur Pressemitteilungen wieder oder drucken ab, was ihnen Politiker oder Funktionsträger diktieren. Sie erkunden die Bedürfnisse ihrer Leser, sie erforschen, was sie lesen wollen. Sie binden ihre Leser ein, öffnen die Zeitung für die Debatten, die dieses Land, diese Demokratie braucht.

Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)

(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 55 Die Internet-Revolution)

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