Wie schreibe ich eine milde Kritik?
Der Kritiker schätzt Donna Leon, die Krimi-Autorin, aber ihm gefällt der neue Krimi nicht. Er verreißt ihn nicht, er verplaudert ihn.
Er verweist auf das Alter der Autorin, bald 70; auf die Jahreszeit, in der der Roman spielt: Herbst, der Winter des Lebens steht vor der Tür; auf die Gattin von Kommissar Brunetti, die sich eingehend mit der „Lichtmetaphorik im Spätwerk von Henry James“ beschäftigt. „Brunettis Fall ist entsprechend“, schreibt der Kritiker, milde und klar.
Noch milder, noch klarer der Satz: „Und nach und nach findet sich der Krimi, wohlgeordnet wie die Wohnung einer alleinlebenden, älteren Dame: Alles ist an seinem Platz.“
Fast, nur fast kippt am Ende die Milde des Kritikers, offenbar ist das Buch allzu langweilig: „Doch es geht langsam voran in ,Reiches Erbe‘ – fast so, als wär’s ein Spätwerk von Henry James.“
(Kritik von „wfr“ in Literarische Welt vom 26. Mai 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 37 „Der Kommentar“)
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