Drastische Sprache wie vom „Tyrannen, der stinkt wie Teufelsdreck “ – und große Vorbilder (Luther-Disput 5)

Geschrieben am 24. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 24. Januar 2014 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren.

Luther nennt einen Mächtigen einen „wütenden Tyrannen, der stinkt wie Teufelsdreck“. Wie drastisch darf unsere Sprache sein? – ist die Frage im fünften Teil des Luther-Disputs im Erfurter Augustinerkloster.

Wolf Schneider:
Ich finde es einfach traurig, wenn ein Mensch ein Anliegen hat, aber nicht im Stande oder Willens ist, es auf geeignete Weise unter die Leute zu bringen. Wer etwas bewirken will, hat sich der Sprache zu bedienen, die etwas bewirken kann.

Noch einmal Büchners Woyzeck: „Wenn wir in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen“. Das ist die perfekte Sprache abseits der Bibel, das ist Luther-Deutsch. Manchmal darf und muss Sprache eben auch drastisch sein.

Von Pfarrer Thomas Seidel aus Erfurt kommt der Einwand: „Die Kirche ist nicht der Jahrmarkt, nicht das Kaufhaus und nicht die Talkshow. Dort ist man ein anderer Mensch und will Menschen anders ansprechen. Dürfen und sollten dafür andere Sprachregeln gelten?“

Schneider: Warum anders? Saftig, drastisch, auf den Punkt und unter mutiger Ignorierung alles auf der Universität Gelernten. Dann wird man auch verstanden.

Leibrock:
Man muss trotzdem authentisch sein. Ich kann nicht in eine Rolle schlüpfen und sagen: Jetzt bin ich ein anderes Wesen. Schauspieler können das. Aber ich stehe ja auf der Kanzel bei einer Rede oder als Schreibender nicht als Schauspieler da.

TA-Leser Christoph Werner aus Erfurt meint:
„Ich habe Schwierigkeiten mit der Aussage: Alle müssen einen verstehen. Es gibt doch ganz verschiedene Adressaten, an die man sich wendet. Ein Thomas Mann beschränkt sich nicht auf Hauptsätze und ist dennoch in meinen Augen einer der größten Stilisten des 20. Jahrhunderts. Ein Mediziner, der über Lungenkrankheiten schreibt, hat ein anderes Publikum als ein Reporter einer Tageszeitung.“

Schneider:
Ich bewundere Thomas Mann. Noch mehr bewundere ich Heinrich Kleist, den ich aber niemals als Vorbild nennen würde, weil er viel zu schwierig ist.

Wir reden hier nicht von Weltliteratur, nicht von Wissenschaft, sondern wir reden von einem Publikum, das einerseits die Journalisten und andererseits die Pfarrer wohl in größtmöglicher Mehrheit erreichen möchten. Journalisten sollten so schreiben, dass 70 Prozent der Deutschen sie lesen können – 100 Prozent schafft man nicht. Sich dafür Thomas Mann als Vorbild zu nehmen, davon würde ich abraten.

Der Kabarettist Ulf Annel aus Erfurt:
„Beim Lesen von Luthers „Schrift vom unfreien Willen“ kommen mir Zweifel, ob das damals alle verstanden haben. Hat also auch Luther nicht immer für alle geschrieben?“

Schneider:
Luther hat auch für Professoren geschrieben. Aber die Bibel hat er nicht für Professoren übersetzt.

Leibrock:
Ein Beispiel ist für mich der Fernseh-Historiker Guido Knopp. Der wird von Fachkollegen oft scheel angeguckt. Er hat aber mit seinen historischen Filmen im ZDF einen riesigen Zuspruch.

FELIX LEIBROCK leitet die Evangelische Akademie in München, war Pfarrer in Apolda (Thüringen) und ist Autor des Romans „Luthers Kreuzfahrt“ mit dem ersten deutschen Sauna-Seelsorger Wolle Luther, der auf dem Kreuzfahrtschiff „Nofretete“ arbeitet.

WOLF SCHNEIDER ist Mitautor des „Handbuch des Journalismus“ und Autor von Bestsellern über die Sprache wie „Deutsch für Kenner“.

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Fünfter und letzter Teil des Luther-Disputs, erschienen am 11. Januar 2014 im „Thüringen Sonntag“ der Thüringer Allgemeine.

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