Wolf Schneider: Zwei (plus eins) einfache Regeln für einen guten Stil (Luther-Disput 4)

Geschrieben am 23. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

Es gibt zwei einfache Regeln für einen guten Stil, sagt Wolf Schneider:

• Erstens: Die Wörter sollten möglichst wenig Silben haben. Die einsilbigen Worte sind das Größte – Blood, sweat, toil and tears –, die zweisilbigen sind das Zweitbeste.
• Zweitens: Keine Schachtelsätze, sondern vor allem Hauptsätze. Eingepferchte Nebensätze sind immer schlecht. Es möge laut vorgelesen gut ins Ohr gehen. Wir schreiben immer für die Ohren.

Felix Leibrock fügt eine dritte Regel hinzu:

Kein Passiv! Aktivformen verwenden! Beim Passiv stiehlt man sich aus der Verantwortung. Statt „Wir wurden heute begrüßt…“, besser: „Herr Müller, Meier, Schulze hat uns begrüßt…“.

Schneider: Ja, Passiv entpersonalisiert – das ist heimtückisch und frech. Die Deutsche Bank hat mir einen unverschämten Brief geschrieben: „Die Geschäftsbedingungen sind geändert worden.“ Sie hat nicht geschrieben: „Wir möchten ändern“ – dann hätte ich ja vielleicht widersprochen.

Und wie schreibt Wolf Schneider? „Meine Werkstatt verlässt kein Text, den ich nicht mindestens dreimal laut gelesen habe.“

Im vierten Teil des Luther-Disputs standen klare Sätze im Vordergrund und Vorbilder, die klare Sätze schrieben. Auf die Frage „Kann man nicht auch in Hauptsätzen Blödsinn reden?“ antwortete Wolf Schneider:

Wo immer mir klare Hauptsätze begegnen, bin ich angetan. Es ist eine Wohltat, eine Aussage in einem klaren harten Satz zu hören. Sich in klaren Sätzen zu äußern, ist keinem Prediger, keinem Bischof versagt.

Das allerdings von Politikern zu fordern, ist in meinen Augen weltfremd; das können Politiker sich nicht leisten, sie machten sich unglücklich. Von Festrednern sollte man fordern, dass sie gar nicht erst antreten, mit all den Allgemeinplätzen.

Von welchen Schreibern können wir noch gutes Deutsch lernen?

Schneider:
Ich kann nur jedem raten, möglichst viel von Bertolt Brecht, Franz Kafka, Georg Büchner und Heinrich Heine zu lesen. Da gibt es viele starke Sätze. Man denke nur an den geschundenen Woyzeck bei Büchner, der da sagt: „Wenn wir in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen“.

Das ist ein gewaltiger Satz, das ist Lutherdeutsch. Auch Brecht hat sich vom Lutherdeutsch inspirieren lassen und andauernd die Bibel gelesen. Seine Aussage „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ ist ein strittiger Spruch, aber er hat Kraft. Und das Fressen darf eben auch mal vorkommen in einer Predigt.

Luthers Übertragung aus dem Alten Testament, aus dem Buch Jesus Sirach: „Die Geißel macht Striemen, aber ein böses Maul zerschmettert das Gebein“ verstehen auch heute 14-Jährige noch.

Oder Kafkas Briefe: Sie gehören zum Herrlichsten, was auf Deutsch je geschrieben wurde. Hier wird das akademische Vorurteil klar widerlegt, dass, wer verständlich schreibt, keine große Literatur produzieren könne.

Leibrock:
Ich suche nach vergleichbaren Gegenwartsautoren…

Schneider:
Heinrich Böll hat gutes Deutsch geschrieben, Magnus Enzensberger auch. Von Günter Grass gibt es ein paar starke Sätze, aber nicht mehr. Mit großer literaturtauglicher Sprache Millionen erreichen – das können wohl nur Kafka und Brecht.

Kann auch ein Ungläubiger Luther verstehen und schätzen?

Schneider:
Ja! Brecht war ein sehr heftiger Luthergegner, ein Kirchengegner überhaupt. Trotzdem hat er von Luther gelernt. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Das ist ein großartiger Satz Luthers, nicht nur im Vertrauen auf die Allgegenwärtigkeit Gottes. So schreibt man, und so schreibt auch Bertolt Brecht.

Leibrock:
Die Hauptfrage Luthers ist allerdings heute nicht mehr aktuell. Luther fragt: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“. Heute fragen wir eher: „Gibt es Gott?“. Auch Luther würde heute diese Frage zu beantworten versuchen, und er hätte sicher gute Antworten.

Wir können Luther nicht einfach auf unsere Zeit übertragen, das sollten wir auch für das Lutherjahr 2017 bedenken. Viele Menschen könnten damit wenig anfangen, weil es nicht ihre Fragen sind.
Eine heutige Frage ist die nach Schuld und Vergebung:

> Wo bekomme ich Vergebung, wenn mir diese Welt nicht vergibt?
> Kann Michail Chodorkowski Herrn Wladimir Putin vergeben?
> Kann Wladimir Putin Herrn Chodorkowski vergeben?

Die Nachrichten sind voll mit Fragen nach Schuld und Vergebung. Die Frage ist, ob Luthers Antworten aus dem Mittelalter heute noch passen.

FELIX LEIBROCK leitet die Evangelische Akademie in München, war Pfarrer in Apolda (Thüringen) und ist Autor des Romans „Luthers Kreuzfahrt“ mit dem ersten deutschen Sauna-Seelsorger Wolle Luther, der auf dem Kreuzfahrtschiff „Nofretete“ arbeitet.

WOLF SCHNEIDER ist Mitautor des „Handbuch des Journalismus“ und Autor von Bestsellern über die Sprache wie „Deutsch für Kenner“.

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Vierter Teil des Luther-Disputs, erschienen am 11. Januar 2014 im „Thüringen Sonntag“ der Thüringer Allgemeine.

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