Bach und das weihnachtliche Lallen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 26. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 26. Dezember 2012 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Johann Sebastian Bach bringt Menschen leicht in weihnachtliche Stimmung. Sein Weihnachtsoratorium füllt die Thomaskirche, wo der Chor mit matten Gesängen lallte. Wie? Er lallte?

Wehe, ein Kritiker würde Sänger heute so bewerten! Die Leserbrief-Seiten füllten sich über Tage, von einer Welle der Empörung überflutet. Doch, der so spricht, ist Bach selber in seinem Weihnachts-Oratorium:

Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen,
Lass dir die matten Gesänge gefallen!

Von hoher göttlicher Warte aus ist alles Menschliche unvollkommen – selbst das Lob des Höchsten.

Da spricht noch nicht der selbstbewusste Mensch der Aufklärung, da ist der mündige Bürger noch der lallende Untertan, eben das Kind, das noch nicht zur Sprache gefunden hat.

In diesem Sinne verschwand das Lallen aus unserem Sprachgebrauch, findet sich allenfalls noch in Prozessakten, wenn ein Betrunkener Auto gefahren ist. Eigentlich ist es ein schönes Wort, bedeutete bei den Römern: „in den Schlaf singen“.

Und Goethe inspirierte es zu den Versen:

Und nachts, wenn jeder Ton verhallt, so hören wir ein Kind, das lallt.

Thüringer Allgemeine, 17. Dezember 2012

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