Der Teesack-Schlepper oder: Wenn die Wörter ihre Unschuld verlieren (Friedhof der Wörter)
„Du Teesack-Schlepper, du!“ Man muss Amerikaner sein, um den eintönigen Beruf zum Schimpfwort zu erwählen. „Tea-bagger“, also Teesack-Schlepper – so nennt der älteste Politiker im US-Senat, der 87-jährige John Dingell, seine ärgsten politischen Gegner bei den Republikanern. Und im Streit um den Haushalt und die drohende Pleite des Staates ist jedes Schimpfwort recht.
Wer das Tee-Baggern verstehen will, muss in die amerikanische Geschichte reisen: 1773 warfen Bostoner Bürger, verkleidet als Indianer, 350 Tee-Säcke von einem britischen Schiff ins Hafenwasser – aus Protest gegen Steuern, die die Kolonialherren in London erhöht hatten, und gegen die Besatzer überhaupt. Die Bostoner „Tea-Party“ ging in die Geschichte ein, das Museum gehört zu den meistbesuchten in Boston, und die radikalsten Konservativen in den USA nennen sich nach den alten Widerstandskämpfern stolz: Tee-Partei, „tea-party“.
Dieser kleine radikale Flügel der Republikaner mag weder einen starken Staat noch Steuern und blockiert den Haushalt der Weltmacht. Diese Geschichte aus der Geschichte liegt in dem Schimpfwort „Teesack-Schlepper“.
Aber damit nicht genug: Der „Tea-bagger“ ist auch schlüpfrig geworden, gibt neuerdings einer eher ungewöhnlichen sexuellen Praxis den Namen; sie in einer Zeitung zu beschreiben, die eine Kinderseite anbietet, verbietet sich.
So verliert die Sprache immer wieder ihre Unschuld: Erst mühen sich die Leute mit den Teesäcken ab, um Frau und Kinder zu ernähren; dann verwandelt sich ihr ehrenwerter Beruf in ein Schimpfwort – und am Ende kommt eine Sauerei heraus.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 5. Oktober (aus einer lesenswerten Reportage von Nicolas Richter über die ungeliebte Hauptstadt Washington im Haushaltsstreit)
Thüringer Allgemeine, geplant für den 14. Oktober 2013 (Kolumne „Friedhof der Wörter“)
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