Bettina Wulff: Gerücht, Süddeutsche & Boulevard

Geschrieben am 8. September 2012 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 8. September 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

„Arbeitete Bettina Wulff im Rotlichtmilieu?“, fragt heute (8. September 2012) die Süddeutsche Zeitung. Das Gerücht wabert seit Jahren, im Internet füllt es Abertausende von Einträgen, aber erst heute gelangt es in die Schlagzeilen wie auf der Titelseite von Bild: „Bettina Wulff wehrt sich gegen Huren-Gerüchte“.

Der Boulevard kannte die Gerüchte, hat  recherchiert, aber nichts gedruckt. Offenbar ging es um die Recherchen und das Huren-Gerücht auch im Telefonat, das Bundespräsident Wulff mit Kai Diekmann, dem Chefredakteur von Bild,  im Dezember führen wollte.  Wulff sprach auf die Mailbox, geriet  außer sich und verspielte seinen Kredit bei der Öffentlichkeit, die ihm lange gewogen geblieben war.

Liest man heute in der SZ Hans Leyendeckers Report auf Seite-3, dann ging es offenbar um das Huren-Gerücht, als Wulff den Diekmann beschimpfte und tobte: Für mich und meine Frau ist der Rubikon überschritten!

Auffällig ist: Diesmal ist  die Süddeutsche informiert, während nach Wullfs Wutausbruch auf Diekmanns Mailbox die FAZ  informiert war  und darüber berichtete,  lang und breit und oft zitiert. So spielen offenbar der Boulevard und die seriösen Überregionalen Pingpong, als wäre es das Normalste in unserer kleinen Medienwelt.

Bild nennt Hans Leyendecker heute „Star-Reporter der SZ“. Auf jeden Fall kannte Bild vorab die SZ-Geschichte, sonst hätte sie nie so ausführlich den Star-Reporter zitieren können. Auch die FAZ zitiert die SZ auf der zweiten Seite – mit einem Kommentar zur EZB.

Warum schreiben heute die SZ + Bild auf der Titelseite, die eine unten, die andere oben, von der angeblichen Hure? Das Netz ist seit langem dem Gerücht auf den Leim gegangen, die Berliner Zeitung brachte es andeutungsweise kurz vor Weihnachten, gefolgt von Jauch in seiner Talkshow  („Jetzt fragt sich jeder, ob da noch mehr kommt“) und dem Dementi von Bild-Vize-Chefredakteur Nikolaus Blome („Kompletter Quatsch“).

Warum heute? Bettina Wulff will darüber noch im September in ihrem Buch berichten, schreiben die SZ + Bild.

Warum so ausführlich, beide zusätzlich auf einer Seite im Innenteil? Weil  die Journalisten, die sich so lange zurückhalten mussten oder wollten, endlich die Geschichte um die angebliche Pretty Woman in aller Breite schreiben können – im Stil des Biedermanns, der das alles so gräßlich findet. Oder ist es gar Reue, dass man Bettina Wulffs Gatten, sorgsam recherchiert,  aus dem Amt geschrieben hatte?

Und: Hatte nicht Hans Leyendecker vor wenigen Wochen den Nannen-Preis für exzellente Recherche abgelehnt, weil auch Bild ihn wegen der wasserdichten Wulff-Recherchen bekam?

Immerhin kannte Hans Leyendecker, der zusammen mit Rald Wiegand schreibt, sogar Intimes von den Wulffs, das sich liest, als wäre er dabei gewesen:

„Es gab Beziehungen, die sie hatte, aber nicht im Rotlicht. Sie hat mit ihrem Mann am Anfang ihrer Beziehung über ihre früheren Partner geredet. Und er über seine Partnerinnen. Jeder hat ein Vorleben.“

Bildschön und selbstbewusst sei Bettina Wulff schreibt Bild heute (ohne einen Autoren des Textes zu nennen), blond und tätowiert, mit Modelmaß.

 

Handbuch, Seite 214:

Ein Hauch von Boulevard weht selbst durch die ernsthaftesten deutschen Zeitungen. (Werner Meyer)

 

(zu: Handbuch-Kapitel  35 Der Boulevardjournalismus  + 48-50 Presserecht und Ethik)

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